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Wohin steuert die Piratenpartei?

© dpad

Piratenpartei: "Habt Geduld mit politischen Neulingen"

Die Piraten wählen einen neuen Chef. Die beiden Top-Kandidaten sprechen im Interview über Anfängerfehler, Transparenz-Probleme und ihre Pläne bis 2013.

Herr Nerz, Herr Schlömer, Sie treten gegeneinander an, um Vorsitzende der Piratenpartei zu werden. Aber eine "Kampfkandidatur" soll es nicht sein. Was dann?

Sebastian Nerz: Bernd und ich haben in den letzten Jahren sehr gut zusammengearbeitet. Wir könnten auch beide mit der jeweils umgedrehten Rolle gut leben.

Bernd Schlömer: Sebastian und ich haben uns im Dezember unterhalten, wie es mit der Piratenpartei weitergehen könnte. Wir waren beide der Ansicht, dass personelle Kontinuität beim Aufbau der Piratenpartei wichtig ist. Sebastian hat damals überlegt, ob er noch einmal kandidiert oder ob er in eine Berufstätigkeit einsteigen möchte. Da habe ich gesagt, ich würde kandidieren. Irgendwann entschied er sich doch anzutreten. Ich bin aber kein Parteisoldat, der deswegen nun zurückweicht. Es ist keine Kampfkandidatur, sondern ein Angebot an die Piraten, unterschiedliche Menschen wählen zu können.

Beschreiben Sie doch einmal diese Angebote. Bitte jeder von Ihnen einen Satz über die Qualitäten des anderen.

Nerz: Bernd ist etwas ruhiger als ich. Er kann gelassener reagieren. Und er vertritt vielleicht eher die sozialpolitisch ausgerichtete Schiene der Piraten.

Schlömer: Sebastian ist ein guter Vernetzer, der immer daran interessiert ist, inhaltliche Lösungen zu formulieren. Er ist in der Ausrichtung liberal-pragmatisch.

Bevor wir zur inhaltlichen Ausrichtung kommen, noch eine Frage zu Ihrem Amzsverständnis, die unsere Leser interessiert: Darf der Parteivorsitzende der Piraten eigene Positionen entwickeln, oder ist er in erster Linie ein Sprachrohr der im Internet ermittelten Forderungen der Basis?

Schlömer: Der Parteichef ist Mediator, Koordinator, zum Teil auch Impulsgeber. Aber immer unter der Bedingung, dass er als primus inter pares die Interessen der gesamten Partei berücksichtigt. Anders als in anderen Parteien wirkt er wesentlich stärker nach innen.

Herr Nerz, Sie haben einmal gesagt, die Meinung des Piraten-Chefs sei irrelevant.

Nerz: Man muss unterscheiden, ob man nach innen oder außen wirkt. Innerparteilich bringe ich meine Meinung durchaus ein. Nach außen versuche ich die Meinung der Partei wiederzugeben.

Ist die Wahl eine Richtungsentscheidung?

Nerz: Würde ich nicht sagen. Der Parteichef hat relativ wenig Einfluss auf das Parteiprogramm. Da geht es eher um die öffentliche Wahrnehmung.

Schlömer: Die Wahl zwischen uns bedeutet nicht: Die Piraten entscheiden sich entweder für Sozial- oder Bürgerrechts-Liberalismus. Wichtig ist, dass wir liberale Grundwerte haben.

Schon recht links wirkt Ihr jüngster Parteitagsbeschluss für die Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommens.

Schlömer: Das ist kein linker Ansatz, sondern ein Vorschlag, der von unterschiedlichen Parteien immer wieder eingebracht worden ist.

Warum wehren Sie sich eigentlich so gegen die Einordnung ins Links-Rechts-Schema? Sie werben auch für den kostenlosen Nahverkehr. Ist das nicht klassische linke Politik? Manche unserer Leser sagen sogar: Sozialpopulismus.

Nerz: Das Links-Rechts-Schema beschränkt eine Partei, auf eine bestimmte Richtung von Ideen. Das ist aber völliger Unsinn. Man sollte den politischen Inhalt anschauen.

Wie die Piraten auf Antisemitismus reagieren

Nur verlangen Wähler von einer Partei ja auch eine gewisse Kalkulierbarkeit.

Nerz: Die CDU hat sich in dieser Legislaturperiode radikal geändert. SPD und Grüne als Regierungspartei ebenfalls. Ich glaube nicht, dass die Verortung in einem Rechts-Links-Schema davor schützt.

Schlömer: Dieses Schema trägt zur Politikverdrossenheit bei. Viele Politiker dreschen Worthülsen, die der damit verbundenen Erwartungshaltung dienlich sind, aber die Bürger wollen pragmatische Antworten, die ehrlich geäußert werden.

Besteht nicht die Gefahr, dass auch andere sie vereinnahmen, wenn Sie sich nicht verorten wollen? Sowohl ganz linke als auch ganz rechte Gruppen sind an den Piraten interessiert.

Nerz: Ich glaube nicht, dass es organisierte Versuche gibt, sondern das sind immer wieder Einzelpersonen, die glauben, sie können schnell an Macht und Einfluss kommen oder der Partei eine neue Richtung geben.

Schlömer: Die politische Meinungsbildung bei uns ist sehr offen und transparent angelegt. Wer bei den Piraten Vorschläge artikulieren will, muss sich einer breiten Debatte stellen. Und diese Debatte wirkt wie ein Korrektiv, das ideologische oder extremistische Positionen ausmerzt. Wenn einzelne Piraten sich so äußern, dass es nicht den Grundsätzen der Partei entspricht – zuletzt gab es antisemitische Äußerungen –, dann wird darauf via Twitter innerhalb kurzer Zeit aufmerksam gemacht.

