zum Hauptinhalt
Die PKK-Kurdenrebellen stellen den bewaffneten Kampf ein und ziehen sich aus der Türkei zurück. Sie folgen damit einer Anweisung des inhaftierten PKK-Chefs Öcalan.

© dpa

PKK-Kämpfer trauen der Türkei nicht: Friedensprozess könnte in neue Gewalt umschlagen

Mit dem Abzug der PKK-Rebellen aus der Türkei erreicht der türkisch-kurdische Friedensprozess eine neue Dimension. Dennoch: Viele Kurden bleiben skeptisch und vertrauen ausschließlich ihrem inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan.

Ihre Ehemänner und Söhne kämpfen als Mitglieder der PKK-Kurdenrebellen gegen den türkischen Staat – und sie selbst sind sehr skeptisch, was den Friedensprozess zwischen Ankara und den Kurden angeht. Ehefrauen und Mütter von PKK-Kämpfern trauen der türkischen Regierung nicht über den Weg und wollen notfalls weitere Jahre des Krieges auf sich nehmen. Trotz des am Mittwoch begonnenen PKK-Abzuges aus der Türkei wird deutlich, wie leicht der Friedensprozess in neue Gewalt umschlagen könnte.

Der Rückzug der Kurdenrebellen, den die PKK mit eigenen Fotos von Guerillatrupps veranschaulichte und der bis zum Spätsommer abgeschlossen sein soll, ist das Resultat von monatelangen Verhandlungen zwischen dem inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan und dem türkischen Staat. Die ersten 50 der insgesamt etwa 2000 PKK-Kämpfer in der Türkei überquerten am Mittwoch mit ihren Waffen in der südostanatolischen Provinz Hakkari die Grenze zum Nordirak; dort sollen sie warten, bis eine politische Gesamtlösung ausgehandelt ist.

Geht nach den Plänen der türkischen Regierung, wird die PKK nach einer Grundsatzeinigung ihre Waffen an die Behörden der nordirakischen Autonomiezone übergeben und ihre Kampfverbände auflösen. Dann wäre der 1984 begonnene Krieg vorbei, die Türkei könnte aufatmen. Schon jetzt berichten die Zeitungen von geplanten Milliardeninvestitionen im verarmten Kurdengebiet.

Doch nicht alle Kurden sind überzeugt davon, dass nach mehr als 40.000 Toten und drei Jahrzehnten des Krieges nun der Frieden vor der Tür steht.

Zwei Jahre ist es her, dass der Sohn von Asye Kilic „in die Berge“ ging, zur PKK. Seitdem hat sie den heute 18-jährigen nicht mehr gesehen, und vielleicht wird sie ihn auch nie wieder in die Arme schließen können. Dennoch ist Kilic stolz. „Ich bereue es nicht, dass unsere Kinder in den Bergen sind“, sagt sie. „Wenn wir jung genug wären, würden wir auch gehen.“

Kilic ist eine von drei Kurdinnen, die zu einem von kurdischen Aktivisten vermittelten Treffen in einer Wohnung in einem armen Istanbuler Vorort zusammen gekommen sind. Die Frauen mit den traditionellen weißen Kopftüchern sitzen auf Kissen auf dem Boden, im Fernsehen in der Ecke läuft der PKK-nahe Kurdensender Nuce-TV. Es gibt Tee aus tulpenförmigen Gläsern. Natürlich wollten auch die Kurden den Frieden, sagt Kilic. „Aber wenn man uns betrügen will, dann sind wir dagegen.“

Es sind Menschen, die vom fast 30-jährigen Kurdenkrieg aus ihren ostanatolischen Dörfern vertrieben wurden und die auch in Istanbul über Repressalien der Sicherheitskräfte und über eine Diskriminierung im Alltag klagen. Der lange Krieg hat einen tiefen Graben zwischen Türken und Kurden aufgerissen. „Mein Nachbar sagt, er wolle keine Kurden sehen“, sagt Ayse Yavuz, die Sitznachbarin von Kilic. „Türken wollen nicht mit Kurden zusammen leben.“

Yavuz kommt gerade von einem Besuch bei ihrem Sohn zurück, der wegen PKK-Mitgliedschaft seit drei Jahren im Gefängnis sitzt. Ihr Mann ist seit fünf Jahren „in den Bergen“. Hoffnung, dass die Familie eines Tages als Resultat des Friedensprozesses wieder zusammen sein wird, hat sie keine. „Er kommt nicht zurück“, sagt sie über ihren Mann.

Allein das Ansehen des inhaftierten PKK-Chefs Abdullah Öcalan bringt Leute wie Ayse Yavuz dazu, die Friedensgespräche nicht gleich als gigantischen Täuschungsversuch der türkischen Seite abzuschreiben. „Wir vertrauen nur Herrn Öcalan“, sagt die Kurdin. „Wir tun, was er sagt.“

Der seit 1999 inhaftierte Öcalan verhandelt seit Dezember mit dem türkischen Geheimdienst MIT über Wege zur friedlichen Lösung des Kurdenkonflikts. Im März rief der PKK-Gründer aus der Haft heraus die Rebellen auf, den im Jahr 1984 aufgenommenen bewaffneten Kampf einzustellen und sich aus der Türkei zurückzuziehen. Die PKK gehorcht. Doch an der Basis gibt es erhebliche Zweifel am Friedensprozess. Die kurdischen Frauen in der Istanbuler Wohnung vermissen konkrete Entscheidungen in Ankara.

Sollte es nach dem Abzug der PKK keine entscheidenden Schritte des türkischen Staates zur Stärkung kurdischer Rechte geben, dann werde der bewaffnete Kampf wieder aufgenommen, ist Ayse Yavuz sicher. „Natürlich wird die Guerilla dann wieder in die Türkei zurückkehren."

Eine Garantie des kurdischen Existenzrechtes in der neuen türkischen Verfassung sowie die Zulassung von kurdischem Sprachunterricht bereits im Grundschulalter gehören zu den Hauptforderungen der Kurden, denen sich auch die in der Wohnung versammelten Frauen anschließen. Für sie, deren Verwandte teilweise seit Jahren hinter Gittern sind, ist die Freilassung aller kurdischer Gefangener ein ebenso wichtiges Anliegen.

Für Sultan Basdas etwa, deren Bruder seit vier Jahren wegen PKK-Mitgliedschaft einsitzt, gehört es zu einer Friedenslösung, dass sich die Gefängnistore im ganzen Land öffnen. „All sollten rauskommen, auch Öcalan“, sagt sie.

Doch eine solche Generalamnestie schließ der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan aus, zumindest derzeit. Überhaupt ist offen, welche politischen Zugeständnisse der von Nationalisten als Vaterlandsverräter angefeindete Erdogan den Kurden und der PKK als Gegenleistung für das Ende des bewaffneten Kampfes machen will. Diese Ungewissheit sowie die nationalistischen Töne, die hin und wieder aus Ankara kommen, haben das Vertrauen der Kurden in den Friedensprozess erschüttert.

„Noch vor drei Monaten sprach Erdogan von ‚einer einzigen Fahne und einer einzigen Sprache‘“ für die ganze Türkei, sagt Ayse Yavuz. „Wie sollen wir da an Frieden glauben?“ 

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false