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Politik: „Politik ist nichts für Visionäre“

Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin übers Sparen, Hilfen vom Bund – und Überleben im ewigen Eis

Die Koalitionsverhandlungen von SPD und PDS sind nun abgeschlossen. Wie war’s, Herr Sarrazin?

Ich bin mit dem Endergebnis – was die Finanzen betrifft – zufrieden. Und das will etwas heißen. Denn gerade diese Verhandlungen waren ja überschattet von zwei spektakulären Ereignissen. Da war die totale Niederlage Berlins beim Bundesverfassungsgericht …

… das Ihren Antrag auf Milliardenhilfe des Bundes zurückgewiesen hat.

Mit unerwarteter Härte, wie ich noch immer finde. Aber auch das Ergebnis der Steuerschätzung, das unsere Vermutungen der letzten Wochen eines beachtlichen Steuermehraufkommens auch für Berlin bestätigt hat, war für mich ein entscheidender Moment in der Bewertung der Koalitionsverhandlungen.

Weil die Nachricht lautet: Es wird schon nicht so schlimm kommen müssen mit dem Sparen in Berlin?

Nun mal langsam. Versetzen Sie sich in unsere, in meine Lage. Wir, das heißt Sozialdemokraten und PDS, haben dieser Stadt in den letzten Jahren ein ungewöhnlich striktes Sparprogramm auferlegt. So etwas hält eine Koalition, so etwas halten aber auch die betroffenen Menschen nur durch, wenn man ihnen ein konkretes und erreichbares Ziel gibt. Unser Ziel lautete: Berlin darf nicht länger mehr Geld im Jahr ausgeben, als es einnimmt. Und was den Abbau der Schulden der Vergangenheit und deren Verzinsung betrifft, da durften wir hoffen, dass uns die Karlsruher Richter auf dem weiteren, nicht minder schweren Weg eine zumindest begrenzte und konditionierte Hilfe geben werden. Auf einmal stand ich, der Finanzsenator, an jenem Donnerstag Ende Oktober vor der Situation, den Verhandlungspartnern beider Parteien einen noch schärferen Kurs für die nächsten Jahre verordnen zu müssen. Und zwar ohne die Aussicht, das ursprüngliche Ziel – funktionierende laufende Haushalte und Schuldenabbau – realistisch erreichen zu können. Das war keine leichte Situation, weil die Hoffnung – eine der wichtigsten Überlebensgrundlagen des Menschen – weg zu sein schien. Ohne Hoffnung im ewigen Eis legt sich der Mensch einfach hin. Und dann erfriert er unweigerlich.

Wie lautet jetzt das Ziel?

Wenn uns eine Teilentschuldung zugestanden worden wäre, hätten wir es schaffen können, innerhalb der nächsten fünf Jahre ohne neue Schulden auszukommen. Das geht nun nicht mehr. Deshalb haben sich die Koalitionspartner vorgenommen, die Verschuldung deutlich zu bremsen und einen verfassungsgemäßen Haushalt vorzulegen.

Eine Selbstverständlichkeit – oder?

Nicht in der Lage, in der sich die Berliner Finanzen befinden. Noch vor fünf Jahren war allein der Gedanke utopisch. Nun aber ist dieses Ziel Bestandteil der Koalitionsvereinbarung. SPD und PDS haben bis zum Schluss der Versuchung widerstanden, den unverhofften Geldsegen bei den Einnahmen zu einer Abmilderung des harten Kurses zu nutzen. Auch die Erhöhung der Grund- und Grunderwerbsteuer wurde nicht wieder infrage gestellt. Damit werden wir ab 2010 die Neuverschuldung bei 900 Millionen Euro und damit deutlich unter dem Investitionsniveau halten. Angesichts unserer Situation ist das für mich ein Erfolg. Denn wir haben eine Ausgabenlinie fixiert, mit der wir 2015 real 20 Prozent weniger ausgeben werden als heute.

Woran werden die Berliner das spüren?

Zum Beispiel bei den Mitarbeitern, die die öffentlichen Dienstleistungen erbringen. Bei jetzt 115 000 Beschäftigten werden wir jedes Jahr 3500 Stellen abbauen.

Sparen, bis es quietscht, ist das nicht, oder?

Man kann mehr sparen. Wir können die Klassenstärken in den Schulen erhöhen und noch mehr Lehrer einsparen. Wir können auch die Kindergartenversorgung kürzen oder eine Universität abschaffen. All das würde jedoch zu Einschränkungen des öffentlichen Leistungsangebotes führen, die die Koalitionspartner nicht mehr für vertretbar halten.

Hätten Sie mit einem anderen Koalitionspartner als der PDS mehr herausgeholt?

Mit den Grünen wäre das Leben teurer geworden, die wollten 20 Prozent der Steuermehreinnahmen für zusätzliche Aktivitäten ausgeben. Die CDU in Berlin ist mir in den vergangenen Jahren nun wirklich nicht als Einsparpartei aufgefallen. Vielleicht ändert sich das ja in den nächsten Jahren unter Friedbert Pflüger. Um mit der FDP in ernsthafte Verhandlungen gehen zu können, müsste sie erst mal zu einer 20-Prozent-Kraft werden. Ich erinnere mich an gute Regierungsjahre von SPD und FDP in Rheinland- Pfalz. Aber mit sieben Prozent in Berlin ist die FDP als Regierungspartei Theorie.

