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Nicht ohne seinen Bruder. PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski erhebt das Gedenken an seinen verunglückten Bruder Lech zu polnischer Staatsräson.

© dpa

Polen: Staatstragendes Gedenken

Jaroslaw Kaczynski inszeniert den Unfalltod seines Bruders als Komplott von Liberalen und Russen.

Vor dem Präsidentenpalast sind Hunderte von Kerzen zu einem Kreuz zusammengestellt. Soldaten in Paradeuniformen salutieren dort neben einem Bildschirm, der das vor sechs Jahren verunglückte Präsidentenpaar Lech und Maria Kaczynski zeigt. Die beiden waren am 10. April 2010 mit 94 weiteren Passagieren im westrussischen Smolensk beim Landeanflug im dichten Nebel ums Leben gekommen.

Noch kein Jahrestag der größten Flugzeugkatastrophe Polens nach dem Zweiten Weltkrieg wurde mit so viel Pomp begannen. Alleine vier neue Gedenktafeln enthüllte am Sonntag der Chef der polnischen Regierungspartei, Jaroslaw Kaczynski, zusammen mit Regierungschefin Beata Szydlo. „Endlich gibt es ernsthafte Schritte zur Erinnerung an den Staatspräsidenten Lech Kaczynski“, lobte Jaroslaw Kaczynski, der neue starke Mann in Polen. Er sei dafür sehr dankbar. Doch wichtiger als die Worte des Parteilenkers war auch diesmal das nicht Ausgesprochene, das nur am Rande Angeschnittene. Vor der Machtübernahme seiner rechtsnationalen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) sei im Bezug auf die Aufarbeitung des Unfalls und auf das Gedenken an seinen Bruder zu wenig geschehen, behauptet der seit sechs Jahren ostentativ Trauernde. Als Grund dafür sieht seine PiS ein angebliches Attentat der damaligen liberalen Regierung unter dem heutigen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk unter Mitwirkung Putins auf die Präsidentenmaschine.

Der Unfall wird fast schon mythisch verklärt

Diese Interpretation des Unfalls wird seit dem Wahlsieg der PiS im Oktober quasi zur Staatsreligion erhoben. Offiziell hatte eine Untersuchungskommission der polnischen Regierung im Juli 2011 Pilotenfehler und Unterlassungen des russischen Towers als Unfallursache festgestellt. Doch der vorschnelle Ausschluss einer Attentatshypothese befeuerte Verschwörungstheorien. Bereits wenige Monate nach dem Flugzeugabsturz berief die damals oppositionelle PiS eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) unter dem Vorsitz des heutigen Verteidigungsministers Antoni Macierewicz (PiS), die in zahlreichen Sitzungen mehrere angebliche Explosionen an Bord des Präsidentenflugzeugs vom Typ Tupolew 154-M nachgewiesen zu haben glaubt.

Macierewiczs Kommission trug dazu bei, dass heute mehr als die Hälfte der Polen der offiziellen Version misstrauen. Während 74 Prozent der Polen trotzdem nicht an ein Attentat glauben, gehören die restlichen 26 Prozent zumeist zu den Stammwählern der PiS. Während des Wahlkampfs wurde das Thema Smolensk zugunsten sozialer Versprechen zurückgedrängt. Nun aber kehrt es als zentraler Baustein der Regierung Szydlo zurück.

Am Sonntag wich die Regierungschefin dem überlebenden Zwillingsbruder Jaroslaw Kaczynski nie von der Seite. Zusammen legten sie Kränze für das gute Dutzend nationalkonservativer Absturzopfer nieder, besuchten Heilige Messen und enthüllten Gedenktafeln.

Den Beweis des Attentats soll das Verteidigungsministerium liefern, wozu kürzlich eine eigene Unterkommission einberufen wurde. Die bisherigen Erkenntnisse wurden für unbrauchbar erklärt, entsprechende staatliche Internetseiten geschlossen, die mit der Aufklärung betrauten Staatsanwälte entlassen oder versetzt. Bisher gehören der neuen Untersuchungskommission keine Flugzeugexperten an. Der Auftrag hingegen ist klar: Jaroslaw Kaczynski will „Beweise“ für ein Attentat.

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