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Political Correctness: Nicht jeder, der Blondinenwitze macht, ist ein Sexist

Niemand ist nur gut oder nur schlecht, klug oder dumm. Menschen sind vor allem: widersprüchlich. Das einzusehen, wäre schon ein Schritt hin zu mehr Offenheit und Verständnis füreinander. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Peter von Becker

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Die Kinokomödie „Willkommen bei den Hartmanns“ ist derzeit der erfolgreichste deutsche Film, bald werden ihn drei Millionen Zuschauer gesehen haben. Es ist sicher nicht direkt der Lieblingsfilm von AfD-Anhängern. Aber deren offene Ränder könnte er immerhin erreichen.

Simon Verhoevens Komödie orientiert sich dabei gekonnt an amerikanischen und vor allem französischen Vorbildern. Deren Protagonisten verkörpern jeweils wohlhabende, rechtskonservative Vertreter der Bourgeoisie – mit all ihren saftigen Vorurteilen gegenüber Farbigen, Schwulen, Arabern, Juden oder sonstigen sozialen Minderheiten. Bis ihnen plötzlich Farbige, Schwule, Araber, Juden u. ä. ins vermeintlich geordnete Leben platzen: als künftige Schwiegersöhne und -töchter, als Mitarbeiter in der Firma, als Mitbewohner oder auch Pfleger am Krankenbett oder Rollstuhl. Erst kracht’s da, dann wachsen Überraschung, Einsicht, Versöhnung.

So ungefähr läuft’s auch bei den Hartmanns, einer Münchner Arztfamilie mit Villa im reichen Vorort Grünwald, in die Mutter Hartmann (Senta Berger) einen Flüchtling aufnehmen will: gegen die kräftigen, nicht immer ganz unvernünftigen Vorbehalte ihres Gatten (Heiner Lauterbach). Man „castet“ daraufhin die Bewerber, nimmt einen Afrikaner auf Probe, und die turbulente familiäre Verrückung beginnt. Wobei die Political Correctness (alias: Willkommenkultur) ebenso karikiert wird wie das rechte Ressentiment. Das wirkt im Komödienraster zwar durchaus vorhersehbar. Doch ist es, mit dem Lachen über sich selbst, auch ein Angebot zum Dialog. Etwa in dem Maß, das der Essay von Hans Monath in dieser Zeitung kürzlich zum „Hochmut der Vernünftigen“ erläutert hat.

Es wäre ein Versuch, statt gegenseitiger Verachtung oder Hass in Fragen von Migration, Asyl, Integration, Abgrenzung, Identität mehr selbstkritische Verständigung zu suchen. Und ein Schlüssel zu mehr Offenheit wäre vielleicht schon die Einsicht, dass Menschen widersprüchlich sind. Selten sind sie nur klug oder nur dumm, nur gut oder nur schlecht. Viele haben von beidem etwas, und ausgerechnet der humanistische Goethe hat gesagt, dass es kein Verbrechen gebe, dass er in der Vorstellung nicht auch selber begehen könne.

Als der Mitschnitt von Donald Trumps Äußerungen über seine Einschätzung der sexuellen Verfügbarkeit von Frauen veröffentlicht wurde, dachten alle wohlmeinend Anständigen, „enough is enough“, wie die wunderbare Michelle Obama.

Es wohnen immer mehrere Seelen in unserer Brust

Aber dass dies wahlentscheidend sein könnte, war ein naiver Wunsch. Schon im katholischen Italien bewunderten nicht nur die Machos das nuttig-zuhälterische Milieu des früheren „Cavaliere“ Silvio B.. Es waren ebenso viele konservative Wählerinnen. Eigentlich paradox. Aber, müsste man sich nicht fragen: Reden, wenn sie glauben, nicht mitgehört zu werden, ähnlich wie Trump nicht auch hier sehr viele männliche Popstars, Spitzensportler und sonstige Prominente über ihre Groupies, Freundinnen, One-Night-Stands? Weil Reichtum und Berühmtheit halt sexuelle Macht verleihen. Weil Männer (natürlich nicht alle) auch Schweine sind und Frauen (natürlich nur manche) auch Schlampen? Und, dies ohne Fragezeichen, weil sie zugleich noch Helden und Engel sein können.

Das entschuldigt nichts. Es ist bloß eine Erklärung. Und wer hätte nicht schon über Witze gelacht, die Blondinen, Ostfriesen, Schotten, Mönche, Nonnen, Muslime, Gott und Teufel, Juden und Nichtjuden verarschen – ohne deswegen Frauen oder Religionen zu verachten, ohne Rassist und Antisemit zu sein. Nein, es wohnen immer mehrere Seelen in unserer Brust. Das wissen gerade jüdische Witze am besten, die über die eigenen Stereotypen und die Flucht aus der Tragik Humor ziehen.

Unlängst wurde der große Schriftsteller Jack London anlässlich seines 100. Todestags gefeiert. London war ein uramerikanischer Seefahrer, Abenteuer und Sozialist. Er kämpfte für die Armen und Entrechteten. Dass er die Weißen für eine meist überlegene Rasse hielt, wurde als zeittypisch gleichfalls angemerkt. Nicht jedoch, dass London 1910 auch die Erzählung „The Unparalleled Invasion“ veröffentlich hat (Der Text ist bisher nicht ins Deutsche übersetzt worden). In ihr wird gegen die künftige Überflutung der Welt mit Chinesen deren millionenfache Vernichtung durch bakteriologische Waffen empfohlen. War Jack London also ein schlechter Mensch - oder doch ein Mensch in seinem Widerspruch?

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