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Plagiatsaffäre der Bildungsministerin: Annette Schavan: Die graue Unbekannte

Aus dem Kabinett Merkel sticht Annette Schavan nicht heraus. Bislang hat ihr das nicht geschadet, da sie eine Vertraute der Kanzlerin ist. Doch mit der Blamage um ihren Doktortitel wird sie plötzlich zur Gefahr. Jetzt könnte sie ihrer Partei einen letzten Gefallen erweisen.

Von Robert Birnbaum

Ausgerechnet „Person und Gewissen“! Hätte sie sich nicht irgend was Unverfängliches vornehmen können, irgendwas mit kognitiver Evaluation oder depravierter Dissonanz oder einem anderen dieser aufgeplusterten Modewörter der Erziehungswissenschaften in den 80er Jahren? Hätte sie, wenn sie nicht Annette Schavan wäre.

Immer gleich hoch hinaus, im Geiste wenigstens nach den Sternen greifen ... „Person und Gewissen“, ein Jahrhundertthema für eine Doktorarbeit, mehr als würdig einer späteren Bundesministerin für Bildung und Wissenschaft. Und jetzt steht sie plötzlich da, die Person, und muss ihr Gewissen befragen; bloß anders als gedacht.

Am Tag danach herrscht erst mal eine Art dröhnendes Schweigen. In Berlin ist eh nicht viel los in der Woche vor Karneval, die halbe politische Prominenz auf Auslandsreise, auch die Ministerin Schavan absolviert gerade eine Fünf-Tage-Tour in Südafrika, die für die deutsche Wissenschaft bestimmt wichtig ist.

Aber natürlich haben alle in den Spätnachrichten den Professor Doktor Bruno Bleckmann angesehen, wie er das Urteil verkündete. Bleckmann ist Dekan der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Das triste Betongrau um ihn herum lässt die Worte noch schärfer wirken, die der Mann mit dem markanten Stoppelhaarschnitt hervorstößt: „Systematisch und vorsätzlich“ habe die Doktorandin Schavan von anderen Autoren abgeschrieben, ohne das kenntlich zu machen - „gedankliche Leistungen, die sie in Wirklichkeit nicht selber erbracht hat“. Plagiat. Entzug des Doktortitels – zwölf Stimmen dafür im Fakultätsrat, zwei dagegen, eine Enthaltung, klares Votum.

Schavans Anwälte kündigen Klage vor dem Verwaltungsgericht an. Sie schreiben etwas von Verfahrensfehlern und nicht gewahrter Verhältnismäßigkeit. Die Opposition fordert den Rücktritt. Ein paar CDU-Abgeordnete twittern hilflos zornige Sätze. Der Unionsfraktionsvize Michael Kretschmer empört sich über die Universität und das Verfahren. Aber wichtig ist nicht, wer redet. Wichtig ist, wer erst mal schweigt. Nämlich jeder, der in CDU und CSU Rang und Namen hat.

Das hat etwas mit der Sache an sich zu tun, aber auch mit der Person. Annette Schavan ist einer breiteren Öffentlichkeit bestenfalls als die kleine graue Unauffällige bekannt, die vermutlich seit Ewigkeiten die bundesdeutsche Forschungspolitik vertritt. In der Union weiß jeder, dass sie viel mehr ist. „Merkel-Vertraute“ heißt das Etikett, das in ihrem Fall stimmt. Die sichtbarste Bestätigung dafür lieferte ausgerechnet ein Bild, das die Kanzlerin und ihre Ministerin in triumphalem Einverständnis nebeneinander zeigte, zwei Schulmädchen, die es den Jungs gezeigt hatten: Merkel, wie sie Schavan ihr Handy zeigt, beide grinsen, und ziemlich genau im gleichen Moment kündigt in Berlin Karl-Theodor zu Guttenberg seinen Rücktritt an. Das Bild war damals schon unklug.

Heute schlägt es zurück, so wie der Satz, mit dem Schavan seinerzeit dem Plagiator Guttenberg den politischen Todesstoß versetzt hat: „Als jemand, der selbst vor 31 Jahren promoviert hat und in seinem Berufsleben viele Doktoranden begleiten durfte, schäme ich mich nicht nur heimlich.“

Jeder – inklusive Guttenberg – las das sofort als Botschaft in Merkels Auftrag. Schavan hat sich in ihren 14 Jahren als CDU-Vizevorsitzende nur selten zu Themen außerhalb ihres engsten Fachbereichs geäußert. Jedes Mal wirkte es wie Sperrfeuer für die Vorsitzende.

