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Polen: Koalition der Unwilligen

Absurdes Theater in Warschau: Die Rechtspopulisten der Samoobrona kündigen den Auszug aus der Koalition an, die Minister sollen aber im Amt bleiben. Verloren hat der, der die Schuld für die Neuwahlen in die Schuhe geschoben bekommt.

In jedem anderen europäischen Land wäre eine Regierungszusammenarbeit nach einer solchen Attacke wohl beendet gewesen: „Kaczynski ist geradezu ein Diktator“, polterte Andrzej Lepper, Chef der Bauernpartei „Samoobrona“, am Montag in Richtung des polnischen Premierministers Jaroslaw Kaczynski. Doch was sich in Warschau abspielt, kann nur noch als absurdes Theater beschrieben werden. Denn es ist die paradoxe Situation entstanden, dass Andrzej Lepper am Sonntag zwar die Unterstützung der Regierung durch seine Parlamentsfraktion aufkündigte, letztendlich den Bruch der Koalition aber nicht vollzogen hat. Die beiden „Samoobrona“-Minister bleiben demnach weiterhin im Amt.

Über die Zukunft der beiden Minister solle Premierminister Jaroslaw Kaczynski entscheiden, lässt Lepper wissen. Darüber, wie unter diesen Umständen die politische Zusammenarbeit aussehen soll, schweigt sich der Parteiführer aber aus. Offensichtlich will Lepper auf jeden Fall vermeiden, dass ihm die Schuld am endgültigen Ende der Regierungskoalition zugeschrieben wird. Er fürchtet wohl, das könnte seine Chancen bei möglichen Neuwahlen schmälern.

Inzwischen zweifelt kaum jemand mehr daran, dass es im Herbst oder kommenden Frühjahr zum vorzeitigen Urnengang kommen wird. Auslöser des Streits war die Entlassung Leppers als Landwirtschaftsminister. Er war nach einer von der polnischen Korruptionspolizei inszenierten Bestechungsaffäre Anfang Juli des Amtes enthoben worden. Beweise gegen den Parteichef gab es aber keine.

Im Hintergrund arbeitet Premier Kaczynski nun offensichtlich daran, Leppers Partei auszubooten und sich so seine Machtbasis zu sichern. In Warschau wird spekuliert, dass er seit Wochen versucht, so viele der 44 „Samoobrona“-Abgeordneten wie möglich zum Übertritt in die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) zu bewegen und ihnen damit eine sicherere Zukunft zu bieten. Die Chancen stehen nicht schlecht, denn letzte Umfragen besagen, dass die „Samoobrona“ die Fünf-Prozent-Hürde verfehlen könnte.

Die Stärke von Jaroslaw Kaczynski ist aber auch in der eklatante Schwäche der Oppositionsparteien zu suchen. Ihnen ist es nicht gelungen, sich bei den Wählern als wirkliche Alternative zur nationalkonservativen Regierung zu profilieren. Stattdessen verlieren sie sich in Personaldebatten um die Führung innerhalb der liberalen Bürgerplattform PO. Unklar ist auch die künftige Rolle von Aleksander Kwasniewski, der von 1995 bis 2005 polnischer Staatspräsident war. Kwasniewski könnte bei möglichen Neuwahlen im Frühjahr als Spitzenkandidat der Sozialdemokraten ins Rennen gehen – doch bisher sind auch das nur Spekulationen.

Trotz der Profillosigkeit der Oppositionsparteien besagen Umfragen, dass die „Bürgerplattform“ bei Wahlen stärkste Kraft werden könnte und Premier Kaczynski sein Amt verlieren würde. Die Kritiker des Regierungschefs haben in diesen Tagen eine neue Erklärung gefunden, warum er das Risiko trotzdem eingehen könnte. Die staatliche Wahlkommission ist bei seiner Partei „Recht und Gerechtigkeit“ auf Unregelmäßigkeiten gestoßen. In den vergangenen Jahren sollen unzulässige Spenden in deren Kasse geflossen sein. Nun droht der Entzug der staatlichen Parteifinanzierung. Die Gegner Kaczynskis glauben an einen Zusammenhang zwischen dieser vorgesehenen Strafe und einem möglichen Interesse des Premiers an Neuwahlen. Denn nach dem geltenden Gesetz wird das Urteil bei vorgezogenen Wahlen hinfällig – was die Partei vor dem Bankrott retten würde.

Knut Krohn[Warschau]

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