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Bernd Schlömer glaubt, dass es den Piraten guttäte, weniger techniklastig zu argumentieren.

© Doris Spiekermann-Klaas

Piraten-Vize Bernd Schlömer im Gespräch: „Ein vertrauliches Gespräch muss möglich sein“

Bernd Schlömer, Vizevorsitzender der Piraten, spricht im Interview über Grenzen der Transparenz, Fehler, die der Vorstand gemacht hat - und darüber, wo sich piratische Ideen mit der Realität beißen.

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Bevor wir zum offiziellen Teil kommen: Dank Twitter wissen wir, dass Sie einen Unfall mit Ihrem Roller hatten. Wie geht’s dem Kopf?

Dem geht’s wieder gut. Ich hatte ja einen Helm auf – zum Glück hat der gehalten.

Warum muss man solche Ereignisse sofort auf Twitter kundtun?

Man ist in gewisser Weise mitteilungsbedürftig im modernen digitalen Zeitalter.

Auch trostbedürftig?

Man erhält erfreulicher Weise via Twitter auch Trost. Ja.

Ist Ihnen davon jetzt was Bleibendes geblieben? Eine Beule?

Ich konnte eine Zeit mein Knie etwas schlecht bewegen. Aber jetzt geht’s wieder.

Trotzdem: Gebrechen sind ein gutes Stichwort. Wie stellt man sich in Ihrer jungen, der Zukunft zugewandten Partei das Alter vor?

Dem Altern haben wir uns noch nicht gestellt. Entweder ist ein Pirat jung an Jahren, oder er ist jung in der Politik. Also wird ein Pirat Politik über seine Jugendlichkeit und Unbekümmertheit betreiben und nicht über das Alter.

Sind Sie also eine Ein-Generationen-Partei?

Natürlich gibt es in der Piratenpartei auch eine Arbeitsgruppe „Senioren“, die sich mit Fragen des Alterns beschäftigt. Sie setzt sich aus lebensälteren Mitgliedern zusammen. Und natürlich beschäftigen wir uns mit Generationen-Themen, beispielsweise im Zusammenhang mit der Forderung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Hier setzen wir auf eine Auflösung des nicht weiter finanzierbaren Generationenvertrags in den Rentensystemen.

Sich kümmern ist das eine – die Beteiligung, die den Piraten so wichtig ist, sicherzustellen, ist etwas Anderes. Wie wollen Sie dafür sorgen, dass sich auch die in der Gruppe der Älteren stark vertretenen „Nonliner“ (Nicht-Onliner) bei Ihnen einbringen können?

Es gibt bei uns ja nicht nur digitale Kommunikationsinstrumente. Das Ganze ist an „Real-Life-Treffen“ gekoppelt – Stammtische, Squads, Crews, nicht zuletzt Parteitage. In gewisser Weise ist es wie mit dem E-Learning: Ohne Präsenzphasen geht es nicht.

Bleibt man als Nonliner nicht trotzdem Mitglied zweiter Klasse?
Es gibt Einführungskurse, die den Umgang mit modernen Kommunikationsinstrumenten zeigen. Hier werden die Arbeitsweisen der Partei vermittelt – so lange und mit so viel Geduld, bis alle neuen und unerfahrenen Mitglieder es verstehen.

Wer da nicht mitkommt, ist in den politischen Diskurs nicht integrierbar?

Wir leben an der Schwelle eines digitalen Zeitalters, das seinen Weg auch in die Politik finden wird. Ich habe aber auch noch nicht vernehmen können, dass hier etwas nicht gelingt. Wir haben keine empirischen Erkenntnisse, inwieweit Anliegen versanden – nur weil jemand die Beteiligungs- und Kommunikationsinstrumente nicht bedienen konnte. Ich bin sicher, dass jedes Anliegen uns erreicht.

Die Integration in die Partei ist nicht das einzige Problem der „piratigen“ Einzigartigkeit. Was können Sie tun, um für Koalitionspartner anschlussfähiger zu werden?

Ich habe nicht darüber zu befinden, wie zukünftige Fraktionen in Parlamenten sich zu verhalten haben.

