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Es geht auch sachlich. Gegner und Befürworter der Präimplantationsdiagnostik debattierten am Donnerstag im Bundestag.

© dapd

PID im Bundestag: Freie Rede, freie Entscheidung

Ohne Fraktionszwang diskutiert der Bundestag drei Stunden lang über PID – und dass trotz unterschiedlicher Positionen auf hohem Niveau.

Berlin - Zwei Politiker am Donnerstag morgen im Reichstag auf dem Weg in den Plenarsaal. „Und ich darf nicht reden“, beschwert sich der eine. Der andere tätschelt ihm verständnisvoll die Schulter. „Aber du kannst dich über die Medien zu Wort melden. Das hat mehr Gewicht.“

Der Mann, der zu seinem ureigensten Thema nicht reden darf und das ausgerechnet in einer der wenigen sogenannten „Sternstunden“ des Parlaments, heißt Hubert Hüppe. Der 54-Jährige ist seit 2009 nicht mehr Bundestagsabgeordneter, sondern Behindertenbeauftragter der Regierung. Doch wer den CDU-Mann Hüppe kennt, weiß ungefähr, was er in der dreistündigen Debatte zur Präimplantationsdiagnostik (PID) gesagt, und genau, auf welche Seite er sich geschlagen hätte – auf die der strikten Verbotsbefürworter.

Hüppes Gesprächspartner, der CSU- Abgeordnete Johannes Singhammer, hat den Lebensschützer in dessen Sinne würdig vertreten. Er könne sich nicht vorstellen, wie eine „Qualitätskontrolle menschlichen Lebens“ gelingen könne, sagte er. Dass keiner das Recht habe, über lebenswert und lebensunwert zu entscheiden. Und dass man die Eltern behinderter Kinder durch die Möglichkeit, Embryonen mit Gendefekten auszusortieren, unter Rechtfertigungsdruck bringe. „In dubio pro vita“ hatte der CDU-Politiker Günter Krings vorher als Devise ausgegeben. Gemeinsam forderten sie das komplette Verbot von Gentests an Embryonen, die durch künstliche Befruchtung entstanden sind. Und rigide Strafen für Ärzte, die dem zuwiderhandeln.

Geradezu unmenschlich findet das die etwa ebenso starke Gruppe der Verbotsgegner. „Wie viele Tränen, wie viel Leid stehen hinter dieser Debatte“, klagte der frühere Pastor und CDU-General Peter Hintze und beschwor die „Not der Frauen, über denen das Verhängnis einer schweren Erbkrankheit schwebt“. Es sei ein „Gebot der Nächstenliebe“, ihnen den Konflikt „zum frühestmöglichen Zeitpunkt“ zu ersparen. Carola Reimann (SPD) warnte vor „Schwangerschaft auf Probe“, Ulrike Flach (FDP) vor „späterer qualvoller Abtreibung“. Andere nahmen persönliche Schilderungen zu Hilfe. Der Grünen- Politiker Jerzy Montag etwa berichtete von einer Frau, die es – in Erinnerung an den qualvollen Tod ihres Bruders – nur gewagt habe, Mutter von vier Kindern zu werden, weil sie sich in Belgien einer PID unterziehen und dort die männlichen Erbmerkmalsträger aussortieren durfte.

Wohlgemerkt: Verboten wollen auch die Liberalisierer das PID-Verfahren haben. Allerdings mit weit gefassten Ausnahmen. Bei „hoher Wahrscheinlichkeit für eine schwerwiegende Erbkrankheit“ sollen Genchecks ebenso erlaubt sein wie bei einer späteren Erkrankungsmöglichkeit. Die Gegenargumente formulierte Priska Hinz (Grüne) aus dem dritten, zahlenmäßig unterlegenen Lager der Kompromisswilligen, die PID allein auf die genetische Disposition für Tot- und Fehlgeburten beschränkt haben wollen. Man wisse doch nicht, welche Krankheiten in 20 oder 30 Jahren heilbar seien, sagte sie. Zudem sei der Begriff „schwerwiegende Erkrankung“ viel zu leicht dehn- und ausweitbar.

Dreißig Abgeordnete, die emotional und fast ausnahmslos in freier Rede drei Stunden lang ihre Überzeugung vertraten, kein Gelächter, keine Zwischenrufe, bei manchem gar das Eingeständnis eines Sinneswandels durch Argumente: Die Debatte bot, obwohl sich einige Redner selber dafür rühmen zu müssen glaubten, ein im Parlament seltenes Niveau.

Welcher Antrag am Ende die Mehrheit findet, blieb offen. Dank fehlender Fraktionsvorgaben spielen die Kräfteverhältnisse im Bundestag dafür keine Rolle. Entsprechend bunt ist die Zusammensetzung der Lager. Bei den Verbotsgegnern etwa: Zu konservativen Hardlinern gesellten sich problemlos auch Volksvertreter, die des Konservatismus gänzlich unverdächtig sind. Pascal Kober (FDP) plädierte aus liberalem Staatsverständnis heraus gegen jede Bewertung menschlichen Lebens. Biggi Bender (Grüne) warnte vor Gesellschaftsveränderung durch die „Option auf Selektion“. Ulla Schmidt (SPD) sah das Prinzip gefährdet, dass „jedes Leben sich um seiner selbst willen entwickeln darf“. Und der rollstuhlfahrende Linke Ilja Seifert meinte, dass es „kein Recht auf ein gesundes Kind, nicht mal auf ein eigenes Kind“ gebe. Jeder sei einmalig, diese Vielfalt mache die Menschheit aus.

Anders hätte das ein Behindertenbeauftragter auch nicht sagen können.

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