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14.8.2013

© picture-alliance / gms

Piratenpartei: Die Zukunft der Piraten - eine Prognose

Die Piraten eilen von Erfolg zu Erfolg. Doch wie geht es weiter mit der Partei? Die Saga vom Aufstieg und Fall der bundesdeutschen Freibeuter, eine exklusive und nicht ganz ernst gemeinte Chronik der Zukunft.

Von Caroline Fetscher

12. Mai 2013. Der Aufstieg der Piraten scheint nicht zu bremsen zu sein. Wo sie mitregieren, in den Kommunen und Landtagen, sind sie bei allen Fraktionen beliebt, da sie auch Mitarbeitern anderer Parteien und Behörden bei Problemen mit Netbooks, Notebooks, Websites und Smartphones gerne mal aushelfen.

„Nicht nur mir helfen sie beim Abhören meiner Mailbox!“ schwärmt eine Abgeordnete der CSU, 63, im „Bayernkurier“. „Wir verlangen dafür nicht mal Betreuungsgeld!“, lacht Kris Otto Konrad Perkel, genannt „Kroko“, in die Kamera der Tagesschau. Seit dem siebten Sonderparteitag im Dezember 2012 ist der 1966 in Altötting geborene Bankkaufmann der allseits beliebte Vorsitzende der Partei.

24. Mai 2013 Internationale Thinktanks haben im Auftrag der Piraten errechnet, dass ein Grundeinkommen von 1200 Euro monatlich für jeden Bundesbürger machbar wäre. Voraussetzung: Alle Transferleistungen, Renten und Unterhaltsverpflichtungen fallen weg. „Nie wieder Müll wegschaffen!“ jubiliert ein Mitarbeiter der Stadtreinigung, der „mit der Kohle prima auskommen würde“, wie er den RTL-Nachrichten sagt. „Bild“ fragt: „Lohnt sich das für uns alle?“

28. Mai 2013 Sensationelle Erfolge wecken bei der Crew der Piraten Visionen vom Weg in den Bundestag und sogar ins Bundeskanzleramt. Kroko Perkel entschließt sich vor der Webcam zur Frage des Jahres: „Leute, ey! Wollt Ihr die totale Transparenz im Kanzleramt?“

29. Mai bis 2. Juni 2013 Mehr als Achthunderttausend Bürger beantworten Perkels Piratenfrage per Twitter oder Facebook mit „Ja“, mit „Yeah!“ oder indem sie den Like-Button drücken.

3. Juni 2013 Perkel stellt in Aussicht: „Wir werden das Kanzleramt zur open platform umgestalten, im Radius von 30 Kilometern um diesen Brutalo-Bau kann dann jeder jede E-Mail lesen, egal an wen, jedes Telefonat anhören, das einer da drin führt.“ Vize-Vorsitzende Frigga von Möckern, de facto schlicht Perkels Assistentin, bekräftigt: „Das wird maximal!“

12. Juni 2013 Supersonderparteitag der Piraten in Bad Wörrishofen im Allgäu. Optionen auf die große Politik führen zum historischen Kompromiss zwischen den „Kernis“, die nur Netzthemen wollen, und den „Vollis“, denen ein Vollprogramm mit Themen wie Bildung, Bundeswehr, Finanzen, Energie und Drogen vorschwebt. Kroko Perkel versichert den Kernis: „Ihr macht einfach euer Ding. Wir machen den Rest.“

16. Juni 2013 Als chinesische und russische Diplomaten in Berlin, London und Paris von den Kanzleramt-Plänen der deutschen Piraterie Wind bekommen, kennt ihre Begeisterung keine Grenzen. Wie viele Spione könnte man da einsparen! Wie viele nutzlose Netz-Beobachter! Bald fließen über Sibirien und Andorra bis zu den Cayman Islands Millionen Dollar in klandestine Piraten-Kassen. Allein Kroko Perkel hat den Überblick.