{Was Bernd Schlömer über transparente Koalitionsverhandlungen denkt}

Werden Koalitionen mit den Piraten immer daran scheitern, dass Sie Koalitionsverhandlungen öffentlich machen wollen?

Ich persönlich bin kein Freund von vollkommener Informations- und Verhaltenstransparenz. Das würde letztlich zum Zusammenbruch von Moral-, Norm- und Rechtssystemen in Politik und Gesellschaft führen. Ein vertrauliches Gespräch muss auch in der Politik möglich sein! In diesem dürfen aber keine Entscheidungen getroffen werden. Immer dann, wenn Entscheidungen getroffen werden, sollte Offenheit, Transparenz und die darauf bezogene kritische Nachfrage möglich sein.

Wo aber genau sollen die Grenzen gezogen werden? Im Bundestag wäre das die Funktion der Ausschüsse: vorzubereiten, was im Plenum abgestimmt wird. Ausschusssitzungen wollen viele Piraten aber öffentlich machen. Das ist doch inkonsequent.

Der Unterschied ist, dass gerade bei der Genese von Gesetzen der Entstehungsprozess hinreichend abgebildet wird. Es geht ja nicht darum, dass der Bürger alles entscheiden muss. Aber es muss nachvollziehbar dargelegt werden, welche Formen von Einflussnahme es vor einer Entscheidung gegeben hat. Und das ist im derzeitigen Gesetzgebungsprozess eben nicht ablesbar. Da heißt es dann „Das ist ein Referentenentwurf“ oder „Die CDU bringt ein“. Aber darüber, auf welcher Grundlage sie das einbringt, ob etwa Interessenverbände an dem Entwurf mitgearbeitet haben, hat man letztlich keine Information. Da wünschen wir uns eine bessere Nachvollziehbarkeit.
Aber das lässt sich doch ganz einfach umgehen. Dann trifft man sich einfach vorher.
Ich gebe Ihnen recht, man kann sicher nicht alles transparent gestalten; es gehört auch die Aufrichtigkeit der politischen Verantwortungsträger dazu. Es gibt viele Dinge, die sind nicht akzeptabel: Es ist beispielsweise nicht nachvollziehbar, wenn etwa der bayerische Ministerpräsident in Zeiten der Finanzkrise mit den Vorständen der Bayerischen Landesbank im Hinterzimmer verhandelt, wo denn die Probleme liegen. Der Bürger kann hier einfach nicht darauf vertrauen, dass Finanz-Schwierigkeiten erörtert werden; denn die Landesregierung war verantwortlich für das Finanzgebaren. Hier wird Offenheit und Transparenz entscheidend.

Wie kann Vertrauen hergestellt werden?

Darauf kann ich keine Antwort geben.

Wird bei den Piraten unterschätzt, dass es auch einen vertraulichen Bereich geben muss?

Er wird nicht unterschätzt, er ist noch nicht beschrieben. Die Präventivkraft des Nichtwissens ist in der Piratenpartei nicht hinreichend kommuniziert.

Was wäre das Neue an den Piraten, würden sie in Fragen der Transparenz immer so gemäßigt auftreten wie Sie jetzt gerade?

Wir haben einen niedrigschwelligen Zugang zur politischen Teilhabe. Mittels digitaler Medien können soziale und menschliche Netzwerke schnell und ortsunabhängig gebildet werden, um basisnah und demokratisch Politik zu betreiben. Die anderen Parteien sind eher Abnick-Parteien und nicht so basisnah.

Trotz aller Basisdemokratie: Es braucht auch Köpfe. Von den Piraten hat man zuletzt nur noch Marina Weisband wahrgenommen. Ein Fehler?

Auf Frau Weisband haben sich die Medien regelrecht gestürzt und einen Hype produziert. Wir haben sie aber auch nicht genug geschützt und sie leichtfertig in diese Situation laufen lassen. Da haben auch wir als Vorstand versagt.

Beim Parteitag Ende April wollen Sie sich zum Bundesvorsitzenden wählen lassen. Haben Sie eine Vision für die Partei?

Ich habe Visionen für die Programmatik der Partei, aber nicht für die Partei selbst.