Wird Ihr Programm bis zur Bundestagswahl 2013 noch konkreter? In vielen Politikbereichen haben Sie Leerstellen. Es gibt keine Piraten-Position zur Finanz-, Außen-, Wirtschafts- oder Gesundheitspolitik.

Schlömer: Wir sind bisher nur in einem Länderparlament vertreten. Äußerungen zur Außen- und Sicherheitspolitik können wir als nachrangig betrachten. Woran wir arbeiten, was aber noch nicht entscheidungsreif ist, sind Positionen in der Wirtschaftspolitik. Persönlich würde ich mir wünschen, dass wir eine Wirtschaftspolitik definieren können, die sich am Menschen orientiert und nicht nur auf Wachstum ausgerichtet ist. In der Gesundheitspolitik haben wir uns schon geäußert, etwa gegen den Lobbyismus im Gesundheitswesen.

Nerz: Ich glaube schon, dass wir im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik grundsätzliche Ziele verabschieden müssen. Zum Beispiel: Wo wollen wir hin mit Europa? Wollen wir stärker auf eine föderale Union setzen oder auf eine supranationale Organisation? Aber es ist nicht wichtig, in diesen Bereichen Detailkonzepte vorzulegen. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir sie 2013 umsetzen können, ist relativ gering.

Wird der neue Parteichef auch Spitzenkandidat?

Unsere Leser fragen: Ist eine Stimme für die Piraten nicht letztlich gleichbedeutend mit einer Stimme für eine Große Koalition, weil Sie ja gar nicht für die Regierung in Frage kommen?

Nerz: Das kann man dann ja auch den Grünen vorwerfen. Die schließen vermutlich eine Koalition mit der Linken aus und könnten so einer Großen Koalition den Weg bereiten.

Schlömer: Diskussionen über Koalitionen würde ich erst mal zurückweisen. Wir müssen bescheiden bleiben.

Regierungsteilhabe schließen Sie generell aus?

Schlömer: Wenn man in Deutschland eine Partei gründet, dann durchläuft eine Partei Entwicklungsstufen. Erst formiert sie sich, formuliert ihre Ziele, dann nimmt sie an Wahlen teil, so gelingt sie eventuell ins Parlament. Und die höchste Stufe wäre die Regierungsverantwortung. Wir sind allerdings erst in der Situation, dass wir an Wahlen teilnehmen. Da wären Koalitionsaussagen verfrüht.

Aber hat der Wähler nicht das Recht zu wissen, ob es sich bei den Piraten um eine potentielle Regierungspartei handelt? Bald treten sie im Saarland und in Schleswig-Holstein an.

Schlömer: Die Piratenpartei will an der Meinungsbildung im Parlament teilhaben und diese beeinflussen. Ob man das in Mehrheiten macht oder in der Opposition, muss man denen überlassen, die sich zur Wahl stellen.

Im Berliner Abgeordnetenhaus scheinen die Piraten bereits mit ihren Idealen Transparenz und Basisdemokratie in Konflikt zu geraten. Manche fürchten sich vor dem so genannten "Transparenzterror" bei Ihnen.

Nerz: Auch hier müssen wir uns weiterentwickeln. Man stellt fest, dass die ersten Ideen, die man hatte – wie sich eine Fraktion organisiert, wie man auf Feedback vom Landesverband reagiert – nicht ganz perfekt funktionieren.

Schlömer: Um die Berliner Kollegen zu verteidigen: Es sind gerade 120 Tage vorbei. Und die Abgeordneten stellen sich mit zunehmender Souveränität den Debatten. Man muss ein bisschen Geduld haben mit politischen Neulingen. Und zur Transparenz: Ich bin jetzt seit drei Jahren im Bundesvorstand und habe mehr als 300 Sitzungen hinter mir, die öffentlich gestreamt wurden und weltweit abrufbar waren. Das ist auch ein Gewöhnungsprozess, den man aushalten kann. Gleichzeitig muss es Freiraum für vertrauliche Gespräche geben.

Wird der künftige Parteichef auch Spitzenkandidat für 2013 sein?

Nerz: Darüber wird ein Parteitag entscheiden, ob wir überhaupt einen Spitzenkandidaten haben. Vielleicht ist es auch besser, wenn nur jede Landesliste einen Spitzenkandidaten bekommt.

Schlömer: Ich glaube, es hat viel Charme, wenn ein Bundesvorsitzender kein Mandat im Bundestag hat. Ich halte das als Gegengewicht zur Fraktion für sehr wichtig. Wenn ich Bundesvorsitzender werde, kandidiere ich wahrscheinlich nicht für ein Bundestagsmandat.

Und Sie, Herr Nerz?

Nerz: Wenn ein Parteichef kein Mandatsträger sein darf, würde man beides stark voneinander entkoppeln. Und wir wären weiterhin auf einen rein ehrenamtlichen Vorstand angewiesen. Doch. Mein derzeitiger Stand ist, dass ich für ein Mandat kandidieren möchte.

Dieses Interview ist ursprünglich bei Zeit Online erschienen.

Bernd Schlömer ist 40 Jahre alt und arbeitet in Berlin im Verteidigungsministerium als Referent im Hochschulreferat. Seit drei Jahren ist er Mitglied im Bundesvorstand der Piratenpartei.

Sebastian Nerz ist 28 Jahre alt und diplomierter Bioinformatiker. 2009 trat er den Piraten bei, seit Mai 2011 ist er Parteivorsitzender.

Markus Horeld, Michael Schlieben

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