18. Juni 2013 Von einer feministischen Journalistin gefragt, warum sie als Frau sich mit einem Platz in der zweiten Reihe zufriedengibt, erklärt Frigga von Möckern: „Kroko macht einen tollen Job. Ich brauche Zeit für mein Kickboxen.“ „Bild“ bringt Fotos von Frigga beim Kickboxen: „So taff ist unsere Top-Piratin!“

4. bis 11. August 2013 Ungestört trifft Perkel während der Sommerpause auf den Cayman Islands chinesische und russische Devisenhändler. Auf Nordsee und Ostsee kreuzen ein Dutzend Luxusdampfer einer Reederei namens „Ocean of Freedom“, die jedem frisch beigetretenen Piratenmitglied drei Wochen kostenlose Kreuzfahrt und, gesponsort von Computerkonzernen, einen Tablet-PC als Give-away bieten. Bei der Einfahrt in die Häfen flattert die Piratenflagge am Bug.

12. August 2013 Vermittelt über Frigga von Möckern, einst FDP-Vorsitzende Kreis Hanau, stößt der ehemalige FDP-Prominente Henning Graf Wetterau zu den Piraten. Auch aus den Reihen der CDU, der SPD und den Grünen nehmen manche mit unsicheren Listenplätzen Verhandlungen mit den Piraten auf.

17. August 2013 Fernsehberichte über die Piratenschiffe mit Urlaubsflair reißen nicht ab. Woher haben die Piraten diese Riesensummen? Die Medien rätseln, die Volksparteien schäumen. „Vermächtnisse von piratenfreundlichen Reedern aus dem In- und Ausland!“ erklärt Perkel. In der Partei „Die Linke“ argwöhnt man: „Piraten ködern Kinder mit Kraft- durch-Freude-Flotte!“ Von dem unerhörten NS-Vergleich müssen sich die Linken sofort distanzieren, inzwischen beschäftigen die Piraten namhafte Anwälte.

1. September 2013 Die Werbeagentur „Power House Inc.“, Hauptsitz Hongkong, spendet den Piraten das Komplett-Design für eine Kampagne. Die Power People entwerfen den Claim: „Download yourself. Bleib Pirat.“ Am Internet-Stammtisch wird er per mumble-vote angenommen. Einwände wonach „download yourself“ netzgenerierte Pseudo-Identität suggeriere, verwerfen kulturkritische Experten der Piraten als „Authentizitätsgewäsch“.

Wie sich die Piraten bei der Bundestagswahl schlagen werden

4. September 2013 Im Bundestagswahlkampf halten sich die Piraten zurück. „Traditioneller Wahlkampf ist ein Schaulaufen sloganbrüllender Politroutiniers“, erläutert Kampagnenleiter Henning Graf Wetterau im Interview mit dem „Spiegel“, dem einzigen, das irgendein Pirat gibt. „Wir werden nicht heiser“ versetzt der Graf noch, „weil wir nicht brüllen.“ Piraten bestreiten ihren Wahlkampf mit Klicken, Twittern, Bloggen und Posten. Politiker der Volksparteien erinnern jetzt an die Sache mit der Ferienflotte der Piraten. Noch immer weiß keiner, woher sie die Mittel dazu haben.

6. bis 18. September 2013 Investigative Journalisten fahnden in Luxemburg, Liechtenstein und der Schweiz nach der Schatztruhe der Piraten. Vergebens.

20. September 2013 Die Öffentlichkeit gewöhnt sich an die Begriffe Adhocracy, Liquid Democracy, Cyber-Parlament und Kroko-Style, womit der coole, abgehackte, pausenarme Duktus der Postings des Oberpiraten gemeint ist, der sich bei den Medien als Gesicht und Stimme der Partei durchgesetzt hat. Einige Piraten regen sich über den „Personenkult um Kroko“ auf. Gezielt erhalten diese Gutscheine für „Ocean of Freedom“-Reisen.

