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2009 wurde Rösler Bundesgesundheitsminister. Jetzt ist er Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler. 2011 wurde er FDP-Vorsitzender.

© Doris Spiekermann-Klaas

Philipp Rösler im Interview: „Frauen sollten Netzwerke stärker nutzen“

FDP-Chef Philipp Rösler spricht im Tagesspiegel-Interview über den Sinn einer Quote für weibliche Führungskräfte, Mindestlohnregelungen und Respektlosigkeiten im Netz.

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Herr Rösler, ab August müssen Friseure in Deutschland nicht mehr für drei Euro Stundenlohn arbeiten, weil für sie ein Mindestlohn gilt. Ist das für einen Liberalen eine gute oder eine schlechte Nachricht?

Eine gute, denn es zeigt, dass die Tarifautonomie funktioniert. Die Lohnuntergrenze bei den Friseuren ist von Arbeitgebern und Gewerkschaften für notwendig erachtet und vereinbart worden.

Guido Westerwelle hat einmal gesagt, „Mindestlohn ist Planwirtschaft“. Gilt das noch?
Ein flächendeckender einheitlicher Mindestlohn ist Planwirtschaft. Da gibt der Gesetzgeber für ein ganzes Land einen Mindestlohn vor. Die SPD, die Gewerkschaften und die Linkspartei wollen das. Wir wollen das nicht.

Was will der FDP-Vorsitzende Rösler?
Ich stehe voll und ganz für Tarifautonomie. Sie gehört zur Sozialen Marktwirtschaft, steht im Grundgesetz und hat uns den Wohlstand beschert, in dem wir jetzt leben. Was aber passiert dort, wo es keine Tarifpartner gibt, die einen gemeinsamen Mindestlohn verhandeln können, wo es also weiße Flecken gibt? Für die Menschen, die dort leben, ist es kein Trost, wenn man sie auf die Segnungen der Tarifautonomie verweist. Für diese Menschen muss die FDP Antworten haben, und ich möchte, dass wir uns auf den Weg machen, solche Antworten zu finden.

Welche Antworten hält Philipp Rösler für diese Menschen bereit?
Zunächst muss sich meine Partei erst einmal für die Tatsache öffnen, dass es in der Lebenswirklichkeit Menschen gibt, die von der Tarifautonomie nichts haben. Ich möchte, dass wir auf dem Parteitag in der nächsten Woche diese Öffnung schaffen. Für diesen ersten Schritt werbe ich. Damit ist klar, dass ich nicht von dem Bekenntnis abrücken will, dass die FDP gegen einheitliche gesetzliche Mindestlöhne ist.

Was spricht dagegen, dass von der Politik unabhängige Kommissionen einen Mindestlohn in Deutschland festlegen?
Das kommt ganz auf die Ausgestaltung an. Wenn tatsächlich unabhängige Kommissionen die Entscheidung treffen, wäre das sicher eine denkbare Lösung. Es muss aber sichergestellt sein, dass nicht am Ende, wenn sich die Kommission nicht einigen kann, doch ein Bundesminister über den Lohn einer Friseurin in Thüringen entscheidet.

Die CDU hat sich zur Einführung von Lohnuntergrenzen bekannt. Wird es solche Untergrenzen in den nächsten vier Jahren geben, wenn Schwarz-Gelb im September die Bundestagswahl gewinnen sollte?
Es wird definitiv keinen flächendeckenden einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn geben. Sollte sich meine Partei nächste Woche meinem Vorschlag anschließen, werden wir über eine Lösung sprechen, wie auch diejenigen Menschen tariflich ausgehandelte Löhne bekommen können, die von der Tarifautonomie bisher nicht erfasst werden.

Warum Rösler gegen eine Frauenquote ist

2009 wurde Rösler Bundesgesundheitsminister. Jetzt ist er Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler. 2011 wurde er FDP-Vorsitzender.
2009 wurde Rösler Bundesgesundheitsminister. Jetzt ist er Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler. 2011 wurde er FDP-Vorsitzender.

© Doris Spiekermann-Klaas

Wie sieht Ihre Lösung aus?
Jetzt möchte ich zunächst meine Partei davon überzeugen, den ersten Schritt zu gehen und sich dem Thema zu öffnen.

Ihr Koalitionspartner will in der nächsten Legislaturperiode ein Gesetz zur Einführung einer Frauenquote in Aufsichtsräten verfassen. Macht das für Sie eine Koalition mit der CDU noch möglich?
Zunächst will die CDU das in ihr Wahlprogramm aufnehmen. Und wenn uns der Wähler am 22. September einen gemeinsamen Regierungsauftrag gibt, dann werden wir in den Koalitionsverhandlungen über vieles zu sprechen haben.

Was hat die FDP gegen Frauen?
Nichts.

Warum wehrt sich die Partei dann so vehement gegen Quotierungen?
Es macht keinen Sinn, die Gleichberechtigung von Frauen in der Wirtschaft von oben per Quote durchsetzen zu wollen. Man muss andere Wege in der Wirtschaft und auch in der Politik finden, um Frauen mehr Chancen zu geben. Das ist unser Ansatz. In der Analyse stimmen wir allerdings überein: Es gibt eindeutig zu wenig Frauen in Führungspositionen.

