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Die Ministerin und ihre Kanzlerin: Annette Schavan und Angela Merkel.

© dapd

Update

Plagiatsvorwürfe gegen Dissertation: Merkel: "Volles Vertrauen" zu Schavan

Nachdem ein Gutachten über ihre Dissertation bekannt wurde, ist Annette Schavan unter Druck: Hat sie in ihrer Dissertation getäuscht? Die Ministerin will in die Offensive gehen - doch die Kritik wächst. Renate Künast nennt ihr Verhalten "beschämend". Nun hat sich die Kanzlerin geäußert.

Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) ist durch die Plagiatsvorwürfe wegen ihrer Doktorarbeit in schweres Fahrwasser geraten. Die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion Renate Künast zog am Montag Schavans Glaubwürdigkeit in Zweifel. Der bildungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Ernst Dieter Rossmann, forderte den Rücktritt der Bildungsministerin, falls ihr wegen der Vorwürfe der Doktortitel aberkannt wird.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat unterdessen über Regierungssprecher Steffen Seibert ihr "volles Vertrauen" zu Schavan bekundet. Ob das auch bedeutet, dass Schavan ihr Ministeramt behalten wird, ließ Merkel allerdings offen. „Wir warten einfach die Reaktion der Universität ab“, sagte sie. Ihr Regierungssprecher Steffen Seibert hatte zuvor bereits betont, zuerst müsse der Promotionsausschuss der Universität über die Doktorarbeit entscheiden. „Auf der Basis dieser Entscheidung“ könne man dann weiterreden.

Nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ kommt ein Gutachter der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität zu dem Schluss, dass etliche Stellen von Schavans Dissertation das „charakteristische Bild einer plagiierenden Vorgehensweise“ trügen. Insgesamt soll es auf 60 der 351 Seiten langen Doktorarbeit beanstandete Textstellen geben. Die Uni muss jetzt entscheiden, ob sie Schavan deswegen ihren Doktortitel entzieht. Zuvor hatte bereits ein Blogger erklärt, er habe in der mehr als 30 Jahre alten Arbeit zahlreiche Stellen mit falsch gekennzeichneten Zitaten gefunden.

Die grüne Fraktionschefin Künast sagte am Montag, es sei beschämend, dass Schavan die Sache aussitzen wolle. Noch habe Schavan ihr Amt formal inne. „Aber die Glaubwürdigkeit, die sie für eine gute Amtsführung braucht, hat sie schon verloren“, sagte Künast der Düsseldorfer „Rheinischen Post“. „Eine für Wissenschaft zuständige Ministerin muss doch die Regeln des ehrlichen wissenschaftlichen Arbeitens hochhalten.“ Schavan versicherte der Zeitung: „Ich habe zu keinem Zeitpunkt bei der Arbeit an meiner Dissertation versucht zu täuschen. Sobald mir der Promotionsausschuss Gelegenheit dazu gibt, werde ich zu den Vorwürfen Stellung nehmen.“

Zudem kritisierte die Ministerin die Universität. „Es ist ein bemerkenswerter Vorgang, dass ein vertrauliches Gutachten eines Hochschullehrers der Presse vorliegt, bevor die Betroffene von der Existenz des Gutachtens weiß“, sagte sie der Zeitung weiter. Schavan hatte von dem Gutachten für die Promotionskommission erst aus den Medien erfahren. Erst auf Nachfrage der Ministerin hatte der Rektor der Universität Düsseldorf das 75-seitige Gutachten Schavan am vergangenen Wochenende zugeschickt. Schavan kündigte an, sich weiter an die Spielregeln zu halten „und mit der Universität nicht über die Öffentlichkeit zu kommunizieren“. Gegenüber der "Südwest-Presse" sagte Schavan am Montag in Bezug auf die Plagiatsaffäre, sie lasse sich "das nicht bieten". Nachdem sie fünf Monate „eisern geschwiegen“ habe, bleibe ihr nun nichts anderes übrig, als sich zu wehren, sagte die Politikerin weiter. „Das heißt, ich werde zu den Vorwürfen gegenüber der Universität Stellung beziehen.“ Sie zeigte sich zudem empört darüber, dass „ein Entwurf durchgestochen“ werde, der noch nicht einmal im Promotionsausschuss besprochen worden sei. Sie bekräftigte erneut, dass sie in ihrer 1980 verfassten Arbeit „keine Quelle bewusst falsch angegeben“ habe. Sie gehe daher davon aus, dass von den Vorwürfen „nichts übrig bleibt“.