{Arbeiten im Verteidigungsministerium - aktiv als Pirat. Wie geht das?}

Bernd Schlömer, pirateninterner Spitzname: Bundes-Bernd.
Bernd Schlömer, pirateninterner Spitzname: Bundes-Bernd.

© Doris Spiekermann-Klaas

Würden Sie anders agieren als der amtierende Vorsitzende Sebastian Nerz, der sich mehr als Sprachrohr der parteiinternen Mehrheitsmeinung sieht denn als eigener Beiträger?

Ja, ich würde stärker beschreiben, was und wofür politische Sachverhalte geklärt werden müssen – auch außerhalb des Parteiprogramms. Ein Bundesvorsitzender muss beschreiben können, warum Politik und Beteiligung der Bürger bedeutsam sind. Bezogen auf die eigene Programmatik wäre es meine Aufgabe, komplexe Sachverhalte ohne den typischen Tech-Talk darzulegen. Bislang gelingt uns dies nicht immer gut. Die Piraten argumentieren viel zu stark techniklastig. Hier müssen wir versuchen, den Bürger besser aufzuklären, wie wir arbeiten und wie diese Art verallgemeinerungsfähig wäre.

Muss ein Vorsitzender der Partei auch den Weg weisen?

Nein, das muss er nicht. Ich finde es nur falsch, wenn man meinungslos ist.

Aber welche Relevanz hat dann diese Meinung? Steht sie beispielsweise bei Koalitionsverhandlungen für die Position der Piraten?

Ich würde dort darauf hinweisen, dass Entscheidungsverfahren in der Piratenpartei anders sind. Ich kann aber „Werkstattberichte“ geben, wie weit wir bei der Meinungsfindung in wichtigen Politikbereichen stehen.

Aber was machen Sie bei aktuellen Fragen, die sofort entschieden werden müssen?

Das wird sich zeigen. Unser Modell muss sich in der Praxis behaupten. Aber das ist noch lange kein Grund, das Modell schon jetzt infrage zu stellen. Es ist falsch, zu behaupten, das funktioniert nicht, wenn man es nicht wenigstens einmal probiert hat.

Das sagt ja keiner, wir versuchen nur zu verstehen, wie es funktioniert.

Wir müssen für uns natürlich das Spannungsverhältnis zwischen Anspruch und Praxis, zwischen Opposition und Regierungsverantwortung, noch beschreiben. Ich persönlich würde mir wünschen, dass wir stärker als bislang auch persönliche Verantwortung zulassen und Vertrauen in unsere Mandatsträger investieren. Unsere Mandatsträger müssen frei und unabhängig über aktuelle Sachverhalte ad hoc entscheiden können. Sie sollen mutig sein und verantwortungsvolle Entscheidungen treffen.

Was bedeutet für Sie Macht?

In der Piratenpartei wird die Meinung vertreten, dass einzelne Personen nicht wichtig seien, die eigentliche Kraft rühre aus Netzwerken. Dieser Anspruch beißt sich manchmal mit der Realität. Man wird das retrospektiv sehen, wie die Piraten mit der ihr zugewiesenen Verantwortung umgegangen sind.

Wie hält man es eigentlich aus, als Regierungsdirektor im Verteidigungsministerium zu arbeiten und gleichzeitig bei den Piraten aktiv zu sein?

Es sind unterschiedliche Kulturen, in denen ich wechselseitig arbeite und denke: auf der einen Seite die Aufbau-Organisation Bundeswehr, auf der anderen Seite die Netzwerk-Organisation Piratenpartei. Als Mensch Bernd Schlömer wünsche ich mir manchmal, dass sich beide System-Ansätze gegenseitig bereichern. Ein Stück administrative Professionalität würde den Piraten nicht schaden; auf der anderen Seite würde auch die Bundeswehr von der Arbeitsweise der Piraten profitieren.

Verteidigungsminister Bernd Schlömer, wäre das was?

Das ist vermessen, nein. Wir sind in zwei Länderparlamenten vertreten. Jetzt die Bodenhaftung zu verlieren und Ministerämter zu vergeben, ist einfach absurd.

Trotzdem: Wie groß ist Ihr Selbstvertrauen im Moment?

Ich glaube, dass wir sehr viel erreichen können.

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