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Politik: „Polen vertritt Amerika im Irak“

Ex-Außenminister Bartoszewski findet Warschaus Beteiligung an der Besatzung nur konsequent

Polen als Besatzungsmacht im Irak? Das mag für die meisten in Westeuropa eine Überraschung sein. In Polen gilt diese Entwicklung hingegen als konsequent und nahe liegend. Und das nicht nur, weil das Land sich mit rund 200 Elitesoldaten am Feldzug der Amerikaner, Briten und Australier gegen Saddam Hussein beteiligt hatte. Sondern mehr noch, weil Polen über Jahrzehnte sehr enge Beziehungen zum Irak unterhielt. Und in den jüngsten zwölf Jahren eine Schlüsselrolle zwischen Washington und Bagdad spielte. „Zwölf Jahre lang haben wir Amerikas Interessen im Irak wahrgenommen. Von 1991 bis zum Februar 2003 lag die Interessenvertretung der USA in Bagdad bei der polnischen Botschaft“, erläuterte der ehemalige Außenminister Wladyslaw Bartoszewski im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Zugespitzt bedeutet das: Entscheidende Informationen und Dokumente hat der amerikanische Außenminister erst nach seinem polnischen Kollegen zu lesen bekommen“, erzählt Bartoszewski über seine Amtszeit 1995/96.

Auch das hat eine Vorgeschichte. Im Kalten Krieg unterhielten die Ostblockstaaten spezielle Beziehungen zur arabischen Welt. Polen kümmerte sich in besonderer Weise um den Irak, zudem um Syrien, den Libanon, Algerien, Libyen. „Zehntausende polnische Ärzte, Ingenieure, Techniker, Baufachleute und andere Spezialisten haben in den 70er und 80er Jahren im Irak gearbeitet“, berichtet Bartoszewski. „Polen kümmerten sich um Straßenbau, Ölförderung und Petrowirtschaft, bauten Zuckerfabriken.“ Umgekehrt studierten Jahr für Jahr Hunderte Araber in Polen, insbesondere Medizin, technische Berufe und Wirtschaft. „Wir haben die akademischen Eliten solcher Länder wie Irak ausgebildet. Und viele von ihnen sprechen Polnisch.“ Es gebe auch zahlreiche Ehen polnischer Frauen mit christlichen Irakern. „Wir Polen fühlen uns im Irak nicht fremd, und die Iraker sehen in uns keine Besatzer.“

Deshalb hält der ehemalige Außenminister den Begriff „polnische Besatzungszone“ für überzogen. „Es geht um Friedenssicherung, öffentliche Ordnung und Wiederaufbau. Wir gelten im Irak nicht als Imperialisten.“ Anders als Frankreich und Großbritannien sei Polen nie Kolonialmacht im Nahen und Mittleren Osten gewesen, das sei auch heute entscheidend für die Haltung der arabischen Welt wie schon in den 70er und 80er Jahren. Wie die damalige Volksrepublik Polen sei Saddam Husseins Baath-Partei ursprünglich sozialistisch gewesen, ehe das Regime sich zu einer ideologisch indifferenten Diktatur wandelte. Polens Wende zu Demokratie und Marktwirtschaft habe eines nicht verändert, betont Bartoszewski: „Wir gelten dort eher als Kumpel, weniger als Herren.“

Im Westen wisse man wenig über Polens große Erfahrung mit Friedenseinsätzen. „Wir stehen seit Jahren auf dem Golan zwischen Syrern und Israelis und im Libanon. Weil es kaum Konflikte gibt, hört man davon wenig. Aber die Araber wissen es zu schätzen.“ Auch auf dem Balkan habe sich gezeigt, dass Serben oder Kroaten die polnischen Friedenstruppen besser behandelten als die westeuropäischen Kontingente.

Vorwürfe, Polens (und Großbritanniens) Einsatz an der Seite Amerikas habe die Spaltung Europas mit verursacht, weist Bartoszewski zurück. „Nicht wir stellen uns an Amerikas Seite, sondern Amerika nutzt unsere Kompetenz im Irak.“ Europa solle aufhören, seine Zerrissenheit zu kultivieren, „zur Besinnung kommen und beim Aufbau mithelfen“. Nichts sei falsch daran, wenn polnische Firmen ihre alten Kontakte nutzten. „Wir sind im Irak bekannt, gelten als kompetent, als Partner und nicht als Gegner.“ In militärische Auslandseinsätze schicke Polen nur Freiwillige, auf jeden Platz komme ein Dutzend Bewerber. „Wir haben die Diktatur hinter uns gelassen. Warum sollen wir jetzt nicht anderen helfen, demokratische Verantwortung für sich zu übernehmen?“

Polen will nach Angaben von Verteidigungsminister Jerzy Szmajdzinski zwischen 4000 und 10 000 Soldaten für eine multinationale Stabilisierungstruppe im Irak bereitstellen. Die ersten Verbände der Truppe sollen bereits Ende Mai im Irak eintreffen. Zuvor müssten aber noch rechtliche, finanzielle und organisatorische Details geklärt werden, sagte Außenminister Cimoszewicz beim EU-Außenministertreffen in Griechenland.

Polens Präsident Aleksander Kwasniewski rief „unsere Verbündeten, die USA, Deutschland und Frankreich“ in einer Rede zum Nationalfeiertag auf, „die Meinungsverschiedenheiten und gegenseitigen Vorwürfe zu überwinden“. Er sei zur Vermittlung zwischen Amerika und Europa bereit.

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