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Verteidigungsminister Guttenberg gerät unter Druck, weil Teile seiner Doktorarbeit aus dem Jahr 2007 offensichtlich abgeschrieben sind. In dieser Bildergalerie zeigen wir Beispiele.

© dapd

Plagiatsvorwürfe: Muss Guttenberg seinen Doktortitel abgeben?

Verteidigungsminister Guttenberg hat Teile seiner Doktorarbeit aus dem Jahr 2007 abgeschrieben. Er selbst bestreitet das und ist zu einem Überraschungsbesuch in Afghanistan eingetroffen. Nun muss die Uni Bayreuth entscheiden, ob der Minister seinen Titel verliert.

Von Robert Birnbaum

Gerda Hasselfeldt nimmt es in Formfragen genau. „Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg“, hat die Vizepräsidentin des Bundestages neulich im Reichstag gesagt, als sie den Parteifreund ans Rednerpult bat. Der Aufruf hat das Zeug zur zeithistorisch bedeutsamen Randnotiz. Denn der Aufgerufene hat es in Formfragen nicht so genau genommen, als er vor fünf Jahren an der Universität Bayreuth seine Dissertation einreichte. Jetzt steht der Vorwurf des Plagiats im Raum: Guttenberg soll den Dr. jur. ermogelt haben.

Urheber der Vorwürfe, die die „Süddeutsche Zeitung“ am Mittwoch öffentlich machte, ist der Bremer Juraprofessor Andreas Fischer-Lescano. Der 38-jährige Jurist hat als Mitherausgeber in der Fachzeitschrift „Kritische Justiz“ eine Rezension von Guttenbergs Doktorarbeit verfasst. Die Besprechung hat es in sich. Dass Fischer-Lescano den wissenschaftlichen Ertrag des 475 Seiten starken Werks „Verfassung und Verfassungsvertrag – Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU“ als „bescheiden“ abtut und sich über die damalige Höchstnote „summa cum laude“ wundert, wird Guttenberg egal sein. Nicht egal ist das, was er „einige formelle Auffälligkeiten“ nennt und in der Anlage zu seinem Aufsatz dokumentiert. Von mindestens acht Autoren hat Guttenberg Textteile wörtlich oder mit geringsten Abweichungen übernommen, ohne sie als Zitate zu kennzeichnen.

Gorch-Fock-Affäre ist noch nicht ausgestanden

Für den Minister kommt die Sache zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt ans Licht. Die „Gorch-Fock“-Affäre noch nicht ausgestanden, schwere Kämpfe ums Geld für seine Bundeswehrreform vor sich, und dann eine Attacke auf den Kern der eigenen Glaubwürdigkeit – das setzt auch einem Politstar zu. Die Opposition feixte denn auch: Zum ersten Mal, spottet Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin, könne Guttenberg ein Problem nicht durch den Rauswurf anderer erledigen.

Guttenberg reagierte mit einer Mischung aus Angriff und Verteidigung. Er habe die Arbeit „nach bestem Wissen und Gewissen“ selbst verfasst und auch keine Mitarbeiter seines Bundestagsbüros eingespannt, ließ er erklären. Ausschließen mag er Unkorrektheiten nicht: „Ich bin gerne bereit zu prüfen, ob bei über 1200 Fußnoten und 475 Seiten vereinzelt Fußnoten nicht oder nicht korrekt gesetzt sein sollten und würde dies bei einer Neuauflage berücksichtigen.“ Aber, so Guttenberg: „Der Vorwurf, meine Doktorarbeit sei ein Plagiat, ist abstrus.“

Ablenkungsmanöver? Guttenberg ist nach Afghanistan gereist

Inzwischen ist Guttenberg zu einem Überraschungsbesuch in Afghanistan eingetroffen. Dies gab ein Sprecher des Verteidigungsministeriums am Mittwochabend bekannt. Details nannte er mit Verweis auf die nötigen Sicherheitsvorkehrungen nicht. Guttenberg ist zum neunten Mal in Afghanistan seit seinem Amtsantritt im Herbst 2009. Zuletzt war er im Dezember zwei Mal am Hindukusch. Zunächst mit seiner Ehefrau, was für viel Furore sorgte. Ein paar Tage später begleitete er Bundeskanzlerin Angela Merkel.