Bereits am Sonntag hatte die Ministerin sich verletzt gezeigt: „Es trifft mich im Kern.“ Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, legte Schavan indirekt den Rücktritt nahe. Das „Urteil der Täuschungsabsicht“ sei schwerwiegend. Schavan habe im Fall Guttenberg „strenge Maßstäbe angelegt“. Sie müsse klären, ob diese auch für sie selbst gälten.

Der FDP-Bildungsexperte Patrick Meinhardt erklärte, Schavan müsse „in vollem Umfang die Chance haben, sich zu den Vorwürfen fachlich zu äußeren“. Das Verfahren müsse nun „absolut korrekt“ zu Ende gebracht werden.

„Person und Gewissen“ – so lautet der Titel der Promotion von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU), mit der sie vor 32 Jahren ihren Doktortitel an der Uni Düsseldorf erwarb.

Bereits im Mai hatte ein anonymer Plagiatsjäger auf der Internetseite „Schavanplag“ ( schavanplag.wordpress.com ) zahlreiche Stellen der Arbeit offengelegt, an denen die Ministerin plagiiert haben soll. Jetzt wird bekannt, dass auch ein Gutachter aus der Uni schwere Vorwürfe gegen Schavan erhebt, nachdem er die Arbeit eingehend geprüft hat.

Zu welchem Ergebnis kommt das Uni-Gutachten?

Annette Schavan (CDU) steht wegen Plagiatsvorwürfen unter Druck.
Annette Schavan (CDU) steht wegen Plagiatsvorwürfen unter Druck.

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An etlichen Stellen weise Schavans Arbeit „das charakteristische Bild einer plagiierenden Vorgehensweise“ auf. Diese Arbeitweise sei sogar „ein das Profil der Dissertationsschrift wesentlich mitprägendes Element“ – so lautet das Urteil des Gutachters. Schavan habe getäuscht, fasst er seine Analyse in folgendem Satz zusammen: „Eine leitende Täuschungsabsicht ist nicht nur angesichts der allgemeinen Muster des Gesamtbildes, sondern auch aufgrund der spezifischen Merkmale einer signifikanten Mehrzahl von Befundstellen zu konstatieren.“ Über das Gutachten berichten „Spiegel“ und „Süddeutsche Zeitung“.

Das vertrauliche Gutachten ist demnach 75 Seiten lang. Verfasst hat es Stefan Rohrbacher, seit 2002 Professor für Jüdische Studien in Düsseldorf, und Prodekan der Philosophischen Fakultät. Rohrbacher spielt eine wichtige Rolle in dem Prüfungsverfahren: Er steht dem Promotionsausschuss vor, der sich mit Schavans Dissertation befasst. Seine Untersuchung nahm Rohrbacher „auf der Grundlage der Originaltexte in Autopsie“ vor, wie es in dem Gutachten heißt. Rohrbacher wollte am Sonntag auf Anfrage nichts zu dem Gutachten sagen.

Laut „Spiegel“ beanstandet Rohrbacher Textstellen auf 60 der insgesamt 351 Seiten von Schavans Dissertation. Betroffen sei insbesondere der Teil der Arbeit, in dem sich Schavan mit Theorien über das Gewissen auseinandersetze. So gebe Schavan Ausführungen über bestimmte Philosophen als eigene Gedanken aus, obwohl sie die Ausführungen eigentlich von anderen Wissenschaftlern übernommen habe.

Als Beispiel wird eine Passage genannt, in der Schavan über Thesen der Wissenschaftler Wilhelm H. van der Marck und Josef Fuchs schreibe. Tatsächlich stütze sie sich auf ein Werk eines anderen Autors, das jedoch nicht genannt werde. Das Gutachten erkennt dabei „keine Anhaltspunkte für eine eigenständige Rezeption durch die Verfasserin“. Auch auf „Schavanplag“ wurde Schavan vorgeworfen, sie suggeriere, mit Originalquellen wichtiger Philosophen zu arbeiten, bediene sich tatsächlich aber aus Sekundärliteratur.

Bei ihren Textübernahmen seien Schavan sogar Fehler unterlaufen, heißt es nun in dem Uni-Gutachten. „Die flüchtig angewandte Collage-Technik führt mehrfach zu sprachlichen, sprachlogischen und inhaltlichen Problemen“, urteilt der Gutachter.

War der Autorin womöglich nicht klar, wie man wissenschaftlich richtig zitiert? Das schließt Rohrbacher aus. In der Dissertation würden sich durchaus „beispielhafte Belege für ein der Sache nach korrektes Regelverständnis“ finden, heißt es laut „Süddeutscher Zeitung“. Es sei also „von einer hinreichenden Vertrautheit der Verfasserin mit wesentlichen Regeln“ auszugehen.