12. September 2013 In Günter Jauchs erster Talk-Show nach der Sommerpause – das Thema, inspiriert von der jüngsten Pisa-Studie, lautet: „Sinkt unser IQ - wie dumm sind deutsche Schüler?“ – erscheint Kroko Perkel als Gast, Dreitagebart, Basecap und schwarze Jeans. Er fordert die Abschaffung der Schulpflicht, freien Zugang zur Universität für alle ab 12, Wahlrecht für alle ab 14, Gratis-Notebooks für jeden. Jauchs Nachfrage: „Herr Kroko, und wie finanzieren Sie das?“ löst Gelächter aus. „Ich heiße Perkel, aber egal!“, wischt der Pirat den Lapsus weg. „Außer der stereotypen Frage nach der Kohle fällt Ihnen wohl nichts weiter ein?“ Tosender Applaus. Jugendliche springen von den Sitzen und reißen die Arme hoch.

14. bis 20. September 2013 Abertausende von Schülern melden sich zur Mini-Mitgliedschaft bei den Piraten an, Motto: „usen, liken, joinen“. Jung-Piraten-Netzwerke gründen sich an nahezu allen Schulen, sie sabotieren Klausuren und boykottieren den Unterricht. „Perkel statt Merkel!“ wird ihr Schlachtruf, den die Alt-Piraten sofort übernehmen. Überall im Land fangen Schüler an, im Unterricht Augenklappen wie Piraten aus Actionfilmen zu tragen, um gegen Leistungsdruck und Schule überhaupt zu demonstrieren. Selbst sympathisierende Lehrer fürchten: Eine Bildungskatastrophe bahnt sich an.

28. September 2013 In einem offenen Brief an die Schüler der Republik, den „Die Zeit“ abdruckt, warnen 488 alarmierte Schulleiter vor der Gefahr der Populismus. Es heißt dort: „Mit einer solchen albernen Klappe ist man doch entweder auf dem rechten oder auf dem linken Auge blind. Wollt Ihr in die Bildungsferne auswandern, dahin, wo es gar keine Schulen gibt?“ Begüterte Eltern gründen überall im Land „garantiert piratenfreie Privatschulen“.

29. September 2013 Zunächst unbemerkt hatte sich Kroko Perkel die Rechte an der erfolgreichen, von Mitgliedern informell gegründeten Internet-Tauschbörse OurPirateBay gesichert, Titelschutz, Markenschutz, alles. Durch eine Indiskretion der zuständigen Behörde wird die Sache ruchbar. Murrende Piraten rufen zur Meuterei auf: „delete Kroko!“ oder "kroko voll der ego shooter!“ Ein außerordentlicher Parteitag auf dem Hamburger Süllberg, mit Blick auf das Flaggschiff „Subversia“ der „Ocean of Freedom“-Flotte, fasziniert auch die ausländische Presse. Krokos Charme („Ich wollte OurPirateBay doch nur vor den Heuschrecken sichern!“) becirct die Delegierten. Dennoch wird Kroko eiskalt von seinem Parteivize, dem niedersächsischen Verwaltungsbeamten Oliver Nürting, wegen Betrugsversuchs angezeigt. „Who is the ominous Mr. Perkel?“ fragt das „Wall Street Journal“.

30. September 2013 Drei Reporter des „Wall Street Journal“ schmuggeln sich, zur Tarnung anti-amerikanische Parolen ausstoßend, als Schnupper-Piraten an Bord eines der Cruiser von „Ocean of Freedom“ ein, wo einer von ihnen, Taylor Bradley, bei einem Gelage dem Kapitän Ole Svensson, vormals ein schlecht bezahlter Greenpeace-Skipper, die Brieftasche entwendet. Darin findet sich die Kreditkarte eines Geldinstitutes auf den Caymans. Das Journal recherchiert auf Hochtouren.

4. Oktober 2013 „German Pirates paid by Russia and China“ enthüllt das „Wall Street Journal“. „Piraten auf der Titanic!“ entrüstet sich Bild. „Ende einer Kreuz- und Querfahrt!“ triumphiert „Focus“. Die „taz“ tuft aus: „Kroko-Deal entdeckt!“ Mitten im Schlusswahlkampf für die Bundestagswahlen ist von kaum etwas anderem die Rede als von Kroko Perkels System der halb legalen Parteifinanzierung, der schwarzen Kassen, dunklen Gassen und geschmierten Kumpels. Deutschlandradio befragt im Stundentakt Staatsrechtler, Parteienrechtler, Oberstudienräte.