Das hat übrigens sehr früh angefangen, noch zu Zeiten, als an eine Parteivorsitzende und Kanzlerin Merkel nur sehr wenige dachten. Zum Beispiel an jenem denkwürdigen Wochenende im Februar 2000, als die CDU-Spitze zur Klausur in Norderstedt beisammensaß und Schavan einen Zeitungsbericht hervorzog, in dem zu lesen war, dass der rachsüchtige Spendensünder Helmut Kohl einen Putsch gegen den Parteichef Wolfgang Schäuble plane und seinen Vertrauten Jürgen Rüttgers an die Parteispitze bugsieren wolle.

Schavan hat zweifellos gemogelt - und das weiß sie auch

Damals war das Web erst wenige Jahre alt und das Smartphone noch nicht mal erdacht, Zeitungsberichte vom nächsten Tag las man morgens am Kiosk. Schavans Alarmruf löste eine mediale Lawine aus. Schäuble wusste damals schon, dass seine Tage gezählt waren, weil er selbst eine anrüchige Parteispende verschwiegen hatte. Seine Generalsekretärin Merkel wusste das auch. Ob Schavan es wusste, ob Rüttgers’ Verblüffung echt oder gespielt war, als er anderntags in Norderstedt anreiste, ob es den Putschplan je gab, ist nie geklärt worden. Fest steht nur eins: Seit dem Tag war der Nordrhein-Westfale aus dem Rennen, das kurze Zeit später Merkel gewann.

Solche Geschichten verbinden. Anderes auch: die nüchterne Analyse des Politischen, die lächelnde Kühle, mit der beide die Machtspiele der Männer parieren und die eigenen spielen, die unbedingte Diskretion; aber auch die Fremdheit der ost-protestantischen Pastorentochter Merkel im Westen und die Fremdheit der fast gleich alten Katholikin Schavan, die es mit niederrheinischem Migrationshintergrund ins tiefste Baden-Württemberg verschlagen hat. Gerade erst hat der Kreisverband Ulm/Alb-Donau sie mit 96 Prozent und ohne die üblichen Gegenkandidaten als Kandidatin für die Bundestagswahl bestätigt. Erst als Bedrängte integriert sie die Wahlheimat ganz.

Aber da hatte der Dekan Bleckmann das Urteil ja auch noch nicht verkündet. Da war Schavan noch im Kampfmodus. „Ich habe nicht abgeschrieben, und ich habe auch nicht getäuscht“, hat sie ihrem Kreisverband versichert. Viel mehr hat sie nicht gesagt während dieses ganzen Verfahrens, nur einmal ein persönliches Interview in der heimischen „Südwest- Presse“: „Der Vorwurf der Täuschung hat mich bis ins Mark getroffen.“ Aber gleich wieder Haltung annehmen: „Bloß kein Selbstmitleid!“ Letzte Woche hat sie ein Parteifreund mal unter vier Augen auf die Sache angesprochen. Schavan hat ihn bloß mit diesem unergründlichen knappen Lächeln von unten angeschaut und gesagt: „Das wird schon.“

Es wird aber nicht mehr. Das liegt auch an den Umständen dieses Falls, der in vielerlei Hinsicht ein Sonderfall ist. Schavan hat zweifellos gemogelt und gegen wissenschaftliche Standards verstoßen. Sie muss das auch gewusst haben – man vergaß selbst im Zeitalter der Schreibmaschine nicht, dass man gar nicht Sigmund Freud gelesen hat, sondern bloß Bücher über den Vater der Psychoanalyse. Über die Frage, wie schwer das wiegt, lässt sich streiten – die Standards der Wissenschaft verbieten es, von Guttenbergs dreistem Copy-and-Paste ist es andererseits sehr weit entfernt. Streiten lässt sich über die Frage, ob es in Ordnung ist, dass Totschlag nach 30 Jahren verjährt, aber die Eitelkeit einer Studentin gesühnt wird bis ans Lebensende. Streiten lässt sich darüber, ob eine Universität die richtige Richterin ist, die für sie nach peinlichen Indiskretionen in einem Selbstrechtfertigungszwang stand, der sie vielleicht päpstlicher werden ließ als den Papst.

