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Politik: Polen: Späte Reue

An Deutlichkeit ließ die mit Spannung erwartete Rede des polnischen Staatspräsidenten zum 60. Jahrestag des Pogroms von Jedwabne nichts zu wünschen übrig.

An Deutlichkeit ließ die mit Spannung erwartete Rede des polnischen Staatspräsidenten zum 60. Jahrestag des Pogroms von Jedwabne nichts zu wünschen übrig. Es gebe "keine Zweifel" mehr, dass Bürger Polens in Jedwabne von anderen Polen ermordet worden seien, erklärte mit gefasster Stimme Alexander Kwasniewski: "Es war ein Verbrechen, für das es keine Entschuldigung gibt. Ich entschuldige mich persönlich, als polnischer Staatsbürger und Präsident Polens." Doch nicht nur viele Ortsbewohner, sondern auch katholische Würdenträger blieben der Trauerfeier in Jedwabne fern.

Sichtlich ergriffen umarmte der alte, gebrechliche Rabbiner aus New York auf dem regenverhangenen Marktplatz von Jedwabne den wuchtigen Präsidenten. 1938 hatte der heute 86-jährige Jack Baker seinen ostpolnischen Heimatort verlassen, um in den USA sein Thora-Studium fortzusetzen. Seine Angehörigen sollte der Geistliche nie mehr wiedersehen: Am 10. Juli 1941 wurden fast alle jüdischen Bewohner des Ortes nach dem Einmarsch der Deutschen von ihren katholischen polnischen Mitbürgern ermordet. Jahrzehntelang lastete ein Gedenkstein in Jedwabne der "Gestapo und Hitler-Polizei" die Ermordung von 1600 Juden an. Es war der polnische Soziologe Tomasz Gross, der mit seinem Buch "Nachbarn" im vergangenen Jahr die seit Monaten tobende Debatte um das Pogrom und das eigene Geschichtsbild der Polen entfachte.

Es gehe nicht darum, die Generation der Kinder für die Sünden der Väter verantwortlich zu machen, betonte Kwasniewski in seiner Rede weiter. "Doch es gilt, die schmerzliche Wahrheit auszusprechen. Nur dadurch ist echte Erinnerung möglich." Wie schwer manchen Polen der offene Umgang mit den dunkleren Kapiteln der eigenen Geschichte und antisemitischen Vorbehalten fällt, offenbarte trotz der klaren Worte von Kwasniewski indes auch die Gedenkfeier in Jedwabne. Nicht nur die meisten Bewohner des Ortes, sondern auch führende Vertreter der katholischen Kirche und des konservativen Regierungsbündnisses AWS waren der im Fernsehen live ausgestrahlten Trauerfeier demonstrativ fern geblieben.

Er habe schließlich schon auf einem Gedenkgottesdienst im Mai für die Toten von Jedwabne gebetet, ließ Kardinal Jozef Glemp vorab kurz mitteilen. Auch Ortspriester Edward Orlowski sagte, er wolle den Tag in aller Ruhe zu Hause zu verbringen: "Die Deutschen waren für das Massaker verantwortlich. Warum sollten wir uns entschuldigen?"

Noch am Vorabend der Feier hingen in einigen Läden Flugblätter des Komitees zur "Verteidigung des guten Namens von Jedwabne" aus, die dazu aufforderten, der Feier fernzubleiben. Diejenigen, die sich dennoch auf dem Marktplatz einfanden, wurden von der Polizei mit demonstrativem Nachdruck von den angereisten Angehörigen der Opfer getrennt. Doch auch mehrere jüdische Organisationen hatten auf die Entsendung offizieller Delegationen verzichtet, weil auch auf dem neuen Gedenkstein weiterhin nicht erwähnt wird, dass es Polen waren, die die Morde begingen.

Sie sei nicht hierher gekommen, weil sie Entschuldigungen erwarte, sondern weil sie für ihre in Jedwabne ermordeten Angehörigen beten wolle, sagte die heute in Argentinien lebende Laura Klein. Die Art und Weise, wie die Polen mit ihrer Vergangenheit umgingen, bestimme auch, wie das Land künftig aussehen werde, sagte der aus New York angereiste Ty Rogers, aus dessen Familie mindestens 26 Menschen in Jedwabne ermordet wurden: "Es geht nicht darum, dass jemand verdammt werden soll, sondern dass Polen anerkennen und verstehen, was hier passiert ist."

Es habe in Polen auch viele "gute Nachbarn" gegeben, erinnerte der israelische Botschafter aus Warschau, Szewach Weiss, an die zahlreichen polnischen Bürger, die während der deutschen Besatzung ihren jüdischen Mitbürgern das Leben retteten. Der in Ostpolen geborene israelische Diplomat überlebte selbst den Zweiten Weltkrieg in einem Scheunenversteck seiner katholischen polnischen Nachbarn.

Thomas Roser

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