"Abstrus" ist ein starkes Wort – nur hat er wirklich abgekupfert. Im womöglich schwerwiegendsten Fall von Ideenklau war eine Frau das Opfer, die hierzulande auch das Fernsehpublikum kennt: Die Schweizer Autorin Klara Obermüller war 1989 eine der Vier im „Literarischen Quartett“. 2003 verfasste sie für die renommierte „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ) einen kleinen Aufsatz mit dem Titel „Gott hat keinen Platz in der europäischen Verfassung“. Drei Viertel des Artikels finden sich auf den Seiten 381 und 382 der Guttenberg-Dissertation wieder, und das ohne jeden Hinweis auf die Quelle.

Die Verfasserin findet das eine „zweifelhafte Ehre“. Obermüller mag auch nicht an „Schlamperei“ glauben: „Man nimmt nicht versehentlich eine so lange Passage aus einem Artikel, ohne zu kennzeichnen, woher man ihn hat“, sagt sie dem Fernsehsender N24. „Es kostet ja keine Mühe, Anführungszeichen zu machen – vorne eins, hinten eins, die Quelle angeben, und schon ist man schön raus und hat den Gedanken trotzdem drin.“ Das Dumme ist nur: Genau das hätte Guttenberg im konkreten Fall nur schwerlich tun können. Denn Obermüllers Gedanken stehen nicht irgendwo verstreut in seinem Text. Der geklaute Aufsatz stellt praktisch die komplette „Bewertung“ dar, mit der der Doktorand ein Unterkapitel abschließt; sein eigener Beitrag zur Wissenschaft beschränkt sich auf zwei Sätze hintendran – und darauf, einen Halbsatz Obermüllers zur Zürcher Kantonsverfassung zur Fußnote zu machen. Übrigens einer aktualisierten: Obermüller schrieb 2003 von der „entstehenden“ Verfassung, ein Wort, das in der Fußnote fehlt – zur Zeit, als Guttenberg nebenher den Doktor machte, war die Verfassung nämlich schon in Kraft. (Fischer-Lescano ist das entgangen – siehe die Bildergalerie).

Uni Bayreuth muss über Vorwürfe entscheiden

Ob Guttenbergs Aktualisierung als löbliches Bemühen um Korrektheit zu bewerten ist oder als Tarnversuch, muss nun die Uni Bayreuth entscheiden. Guttenberg hat, wie sein Sprecher berichtet, bereits am Dienstag mit seiner alten Universität Kontakt gesucht, als ihm die „Süddeutsche“ die Vorwürfe präsentierte. Am Mittwoch kam die Kommission zur Selbstkontrolle der Wissenschaft zu einer, so Juradekan Professor Dr. Markus Möstl, turnusgemäßen Sitzung zusammen. Möstl versichert aber schon, dass das Promotionsverfahren korrekt verlaufen sei, renommierte Gutachter seien beteiligt gewesen. Eine schriftliche Stellungnahme fordert die Uni trotzdem von Guttenberg ein.

Auch Guttenbergs Doktorvater selbst meldet sich zu Wort, per „Bild“-Zeitung. „Herr zu Guttenberg war einer meiner besten Seminaristen und Doktoranden“, sagt der emeritierte Professor Dr. Peter Häberle und versichert: „Der Vorwurf ist absurd, die Arbeit ist kein Plagiat.“ Was soll der Pensionär sonst auch sagen? Schließlich geht es in der Sache nebenbei um sein Forscher-Renommee.

In Guttenbergs eigenen politischen Reihen übrigens gehen sie am Tag eins der Affäre erst mal in Deckung. Die Kanzlerin lässt wissen, dass auch ihre Doktorarbeit als Physikerin schon begutachtet und beleuchtet worden sei – damit müsse man als Politiker leben, und das sei ja auch gut und richtig. „Ich denke, der Verteidigungsminister und die Uni Bayreuth werden die Dinge klären“, sagt Merkel. Ansonsten meldet sich nur pflichtgemäß CSU-General Alexander Dobrindt zu Wort: Deutschland habe eine bessere Opposition verdient als eine, die Anführungszeichen in Dissertationen zähle.

Das spielt darauf an, dass der Aufdecker der Sache ein SPD-Linker ist: Fischer-Lescano ist unter anderem Gründungsmitglied in Andrea Ypsilantis Links-Denkfabrik „Institut Solidarische Moderne“. Das Parteibuch mag den Professor beflügelt haben. Es ändert freilich an der Sache nichts. Am Nachmittag hat die „Frankfurter Allgemeine“ in ihrem Archiv den nächsten Verdachtsfall entdeckt: Der Einleitungsabsatz in Guttenbergs Doktorarbeit entspricht einem Artikel, der 1997 in der FAZ erschien. Verfasst von der Passauer Professorin Barbara Zehnpfennig. „Eindeutig ist das ein Plagiat“, sagte sie dem Bayerischen Rundfunk.

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