Man kann all diese Fragen stellen. Aus den großen Wissenschaftsorganisationen sind sie gestellt worden. Man darf sie nur genau in diesem einen Fall nicht stellen. Wenn für eine Bundesministerin für Bildung und Wissenschaft die Regeln der Wissenschaft neu geschrieben würden, und wäre es drei Mal sachlich berechtigt, die Wissenschaft würde sich doch nie mehr vom Verdacht der Gefälligkeit erholen. Dass sich Organisationen und Forscher für die Person Schavan verwendeten, die der Ministerin Schavan dankbar sein können, ist schon degoutant genug. Das ist alles menschlich ungerecht. Aber für eine Spitzenpolitikerin gelten andere Regeln als für andere – auch zu ihrem Nachteil.

Dass Schavan gehen muss, gilt als ausgemacht

Am Mittwoch früh kommt Annette Schavan aus dem Gebäude der deutschen Softwareschmiede SAP in Johannesburg. Draußen vor der Glastür warten ein paar Kameras. Schavan trägt eine Bluse, die wie schwarzes Tarnfleck wirkt, bis man die Blumenmuster darauf erkennt, dazu ihr übliches Gesicht. „Die Entscheidung der Universität Düsseldorf werde ich nicht akzeptieren und dagegen Klage einreichen. Mit Blick auf die juristische Auseinandersetzung bitte ich um Ihr Verständnis, dass ich heute keine weitere Stellungnahme abgebe.“ Sie dreht ab zur Seite. Einer der Reporter ruft ihr eine Frage nach, von wegen „Belastung im Bundestagswahlkampf“. Schavan antwortet nicht.

Dabei ist diese Frage die entscheidende. Bildung und Forschung sind normalerweise nicht so die großen Plakatthemen in Bundestagswahlkämpfen. Dass Schavan für die meisten Leute die kleine graue Unbekannte geblieben ist – „bisher hat das nicht geschadet, weil sie keine Rolle gespielt hat“, sagt einer von denen mit Rang und Namen in der Union, die öffentlich so beharrlich schweigen. Ab jetzt spielt sie eine Rolle, und absehbar keine schöne. Die Wissenschaftsministerin als Plagiatorin – was für ein Fressen für jede Opposition! Noch sind die Stimmen dort leise, auch weil mancher bei SPD und Grünen Schavan als faire Verhandlungspartnerin schätzt. Aber bald, sagt ein anderer aus der engeren CDU-Spitze, bald werde die Opposition die Flamme hochdrehen unter dem Kessel, in dem Ministerin sitzt.

Am Mittag hat erstmal der Regierungssprecher auf der Bank der Bundespressekonferenz Platz genommen. Angela Merkel, sagt Steffen Seibert, habe „volles Vertrauen“ zu Frau Schavan. Sie schätze ihre Arbeit als Ministerin außerordentlich. Und dass Schavan erst mal ihre Reise beenden solle. Die Kanzlerin sei mit ihr „in gutem Kontakt“, nach der Rückkehr werde „über alles zu reden sein“.

Über alles. Es ist nicht so schwer, sich auszumalen, was dieses „Alles“ umfasst. Angela Merkel ist immer politische Darwinistin gewesen: Wer sich bewährt, den lässt sie gewähren, wer loyal zu ihr ist, dem gibt sie die Loyalität zurück. Aber wer scheitert oder zur Gefahr wird, der muss gehen. Schavan, glaubt einer, werde das verstehen: „Solidarität und Dankbarkeit sind bei ihr selbst ja auch nicht so stark ausgeprägt.“

Aber dass sie gehen muss, gilt unter denen, die öffentlich schweigen, als ausgemacht. Nicht, weil sie schuldig sei, sondern weil sie nur noch schaden könne.

Person und Gewissen – sie hat damals nicht geahnt, wie konkret das einmal für sie werden wird. Annette Schavan kann ihrer engsten politischen Gefährtin einen letzten Gefallen erweisen. Und man kann Merkels Botschaft durchaus so verstehen, dass sie genau darauf vertraut.

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