Warum sind so wenig Frauen in Führungspositionen?
Das hat viele Gründe. Als ich zum Beispiel 2011 das Wirtschaftsministerium übernommen habe, waren 18 Referatsleiter-Positionen neu zu besetzen, aber nur zwei Frauen wurden befördert. Ich habe damals die Frauen gefragt, woran das liegt, und es gab überraschende Antworten: Frauen sind zurückhaltender, höhere Positionen anzustreben, obwohl sie befähigt sind. Frauen haben oft die Schwierigkeit, eine Führungsposition mit der Betreuung der Kinder unter einen Hut zu bringen. Und Frauen haben oft keine Karriere-Netzwerke, wie es bei Männern seit Jahrhunderten üblich ist.

Frauen sind selbst schuld?
Quatsch. Was ich sagen will, ist: Es gibt zu viele unterschiedliche Gründe dafür, dass Frauen nicht genau so selbstverständlich in Führungspositionen sind wie Männer, als dass wir das Problem mit einer Quote für Aufsichtsräte in börsennotierten Unternehmen regeln könnten.

Was schlagen Sie stattdessen vor?
Wir brauchen Kinderbetreuungsmöglichkeiten nicht nur bis zum frühen Nachmittag. Frauen sollten Netzwerke stärker nutzen und sich gegenseitig unterstützen. Und wir brauchen vor allem mehr Offenheit in den Führungsetagen der Wirtschaft. In meinem Ministerium beispielsweise habe ich es möglich gemacht, dass Leitungspositionen doppelt besetzt werden, damit auch Frauen mit Kindern die Bewerbung erleichtert wird. Das gab es vorher nicht. Jetzt übrigens sind fast die Hälfte der Referatsleiter Frauen, und zum ersten Mal in der 60-jährigen Geschichte des Bundeswirtschaftsministeriums habe ich eine Frau in die Position einer beamteten Staatssekretärin berufen. Es geht um Signale, um Vorbilder, und es geht darum, dass in jedem Unternehmen die Probleme konkret angegangen werden.

Anonymität im Netz birgt auch Nachteile

2009 wurde Rösler Bundesgesundheitsminister. Jetzt ist er Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler. 2011 wurde er FDP-Vorsitzender.
2009 wurde Rösler Bundesgesundheitsminister. Jetzt ist er Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler. 2011 wurde er FDP-Vorsitzender.

© Doris Spiekermann-Klaas

Sie wollen Ihrer Partei mehr Lebenswirklichkeit verordnen. Wird die zu wenig wahrgenommen in der FDP?
Gewiss nicht. Aber unsere Bezüge zur Lebenswirklichkeit können noch deutlicher werden.

Woran machen Sie das fest?
Zum Beispiel beim Thema digitale Welt. Da entsteht nicht nur eine neue Branche, sondern eine neue Lebenswelt. Im Mittelpunkt steht für mich dabei die Frage, wie wir die Werte der realen in die digitale Welt übertragen können. Das betrifft das Thema Urheberrecht, das auch in der FDP noch umstritten ist. Aber es geht auch um die Frage, wie man den Wert „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ im Netz verwirklicht.

Ist die Würde des Menschen im Netz gefährdet?
Es sind altbekannte Mechanismen, die sich im Netz leicht potenzieren können. Wenn man anonym agiert, dann fehlt häufig die soziale Kontrolle. Viele glauben, es gebe im Netz völlige Anonymität, und dann vergessen sie Respekt und Verantwortung vor dem anderen. Viele kehren gerade bei der Kommentierung von Texten einfach ihre angestauten negativen Emotionen nach außen. Es gibt teilweise sehr ehrverletzende Kommentare. Dennoch will ich nicht kulturpessimistisch da rangehen. Denn als Gegenbewegung gibt es schon eine Selbstkontrolle im Netz. Die gilt es zu unterstützen.

Und wenn nicht?
Wir müssen uns an die Spitze der Bewegung setzen. Wir müssen die Diskussion führen. Wir müssen uns als Liberale eben noch viel stärker mit der digitalen Lebenswirklichkeit auseinandersetzen.

Erkennt die Telekom mit ihrer Entscheidung, eine Datendrossel einzuführen, die digitale Lebenswirklichkeit nicht?
Die Telekom ist in einer schwierigen Situation. Sie muss die Breitbandverbindungen ausbauen, das kostet viel Geld. Aber das, was sie jetzt plant, löst das Problem nicht. Die Telekom hat einen Vorschlag gemacht, aber sie musste schnell feststellen, wie stark der Widerstand in der Gesellschaft und auch in der Politik ist.

Sie haben Telekomchef René Obermann geschrieben. Hat er geantwortet, und bleibt es beim Plan der Telekom?
Es geht alles in die richtige Richtung. Der Einsatz für die Wahrung der Netzneutralität hat sich gelohnt.

Das Gespräch führten Antje Sirleschtov und Christian Tretbar.

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