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Politik: Pogrome gegen Kaukasier in Nordrussland

Jahrhunderte lebten die Volksgruppen in Karelien friedlich zusammen – jetzt wollen die einen, dass die anderen gehen

Im nordrussischen Karelien ist es am Wochenende zu gewaltsamen Ausschreitungen gegen dort lebende Kaukasier gekommen. Bis Sonntagnachmittag verhafteten Einheiten der Sonderpolizei Omon Fernsehberichten zufolge bei den Pogromen mehr als 125 Personen. Aufgebrachte Bewohner hatten in der Stadt Kondopoga zunächst etwa ein Dutzend Marktstände, Läden und Cafés von Kaukasiern verwüstet oder angezündet. Sicherheitskräfte schritten gegen die Menschenmenge ein.

Unmittelbarer Auslöser der Unruhen war eine Massenschlägerei in der Nacht zum 30. August, bei der drei Einheimische getötet wurden. Die Bevölkerung macht dafür die Kaukasier verantwortlich. Sie kontrollieren die Großmärkte der Region, ihnen gehören viele Geschäfte und Cafés. Der Grund: Im Nordkaukasus, traditionell strukturschwach und durch Moskaus Tschetschenienkrieg wirtschaftlich und sozial Schlusslicht, liegt die Arbeitslosigkeit häufig über 50 Prozent. Viele Einwohner suchen ihr Glück daher in den Boom-Regionen Zentral- und Nordwestrusslands. Flexibel und meist aktiver als die dort ansässige Bevölkerung, bringen die kaukasischen Gastarbeiter es meist schnell zu bescheidenem Wohlstand, was bei den Ortsansässigen zu aggressivem Sozialneid führt. Zugehörigkeit zum Islam und die ethnische Solidarität der streng nach landsmannschaftlichem Prinzip organisierten Gäste sorgen bei den Einheimischen – orthodoxen Christen – für zusätzliches Misstrauen.

Nach den Morden Ende August kam es daher zu spontanen Massenkundgebungen, auf denen die Bevölkerung die Schließung der Märkte und die Deportation der Kaukasier forderte. Weil die Lokalregierung den Massenprotest zunächst ignorierte, eskalierte dieser in der Nacht zu Sonntag. Elf Cafés und Geschäfte von Kaukasiern gingen in Flammen auf, weitere wurden von der Menge demoliert und teilweise geplündert. „Niedriger hängen“, lautet die Devise von Verwaltungschef Katanandow. Die Ursachen seien allein wirtschaftliche. Der unabhängige Duma-Abgeordnete Wladimir Ryschkow dagegen sprach von „Pogromen mit offen fremdenfeindlichem Charakter“. Interethnische Spannungen wegen wirtschaftlicher und sozialer Ungleichheiten seien inzwischen typisch für ganz Russland, die Situation sei „alarmierend“.

Parallelen zu blutigen Zusammenstößen in der Endzeit der Sowjetunion drängen sich geradezu auf: Pogrome gegen die usbekische Minderheit im kirgisischen Teil des zentralasiatischen Ferganatals und gegen Armenier im aserbaidschanischen Baku 1990. Dabei galt Karelien, wo Russen und die mit den Finnen eng verwandte Urbevölkerung seit Jahrhunderten friedlich zusammenleben, bisher als konfliktfrei. Moskau hatte der Republik daher eine tragende Rolle bei Programmen zugedacht, mit denen durch Rücksiedlung ethnischer Russen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken Vergreisung und Bevölkerungsschwund in Russland gebremst werden sollen. Die potenziellen Neubürger aber haben teilweise Lebensart und Mentalität ihrer Gastländer angenommen und sehen sich bei der Rückkehr häufig mit Ressentiments konfrontiert wie in Karelien.

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