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Emotionale Debatte. An Frühchen in der DDR sollen westdeutsche Pharmakonzerne Studien vorgenommen haben. Eines der Unternehmen hat nun seine Archive geöffnet.

© picture-alliance/ ZB

Pharma-Versuche: Roche weist Vorwürfe zurück

Der Pharmakonzern Roche weist den Vorwurf zurück, die DDR als Versuchslabor missbraucht zu haben.

Waffen, Menschen, Kunst. Als Alexander Schalck-Golodkowski für die bankrotte DDR Devisen besorgte, ließ er keine Geldquelle aus. Medikamentenstudien für den Westen waren eine von vielen, nur die Hälfte der Erlöse floss zurück ins Gesundheitssystem der DDR. „Wie ein Zuhälter verkaufte die Regierung ihre kranken Bürger und prostituierte das Land als Versuchslabor“, schrieb im Frühjahr 2013 der „Spiegel“. An der Charité habe das Pharmaunternehmen Boehringer Mannheim, das später an den Konzern Roche verkauft wurde, sogar das als Dopingmittel missbrauchte Erythropoetin an Frühchen getestet. Die Versuche wären Westdeutschen „kaum zu vermitteln gewesen“.

Roche wehrt sich nun mit Fakten gegen die Skandalisierung. Am Dienstag stellte die Firma in Berlin das Ergebnis seiner Archivrecherche zu den klinischen Studien in der DDR vor. „Wir haben uns nichts vorzuwerfen“, war das Fazit von Hagen Pfundner, Vorstand der Roche Pharma AG.

Eine 24-köpfige Arbeitsgruppe durchforstete nicht nur das eigene Archiv, sondern auch die von Boehringer Mannheim und Syntex, die mittlerweile zu Roche gehören. Dabei fand sie 46 Studien, an denen zwischen 1980 und 1990 auch 35 Prüfzentren in der DDR mit 2247 Patienten beteiligt waren. Der größte Teil – 37 Studien zu zehn Substanzen mit 1809 Patienten – entfiel auf Boehringer Mannheim, sagte Arbeitsgruppenleiter Armin Scherhag. Trotzdem war die DDR für Boehringer bestenfalls eine Randnotiz: Insgesamt testete das Unternehmen in dieser Zeit 126 Arzneimittelkandidaten in 549 Studien an 37 917 Patienten.

Die DDR sei für die drei Unternehmen ein Land wie jedes andere gewesen, sagte Scherhag. Teilweise gab es historisch gewachsene Netzwerke, Größe und Reputation der Forschungseinrichtungen seien entscheidend gewesen. Das zentralisierte Gesundheitswesen in der DDR war ebenfalls ein Vorteil. Die Fallpauschalen jedoch, die nach Ost-Berlin überwiesen wurden, waren international üblich und nicht besonders günstig. Auch der Vorwurf, man hätte in der DDR besonders risikoreiche Wirkstoffe getestet, treffe nicht zu. Von den 2247 Patienten starben 51, weniger als in vielen anderen Ländern. Bei 48 von ihnen war nicht das Prüfmedikament daran schuld – sie waren schlicht sehr krank. Lediglich beim Herztod dreier Nierenpatientinnen, die gegen ihre Blutarmut Epoetin beta bekamen, könnte es einen Zusammenhang geben.

Und die Frühchen an der Charité? „Das war nie ein Skandal“, sagte Christoph Bührer, der heute die Klinik für Neonatologie leitet. Weil Kindern unter 1000 Gramm in der Klinik immer wieder Blut abgenommen werden muss, brauchen sie oft Transfusionen. Immer wieder infizierten sich Babies in den 80er Jahren so mit HIV oder Hepatitis. Die Ärzte wollten das vermeiden und setzten auf Epoetin gegen die Blutarmut. Eine Pilotprojekt in Großbritannien sah vielversprechend aus, daraufhin initiierte Boehringer Mannheim fünf internationale Studien. An einer beteiligte sich von April 1989 bis Februar 1990 auch die Charité, leitendes Prüfzentrum war die Klinik für Neonatologie der Freien Universität in West-Berlin. Die Ethik-Kommissionen im Westen hatten die Studie genauso abgesegnet wie der Zentrale Gutachterausschuss beim Gesundheitsministerium der DDR. „Das war sinnvoll und hat keinem Kind geschadet“, sagte Bührer. Allerdings waren die Ergebnisse zunächst enttäuschend. Die Frühchen brauchten eine viel höhere Dosis, stellte sich später heraus.

Für Roche ist noch ein anderes Detail dieser Studie wichtig. Hier ist nicht nur durch ein Kreuz im Formblatt vermerkt, dass der Patient (beziehungsweise die Eltern) aufgeklärt wurde und eingewilligt hat, an einer Studie teilzunehmen. Die Eltern eines Frühchens an der Charité zogen die Einwilligung später zurück, es wurde daraufhin aus der Studie ausgeschlossen. „Das ist nur möglich, wenn man von der Studie weiß“, sagte Scherhag. Bei den 46 Studien seien alle ethischen Grundsätze und Gesetze eingehalten worden.

Die Unterschriften, mit denen die Patienten ihr Einverständnis gaben, kann Roche trotzdem nicht vorweisen. Scherhag verweist auf den Datenschutz. Die Namen der Patienten kennt nur das Prüfzentrum, entsprechende Unterlagen müssen dort bleiben. Bei großen Studien überwachen Firmenmitarbeiter solche Details vor Ort und geben dann die anonymisierten Daten, samt Kreuzchen für die Einwilligung, in die Formulare ein. „Wir gehen davon aus, dass sauber gearbeitet wurde“, sagte Pfundner.

Es gebe keine Gewissheit, kommentierte Rainer Erices vom Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Universität Erlangen. Er untersuchte, wie die Firma Ciba-Geigy, die später im Konzern Novartis aufging, am Uni-Klinikum Jena 1987 und 1988 ein Antidepressivum testete. Er fand keine Unterschriften, auch nicht am Klinikum. „Ja, wo sind sie denn dann?“, fragte er. Darüber hinaus vermisst er eine Stellungnahme zu den Geschäften mit einer Diktatur. Pfundner ließ solche Einwände nicht gelten: „Es gab einen Staatsvertrag zwischen der BRD und der DDR, wir haben uns innerhalb dieser Verträge bewegt.“

Der Abschlussbericht ist unter

www.roche.de/dataroom abrufbar

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