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Anschluss verloren. Die Führung der Piratenpartei kann den Streit in den eigenen Reihen nicht eindämmen. Jetzt soll eine Online-Befragung zum Personal den Dauerstreit schlichten helfen. Aber auch gegen diese Methode gibt es schon die ersten Boykottaufrufe.

© picture alliance / dpa

Piratenpartei zerlegt sich selbst: Angriff von innen

Der Abstieg der Piratenpartei beschleunigt sich. Nun machen Gewaltandrohungen gegen einen Funktionär Schlagzeilen, und die Personaldebatte geht weiter. Der Bundesvorstand will sie mit einer E-Mail-Umfrage befrieden - doch schon kursieren Aufforderungen zum Boykott.

Berlin - Der Abstieg der Piratenpartei beschleunigt sich. Der verbissen geführte interne Streit ums Personal geht unvermindert weiter – und die Partei verlor innerhalb von 24 Stunden zwei Landesvorsitzende, Lars Pallasch aus Baden-Württemberg und Michael Hensel aus Brandenburg. Pallasch machte am Mittwochabend „Androhungen von körperlicher Gewalt“ öffentlich. Es habe diese nicht nur gegen ihn, sondern auch gegen seine Frau und seine beiden kleinen Söhne gegeben, schrieb er an seine Parteifreunde. Er hat Anzeige erstattet und ist aus der Partei ausgetreten.

Pallaschs Rückzug wirft ein Schlaglicht auf das politische Klima bei den Piraten. Er habe seit Monaten regelmäßig E-Mails bekommen, in denen er als „Bremser“ oder „anti-progressives Arschloch“ bezeichnet worden sei, erklärte er. Er sei sich sicher, dass mindestens sechs Personen hinter den Mails stecken müssten. Auch bei den Gewaltandrohungen müsse er davon ausgehen, dass es verschiedene Absender gebe. Infrage kämen nur Piraten, denn die Schreiber hätten Parteiinterna erwähnt, teilweise sogar Informationen, die nur Vorstände etwa von Kreisverbänden kennen könnten. „Bei meiner Familie hört der Spaß auf“, schrieb Pallasch. Er thematisierte zudem, womit die Piraten seit Monaten kämpfen: eine massive Überforderung der ehrenamtlich arbeitenden Vorstände.

Spitzenfunktionäre äußerten sich entsetzt über die von Pallasch öffentlich gemachten Drohungen. Der Bundesvorsitzende Bernd Schlömer sagte: „Wenn wir die Leute finden, schmeißen wir sie raus.“ Zu keinem Zeitpunkt hätten Gewaltandrohungen in der Partei einen Platz gehabt. Parteivize Sebastian Nerz, der wie Pallasch aus Baden-Württemberg kommt, sagte, er sei „erschüttert“, dass es unter Piraten jemals so weit habe kommen können.

Der Brandenburger Hensel erklärte am Donnerstag seinen Rücktritt als Landeschef, will seine inhaltliche Arbeit aber fortsetzen. Er begründete seinen Schritt mit Überlastung: „Locker mehr als 20 Stunden in der Woche“ könne er neben Beruf und Familienleben nicht länger für das Amt aufbringen. Die sich verschlechternde Stimmung in der Partei habe ihr Übriges getan, ihm sei der Spaß „nahezu verloren gegangen“.

Seit Monaten führen die Piraten exzessiv Personaldebatten, während es kaum gelingt, inhaltliche Akzente zu setzen. Es häufen sich Wortmeldungen von Parteimitgliedern, die ihren Unmut kundtun – oder gleich den Parteiaustritt erklären. Im Zentrum des Streits steht der zerstrittene Bundesvorstand, hier vor allem die Person des Politischen Geschäftsführers Johannes Ponader. Er gilt unter Vorstandskollegen als nicht teamfähig. Ponader forderte wiederholt, auf dem anstehenden Bundesparteitag im Mai den Vorstand neu zu wählen und behindert damit aus Sicht von Vorstandskollegen die dringend notwendige Konzentration auf Inhalte. Die Personalie spaltet die Partei, Rücktrittsforderungen werden ebenso laut wie Solidaritätsbekundungen.

Pallasch wandte sich in seinem Rücktrittsschreiben gegen Ponader: „Treten Sie umgehend zurück! Sie schaden sich, Sie schaden der Piratenpartei, Sie schaden jedem, der sich politisch engagiert.“ Andreas Baum, Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus, sagte dem Tagesspiegel: „Ich kann die Rücktrittsforderungen sehr gut nachvollziehen, ohne dass ich sie in der Öffentlichkeit wiederhole.“

Seit Mittwochabend läuft eine Online-Umfrage unter allen Mitgliedern, mit der der Bundesvorstand versucht, die ausufernde Debatte einzudämmen. Die Piraten können abstimmen, ob sie auf dem Parteitag Neuwahlen oder eine Weiterentwicklung des Programms wollen, können aber auch die bisherige Leistung jedes einzelnen Vorstandsmitglieds per Schulnote bewerten. Viele allerdings werten das als Affront gegen Ponader und wollen – unabhängig davon, wie sie dessen Leistung beurteilen – kein solches Scherbengericht über Einzelpersonen abhalten. So kursieren nun Aufforderungen zum Boykott der Umfrage – aber auch schon Aufforderungen zum Boykott des Boykotts.

Der Parteichef demonstriert unterdessen Optimismus. Dem Tagesspiegel sagte Schlömer, er halte den erhofften Einzug im September in den Bundestag nach wie vor für realistisch. In einer parteiinternen Mail allerdings hatte er kürzlich zugegeben, der Einzug sei zwar nicht unmöglich – aber die Chancen seien „nicht groß“.

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