6. Oktober 2013 In der Partei bricht vehementes Gerangel aus, alle etablierten Volksparteien beteuern, „auf gar keinen Fall“ mit den Piraten koalieren zu wollen.

9. bis 17. Oktober 2013 Binnen weniger Tage geht die Reederei „Ocean of Freedom“ bankrott. Jung-Piraten fühlen sich betrogen und geben, zur Freude aller, unbedachte Interviews. Oliver Nürting, der stets in der zweiten Reihe bleiben wollte, sieht sich an die Piratenfront gedrängt. „wenn ihr den spiesser lieber wollt, bittesehr, macht nur“ twittert Kroko. Zu Nürtings Erleichterung beschließt die Basis den Einsatz wöchentlich rotierender Piraten-Räte, die nach einem Cyber-Lotterie-Verfahren ermittelt werden. Henning Graf Wetterau ersucht um ein neues Parteibuch der FDP. Frigga von Möckern folgt ihm auf den Fuß. Günter Grass widmet seinen „Piratenfreunden“ in den „Lübecker Nachrichten“ ein Gedicht mit der Schlusszeile: „In Seenot sei an eurer Seite in jedem Boot ein Butt“. In den Feuilletons wird das Gedicht tagelang als möglicher Beginn einer neuen Grassroots-Bewegung oder als Absage von Grass an die etablierte Politik debattiert.

22. Oktober 2013 Wahlabend in Deutschland. Eine große Koalition aller im Bundestag bis zur Ankunft der Piraten vertretenen Parteien übernimmt mit 84 Prozent aller Sitze die Regierungsverantwortung. Kroko Perkel, der nach kurzer U-Haft wieder auf freiem Fuß ist, sagt der BBC: „Wir werden systematisch boykottiert!“

November und Dezember 2013 An den Schulen ist wieder Ruhe eingekehrt. Gegründet haben sich nach dem Zusammenbruch des leitenden Perkel-Flügels die Young Pirates (einstige Freedom-Kreuzfahrer), Green Pirates (Ökopiraten), Grey Pirates (digitalisierte Senioren), Blue Pirates (Hobbytrinker), Red Pirates (post-analoge Linkspiraten), Heavy Pirates (skrupellose Netzräuber), Sex Pirates (Neuköllner Gangbang-Freibeuter, inzwischen ausgeschlossen), Brown Pirates (halten ihr Programm geheim). In der Presse verliert man jedes Interesse an den Subgruppen, die kaum ein Redakteur überschaubar schildern kann.

Januar 2014 Jetzt aber wacht die Wissenschaft auf. Eine soziologisch derart spannende Gruppierung gab es noch nie! Feldforschung unter post-piratischen Subströmungen wird bei empirischen Sozialwissenschaftlern Mode. Einige Forscher kommen ihrem Gegenstand jedoch so nahe, dass sie der Wissenschaft verloren gehen. Ordinarius Dieter Werkenbreuk von der Universität Paderborn klagt in der philosophischen Zeitschrift Merkur: „Ich hege den Verdacht auf intendierte, ideologische Kontaminierung. Unser Exzellenz-Cluster ’Postmoderne Sinnentwürfe’ geriet deshalb in Gefahr."

1. März 2014 In keinem der Anklagepunkte gegen Perkel, darunter Betrug, Landesverrat, Untreue, Unterschlagung und Bestechung, ließ sich ihm etwas nachweisen. Leichten Schrittes, glatt rasiert, verlässt er das Gerichtsgebäude in Hannover. Vor den Kameras gibt Perkel en passant seine Verlobung mit Frigga von Möckern bekannt. Am Abend klingelt sein Smartphone, Graf Henning von Wetterau gratuliert zum Freispruch. „Wir sind wieder bei fast acht Prozent, die FDP legt zu, Junge. Wir könnten dich brauchen, wie wär´s? Kroko Perkel ist nicht abgeneigt.

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