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Pflegebedürftig. Mit dem neuen Gesetz wird das System von Grund auf verändert.

© picture alliance / dpa

Pflegereform war überfällig: Fehlt nur das Personal

Hermann Gröhes Pflegereform war überfällig. Allerdings nützt das beste Gesetz nichts, wenn es an Pflegekräften fehlt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Rainer Woratschka

Na klar, der Vorwurf musste kommen. Als „Wünsch-Dir-Was-Politiker“ wird Gesundheitsminister Hermann Gröhe nun tituliert. Als einer, der mit Geld nur so um sich wirft. Und seine Kritiker haben die durch Gröhes Arbeitseifer produzierten Zusatzausgaben schon mal hochgerechnet. 40 Milliarden Euro sind es bis 2020 – für bessere Hausarztversorgung, Krankenhäuser, Palliativmedizin, telematische Vernetzung. Und für die Pflege.

Sobald man nachfragt, was von all dem denn nun wirklich überflüssig sei, verstummt solche Kritik sehr schnell. Und dass der Zeitpunkt schlecht gewählt ist, wird ebenfalls keiner behaupten. Wann, wenn nicht in Zeiten gut gefüllter Kassen, können überfällige Nachbesserungen und Neujustierungen überhaupt angegangen werden?

Jeder im Land spürt: Das muss jetzt sein

Auffällig ist aber auch, dass bei Gröhes jüngstem Großprojekt so gut wie gar nicht übers Geldausgeben lamentiert wird. Dabei verschlingt seine Pflegereform, deren zweiter Part am Freitag vom Bundestag abgesegnet wurde, gut fünf Milliarden Euro. Aufzubringen von den Bürgern über – Vorsicht: unpopulär – deutlich höhere Sozialbeiträge. Aber jeder im Land spürt: Das muss jetzt sein. Und: Eigentlich bräuchte es sogar noch mehr.

Man mag von Gröhes Gesetzesmaschinerie halten, was man will. Fakt ist, dass der CDU-Minister etwas hinbekommen hat, woran sich seine Vorgänger nicht gewagt haben: die Sanierung eines funktionsuntüchtig gewordenen Systems von Grund auf. Entscheidend dabei ist der Paradigmenwechsel. Pflegebedürftigkeit wird nicht mehr nur körperlich definiert. Auch Demenzkranke erhalten die vollen Leistungen der Pflegeversicherung. Und menschenunwürdige Satt-Sauber-Pflege im Minutentakt gehört – zumindest vom Anspruch her – der Vergangenheit an.

Wer Milliarden in die Bankenrettung investiert, steht auch für die Schwächsten in der Pflicht

Dass das kostet, ist keine Frage. Doch ein Land, das Milliarden in die Bankenrettung investieren kann, muss auch die Mittel aufbringen, um die Schwächsten der Gesellschaft anständig zu versorgen. Die vielen Angehörigen, die sich zuhause um Pflegebedürftige kümmern, ersparen dem System ohnehin schon Milliardensummen. Und ganz nebenbei: Angesichts der Aufwendungen für Hunderttausende von Flüchtlingen ist die zeitgleiche Botschaft, dass hierzulande auch die alten Menschen nicht unter die Räder kommen, nicht unwichtig für den sozialen Frieden im Land.

Allerdings nützt das beste Gesetz nichts, wenn die Umsetzung nicht gesichert ist. Schon jetzt fehlt es Heimen und ambulanten Diensten dramatisch an Pflegekräften – daraus allein erklären sich viele der bekannt gewordenen Missstände. Mit Gröhes Reform erhält eine halbe Million Menschen mehr Anspruch auf Pflegeleistungen. Zudem wird die Pflege zeitintensiver, schließlich sollen die Menschen nicht mehr bloß gereinigt und abgefüttert, sondern in ihrer Selbständigkeit gefördert werden.

Ohne verbindliche Personalvorgaben, ist alles vergebens

Woher das Personal für die schöne neue Pflegewelt kommen soll, lässt das Gesetz offen. Wenn der Altenpflegejob nicht spürbar aufgewertet wird, auch und vor allem durch bessere Bezahlung, wird es nicht aufzutreiben sein. Und wenn die Politik den Geschäftemachern der Branche nicht schleunigst verbindliche Personalvorgaben macht, war ebenfalls alle Mühe vergebens. Dann ist die teure Reform nicht mehr als ein Haufen beschriebenes Papier.

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