Wie geht es mit dem Gutachten weiter?

Rohrbachers Gutachten soll dem Vernehmen nach an diesem Mittwoch erstmals im Promotionsausschuss diskutiert werden. Der achtköpfige Ausschuss, in dem Professoren, wissenschaftliche Mitarbeiter und ein studentischer Vertreter sitzen, kommt auf der Grundlage des Gutachtens zu einem Urteil und legt dann dem Fakultätsrat eine Empfehlung vor.

Die Entscheidung, ob Schavan ihr Doktortitel entzogen wird, trifft der Fakultätsrat, in dem neben Dekan und Prodekan Professoren, wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Mitarbeiter, Studierende sowie die Gleichstellungsbeauftragte vertreten sind. Einen Zeitplan hat die Universität Düsseldorf bislang nicht bekannt gegeben.

Zu dem Gutachten wollte sich ein Sprecher am Sonntag nicht äußern. Die Freie Universität, an der Schavan eine Honorarprofessur hat, will sich mit dem Gutachten befassen, sobald es offiziell ist, erklärte FU-Präsident Peter-André Alt auf Anfrage. Kommt die FU zu dem Schluss, dass Schavan massiv Regeln übertreten hat, kann sie ihr die Professur auch wieder aberkennen.

Schavan könnte auch den Rechtsweg einschlagen

Wie könnte Schavan sich verteidigen?

„Ich habe sorgfältig gearbeitet“, ließ Schavan am Sonntag über ihren Sprecher mitteilen: „Hier und da hätte man auch noch sorgfältiger formulieren können. Heute merke ich zum Beispiel, dass ich damals bei Freud noch ziemlich verdruckst war.“ Das geht in die Richtung eines großen Artikels in der „FAZ“ im Mai, mit dem ihr Heinz-Elmar Tenorth und Dietrich Benner zu Hilfe kamen, zwei emeritierte Erziehungswissenschaftler von der Humboldt-Universität.

Schavan habe aufgrund der Breite ihres Themas auch breit auf Forschungsliteratur zurückgreifen müssen. In „diesem See von Literatur“ habe sie sich dann „einige handwerkliche Fehler eingehandelt“, allerdings „weniger, als man bei dieser Gattung (von Dissertation, Anm. d. Red.) befürchten muss“.

Die Professoren hatten auch die Meinung vertreten, Schavan seien von „schavanplag“ fast nur Verstöße in dem Teil ihrer Dissertation nachgewiesen worden, in dem sie sich mit der Forschungsliteratur auseinander gesetzt hat. In anderen Teilen habe sie aber völlig eigenständige Gedanken entwickelt.

So sieht es auch ein Parteifreund Schavans, der Rohrbachers Gutachten nach eigener Aussage gelesen hat. Rohrbacher habe bei seiner „formalistischen Zitatsucherei“ Schavans „eigenständigen wissenschaftlichen Beitrag total aus den Augen verloren“. Sollte die Universität Schavan den Doktortitel aberkennen und sollte sich Schavan dazu gezwungen sehen, ihr Ministeramt aufzugeben, „würde das in keiner Relation zu ihrer Lebensleistung stehen“.

Schavan kann auch den Rechtsweg einschlagen, sollte ihr der Titel aberkannt werden. Sie hat ihr Studium direkt mit der Promotion abgeschlossen, hätte also ohne den Doktor keinen Studienabschluss mehr.

Was bedeutet das für die Bundeskanzlerin?

Schon was aus dem Gutachten bekannt ist, lädiert Schavan in dem von ihr gepflegten Image der bildungsbürgerlichen Leistungsträgerin. An den Hochschulen könnte der Eindruck entstehen, die Bundesbildungsministerin habe das Ansehen der Wissenschaft als Doktorandin beschädigt.

Unvergessen ist in der Öffentlichkeit auch die Rolle, die Schavan beim Rücktritt von Verteidigungsminister zu Guttenberg spielte. Sie schäme sich für ihn, hatte sie im Interview erklärt und hämisch grinsend gemeinsam mit der Bundeskanzlerin die SMS gelesen, in der er seinen Rückzug ankündigte.

Würde Schavan der Doktortitel aberkannt, müsste sich die Kanzlerin von ihrer Ministerin trennen. Merkel würde dann ein zweites Mal ein Kabinettsmitglied durch eine Plagiatsaffäre verlieren. Schavans politische Zukunft ist ohnehin begrenzt. Sie hat angekündigt, Anfang Dezember nicht mehr als CDU-Vizechefin zu kandidieren. (mit AFP/dapd)

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