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Politik: Politik an der Grenze

Von Bernd Ulrich Seit einiger Zeit fragen sich viele innerhalb und außerhalb der FDP, wann die Führung der Partei anfängt, den Bogen zu überspannen. Wann werden aus Spaß und Show Populismus und Prinzipienlosigkeit?

Von Bernd Ulrich

Seit einiger Zeit fragen sich viele innerhalb und außerhalb der FDP, wann die Führung der Partei anfängt, den Bogen zu überspannen. Wann werden aus Spaß und Show Populismus und Prinzipienlosigkeit? Wann schlagen Ehrgeiz und Chuzpe in Größenwahn und Lächerlichkeit um? Vor allem: Wie lange kann die FDP antisemitische Töne dulden, wie lange kann sie mit diesem Feuer spielen, ohne sich selbst zu verbrennen?

Vorgestern Abend könnte der Zeitpunkt gekommen sein, da sich die Erfolgsstrategie von Jürgen Möllemann und Guido Westerwelle ins Gegenteil verkehrt. Da wurde in Recklinghausen der durch antisemitische Sprüche bekannt gewordene Landtagsabgeordnete Jamal Karsli in die FDP aufgenommen, während in Berlin ein Abendessen des Zentralrats der Juden am Rande eines Eklats mit den Vertretern der Partei endete.

Moralisch ist der Fall klar: Einer wie Karsli, der unter dem Vorwand der Israel-Kritik Scharon „Nazi-Methoden“ vorwirft und vor der „zionistischen Lobby“ warnt, kann nicht Mitglied einer demokratischen Partei sein. Wenn die FDP ihn trotzdem aufnimmt, fügt sie sich und der politischen Kultur Schaden zu.

Natürlich spielt in diesem Konflikt zwischen dem Zentralrat und der FDP auch Psychologie eine Rolle. Die beiden Hauptkontrahenten, Michel Friedman und Guido Westerwelle, geraten nicht zuletzt deshalb so überscharf aneinander, weil sie sich ähnlich sind. Friedman macht Talk-Shows wie Westerwelle Politik: smart und forsch, plakativ, nah an der Tabuverletzung. Und nun will sich der Vorsitzende der Freidemokraten von einem Friedman, der seinen Ton auf Daueralarm stellt, nichts vorschreiben lassen.

Das mag verstehen, wer will, jedenfalls kann diese Dimension von Trotz und Selbstbehauptung nicht ausschlaggebend sein. Letztlich hat Friedman nicht im Ton, aber in der Sache Recht. Antisemitismus gehört zu den wenigen Tabus, die diese Gesellschaft noch hat. Dieses Tabu sollte aufrechterhalten werden. Darum gibt es nur einen Weg, wie sich die FDP den Vorwürfen entziehen kann: Sie muss Karslis Aufnahme rückgängig machen und Möllemann künftig bremsen.

Fragt sich nur, ob das, was moralisch geboten wäre, der FDP-Führung auch machtpolitisch opportun erscheint. Mit anderen Worten: Bringt das antisemitische Zwinkern mehr - schmutzige - Stimmen, oder kostet es mehr bürgerliche? Oder lassen sich gar mit einem gut inszenierten Doppelspiel am meisten Stimmen holen? Möllemann würde dann unbeeindruckt vom öffentlichen Protest die antisemitischen Ressentiments bedienen. Und Westerwelle distanziert sich, unbeeindruckt von Möllemanns fortgesetzten Umtrieben, in regelmäßigen Abständen vom Antisemitismus im Allgemeinen.

Dieses Doppelspiel wäre riskant. Nicht zuletzt deswegen, weil der SPD-Vorsitzende am vergangenen Montag bei seiner Rede vor Parteifunktionären eine rettende Entdeckung gemacht hat, wie er seine Genossen und die schlafenden Nichtwähler doch noch wecken kann. Wenn weder der Stolz auf die vergangenen Regierungsleistungen noch die Vorfreude auf neue Großtaten groß genug sind, dann braucht eine wahlkämpfende Partei wenigstens ein ordentliches Feindbild. Edmund Stoiber entzieht sich gemeinerweise nachhaltig den Versuchen von Kanzler und Kampa, ihn zu einem Franz Josef Strauß, einem Haider oder Spalter zu stilisieren.

Lange Zeit schauten darum die Sozialdemokraten neidisch auf die Grünen. Sie hatten die FDP und Guido Westerwelle, mit denen sie ihre Leute motivieren können. Für die SPD dagegen schien Westerwelle als Hauptgegner zu klein zu sein. Doch weil der sich am vergangenen Wochenende zum Kanzlerkandidaten aufgeschwungen hat, schaltet die SPD nun um. Sie nimmt diese Kunstfigur und belegt sie mit abwertenden Attributen: Spaßpartei der sozialen Kälte mitten in der „Haiderisierung“ (Schröder). Selbstverständlich sind diese Vorwürfe vorerst überzogen. Die FDP ist keine FPÖ. Doch solange die Liberalen die antisemitischen Töne nicht abstellen, können Rote und Grüne mit solchen Vorwürfen Anhänger und potenzielle Wähler mobilisieren. Darin liegt der Grenznutzen einer Strategie, die auf Selbstüberdehnung setzt und mit Tabus spielt.

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