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Piratenpartei: Piraten im Bermudadreieck

Bei der Bundestagswahl feierte die junge Partei einen kleinen Erfolg – nun fällt es ihr schwer, mehr daraus zu machen.

Von Anna Sauerbrey

Berlin - Die Euphorie des Wahlabends wurde auf Youtube archiviert. Ein Videoclip zeigt den Bundesvorsitzenden der Piratenpartei, Jens Seipenbusch, auf einer Couch im Berliner „Astra“. Der Münsteraner Uniangestellte hat dunkle Ringe unter den Augen, aber er wirkt glücklich. 847 870 Deutsche, zwei Prozent, haben die 2006 gegründete Partei gewählt. „Morgen geht es weiter“, ruft Seipenbusch den Feiernden zu.

Nur wie? Darüber macht sich an einem regnerischen Tag einige Wochen nach der Wahl auch Nicole Hornung Gedanken. Die selbständige Informatikerin ist Mitglied im Bundesvorstand. Sie sitzt in einem Ladenbüro in Berlin Mitte, weit weg von ihrer hessischen Heimat. Um sie herum stapeln sich Getränkekisten, die spärlich eingerichtete Bundesgeschäftsstelle mutet noch recht provisorisch an. „Wir müssen unsere Strukturen den gestiegenen Mitgliederzahlen anpassen“, sagt sie und berührt damit eines von vielen Problemen der Partei.

Zwischen Mai und September haben sich die Piraten unter dem Eindruck der Internetgesetzgebung der großen Koalition verzehnfacht, auf rund 11 000 Mitglieder. Zwar ist der Zustrom nach der Wahl abgeflacht. Dennoch ist die Partei aus ihrer basisdemokratischen Satzung herausgewachsen. Mechanismen für die Delegiertenwahl zu Parteitagen etwa gibt es nicht, jeder kann kommen. Trotzdem sind viele Mitglieder gegen radikale Änderungen. „Wir sind sehr allergisch, was Hierarchien angeht“, sagt ein Berliner Pirat. Dass er damit richtig liegt, bewiesen die Piraten in NRW. Deren Satzung sah vor, ab einer bestimmten Mitgliederzahl Delegiertenwahlen einzuführen. Auf einer Landesversammlung im November wurde die Regelung gestrichen – um eine Debatte zu vermeiden und die Kräfte auf den Landtagswahlkampf konzentrieren zu können, wie ein Sprecher sagt.

Während die Piraten in NRW über ihre Satzung entschieden haben, ist Nicole Hornung schon wieder in ihre hessische Heimat zurückgekehrt. Wie alle Piraten engagiert sie sich ehrenamtlich. Vor und nach der Wahl hat sie eine berufliche Auszeit genommen und die Bundesgeschäftsstelle betreut. Doch ihre IT-Firma von Berlin aus zu führen, ließ sich nicht länger bewerkstelligen. In der Geschäftsstelle übernahm Michael Ebner – ein weiterer Ehrenamtlicher.

Politprofis hat die Partei kaum, nur zwei Piraten haben in Deutschland ein Mandat inne, beide sitzen in Stadträten in NRW. Einer von ihnen ist Thomas Gerger, 22, Chemie-Student. Seit Ende Oktober ist der Pirat Ratsherr in Aachen, die „Sach- und Kommunikationsmittel“, die die Stadt auch Ratsherren ohne Fraktion oder Gruppe zur Verfügung stellen müsste, stehen noch aus. „Ich versuche gerade, mich in der Verwaltung durchzutelefonieren“, sagt Gerger.

Theoretisch stehen auch den Bundespiraten Zuschüsse zu, 85 Cent pro Wählerstimme, das wären rund 720 000 Euro. Geld, um ein professionelles Rückgrat zu schaffen. Doch der Betrag ist fiktiv. Mit dem Rechenschaftsbericht, der Ende des Jahres eingereicht werden soll, taten sich die Piraten schwer. In vielen eilig gegründeten Landesverbänden lag die Buchführung im Argen. Des Weiteren ist die Bezuschussung gedeckelt. Parteien können nicht mehr erhalten, als sie selbst in einem Rechnungsjahr eingenommen haben. Nennenswerte Zuschüsse sind erst für das Jahr 2009 zu erwarten – und die werden erst 2011 ausgeschüttet.

An der Basis wird jede Entwicklung kritisch verfolgt, in Berlin zum Beispiel jede Woche im Kreuzberger „Breipott“ beim offenen Piratentreffen. „Wie hoch ist eigentlich euer Frauenanteil“, fragt eine Interessentin einmal. Noch so ein Problem, Piratinnen gibt es nur sehr wenige. Ein anderer Interessent fragt, ob die Piraten eine soziale oder liberale Wirtschaftspolitik befürworten. Der Angesprochene überlegt. Sozialisten seien sie jedenfalls nicht, sagt er schließlich. „Mittelfristig müssen wir unsere Themen maßvoll erweitern“, gibt Andreas Baum zu, Landesvorstand der Piraten in Berlin.

Dass das gelingen könnte, hält Christoph Bieber für möglich. „Aus Sicht der Piraten ist das Thema Internet nicht so eng, wie es auf den ersten Blick scheint“, sagt der Gießener Politikwissenschaftler, der die Entwicklung der Piraten mit großem Interesse verfolgt. „Das Thema lässt sich um den Aspekt der Bildung erweitern, es ist ein wirtschaftspolitisches Thema und auch ein sozialpolitisches, denkt man etwa an die digitale Spaltung.“

Ob die Piraten gebraucht werden, entscheiden schließlich die Wähler. Denen stellt sich die Partei im Mai in NRW. Wie die „Parteiwerdung“ der Piraten ausgeht, sei noch schwer zu sagen, sagt Politikwissenschaftler Bieber. „Es sind beide Entwicklungen denkbar. Gut möglich ist eine längerfristige Entwicklung – aber auch eine Zerreißprobe.“

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