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Pflegedienste: „Hübsche Gardinen entschädigen nicht für schlechte Pflege“

Krankenkassen-Spitzenfunktionär Gernot Kiefer wirft den Heimbetreibern vor, die Nachbesserung des Pflege-Tüv zu blockieren. Ein Interview.

Seit Anfang dieses Jahres werden Altenheime und ambulante Pflegedienste mit Noten bewertet. Wie sind Ihre Erfahrungen?

Die Pflegenoten sind gut gestartet. Wir haben inzwischen über 5500 stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen überprüft und die Informationen sind im Internet veröffentlicht. Größtenteils klappt das ganz gut. In einigen Punkten aber sehen wir dringenden Verbesserungsbedarf.

Wo muss denn nachgebessert werden?

An speziellen Punkten innerhalb der Systematik der Noten. Es gibt ja mehr als 60 Einzelbeurteilungen, aus denen sich am Ende dann eine Gesamtnote errechnet. Entscheidend für uns ist aber: Keine Pflegeeinrichtung darf eine gute Gesamtnote erhalten, wenn sie in den wesentlichen Bereichen schlecht abschneidet: bei der Versorgung mit Flüssigkeit etwa, bei der Vorbeugung vor Druckgeschwüren, bei der Ernährung.

Heime überdecken schlechte Pflegequalität mit guten Noten für Nebensächlichkeiten. Wie oft kommt das vor?

Gott sei Dank selten. Es darf aber eigentlich gar nicht vorkommen. Es nützt doch nichts, wenn ein Heim gut lesbare Speisepläne und hübsche Gardinen aufzuweisen hat, die Bewohner aber ausgetrocknet oder wund im Bett liegen.

Müsste man auf derart verfälschende Gesamtnoten nicht ganz verzichten?

Die Gesamtnote ist wichtig zur Orientierung auf den ersten Blick. Sie ganz wegfallen zu lassen, wäre falsch. Aber die Kernthemen, die für die Qualität von Pflege entscheidend sind, müssen darin einen höheren Stellenwert erhalten. Konkret heißt das: Wenn wir die Gesamtnote Eins oder Zwei vergeben, darf es in den Kernbereichen keine Mängel geben. Das sind wir den Verbrauchern schuldig.

Sehen die Heimbetreiber das anders?

Eigentlich müssten sie das gleiche Interesse an guter Pflege und entsprechender Dokumentation haben. Tatsächlich aber verweigern sie sich bis heute einer Verbesserung, und sie haben sogar eine extra eingerichtete Arbeitsgruppe faktisch platzen lassen.

Mit welcher Begründung?

Sie wollen erst die genaue Wirkung der Pflegenoten wissenschaftlich erforscht haben. Das ist zwar wichtig, im Sommer wird es dazu auch kommen, es darf aber nicht zur Ausrede für Nichtstun dienen. Wir verstehen diese Blockadehaltung nicht. Die Erkenntnisse, die wir haben, sind eindeutig. Wir wollen, dass die Noten aussagekräftiger werden und dass die Kinderkrankheiten des Prüfsystems noch in diesem Jahr beseitigt werden.

Kann es sein, dass manche Heime gar nicht an aussagekräftigen Noten und Optimierung interessiert sind, weil sich auch an schlechter Pflege gut verdienen lässt?

Ich will das nicht ausschließen, aber unser Interesse kann das nicht sein. Deshalb drängen wir ja so auf Änderungen.

Warum hilft Ihnen der Gesundheitsminister nicht? Weil er gerade anderes zu tun hat?

Er teilt unseren inhaltlichen Ansatz – ebenso übrigens wie alle Fraktionen des Bundestages. Wir werden demnächst im Ministerium aber noch mal darüber sprechen. Ich gehe davon aus, dass die Politik ihre Position dann auch nachdrücklich deutlich macht.

Die Fragen stellte Rainer Woratschka.

Viele Informationen zum Thema finden Sie im jetzt neu erschienenen „Pflegeheimführer Berlin 2010/2011“ von Tagesspiegel und Gesundheitsstadt Berlin. Das rund 240 Seiten starke Buch kostet 12,80 Euro (Tagesspiegel-Abonnenten 9,80 Euro) und kann per Telefon: 29021-520 oder im Internet www.tagesspiegel.de/shop bestellt werden.

Gernot Kiefer (53) ist seit April 2010 Vorstandsmitglied des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und dort unter anderem für die Pflege zuständig.

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