Und jetzt loben Sie die PDS?

Ein Regierungspartner muss handlungsfähig und zuverlässig sein. Wir machen hier keine bundespolitische Ordnungspolitik, sondern regieren ein Land. Das funktioniert mit der PDS, und ich habe die Partei, die Fraktion und die Senatoren als zuverlässige Partner kennengelernt. Vor fünf Jahren, als ich neu in den Senat kam, waren meine Bedenken noch größer.

Mit welcher Vision will der rot-rote Senat Berlin in den nächsten Jahren regieren?

Politik, zumal Landespolitik, ist keine Veranstaltung für Visionäre und Philosophen. Es geht hier schlicht darum, staatliche Leistungen zu erbringen. Die Menschen müssen sicher über Straßen gehen können, vor Gewalt geschützt sein, ihre Kinder in vernünftige Schulen schicken können und es hell haben, wenn sie den Lichtschalter anknipsen. Diese öffentlichen Standards sind in Berlin nicht schlechter als anderswo in der Bundesrepublik. Das muss man sich immer wieder vergegenwärtigen. Unsere Aufgabe als Politiker besteht darin, diese Leistungen zu sichern, ihre Qualität zu verbessern und so zu organisieren, dass sie auch in der Zukunft gesichert sind.

Das klingt gar nicht sexy.

Neben der Pflicht gibt es immer auch eine Kür. Die kann man – zumal mit den finanziellen Verhältnissen in Berlin – nicht überall haben. Unsere Kür sind Wissenschaft und Kultur. Jetzt kommt es darauf an, dass wir bei der Kür auch Kür liefern und nicht nur das Pflichtprogramm.

Berlin trifft immer wieder der Vorwurf, auch die Ausgaben für Soziales als kostspielige Kür zu begreifen. Ist das so?

Unsere Sozialausgaben sind nicht zu üppig im Sinne zu hoher Leistungen. Nur: In Berlin leben rund vier Prozent der deutschen Bevölkerung, aber allein zehn Prozent der deutschen Hartz- IV-Empfänger. Wenn in ganz Deutschland eine wachsende Zahl von Menschen ihre Existenz nicht mehr durch ihre Arbeitsleistung sichert, dann hat das für Berlin besondere soziale Folgen. Dadurch steht die Berliner Politik vor der Aufgabe, auf eine Politik zu reagieren, die sie nicht verschuldet hat. Wenn die in der Bundespolitik regierenden Parteien Entscheidungen für den Arbeitsmarkt treffen, die bei vielen Betroffenen das Gefühl erzeugen, es lohnt sich nicht zu arbeiten, kann man uns doch nicht vorwerfen, wir würden nicht effizient genug die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Nehmen Sie die absurde Debatte in der Union über die Verlängerung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I für Ältere …

… ein Vorschlag des nordrhein-westfälischen Regierungschefs Jürgen Rüttgers zum CDU-Parteitag …

… der mich langsam an der CDU verzweifeln lässt. Die CDU war mal die Partei der sozialen Marktwirtschaft. Und jetzt überholt sie die SPD weit links mit bundesweiten Vorschlägen zum Geldausgeben. Schon die Entscheidungen von CDU-Sozialminister Norbert Blüm, die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld zu verlängern, hat gezeigt, welche falschen Anreize den Betroffenen gegeben werden. Soll das jetzt alles wieder von vorne losgehen? Was in unserem System fehlt, sind gangbare und die Menschenwürde achtende Instrumente zur Aktivierung von Arbeitslosen. Was uns nicht fehlt, sind Vorschläge, wie sie Rüttgers macht, denn sie sind das Gegenteil von Aktivierung. Ich frage mich, wie es die SPD schaffen will, mit einem Regierungspartner auf Bundesebene, der solche Vorschläge macht, zu vernünftigen Arbeitsmarktreformen zu kommen?

Beim Finanzgipfel im Kanzleramt hat die Regierung entschieden, mit den Steuermehreinnahmen die Neuverschuldung des Bundes und den Arbeitslosenversicherungsbeitrag zu senken. Ist das richtig?

Wenn die Beschäftigung steigt, muss der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung sinken. Es ist ein ganz normaler Vorgang, den Beschäftigten ihr Geld wiederzugeben, und daher richtig. Der Rest der Steuermehreinnahmen sollte dauerhaft zur Schuldensenkung verwendet werden.

Die Bundesregierung will 2007 die Erbschaftsteuer für Unternehmer und ab 2008 die Unternehmensteuern senken. Kann sich das arme Berlin überhaupt Steuerausfälle leisten?

Die Erbschaftsteuerreform, wie sie das Kabinett jetzt beschlossen hat, halte ich für eine Totgeburt. Sie wird das Bundesverfassungsgerichtsurteil in diesem Winter nicht überstehen. Ob es danach zu einer Neuauflage kommt, wage ich zu bezweifeln. Dass die Körperschaft- und Gewerbesteuerbelastung auf rund 30 Prozent gesenkt und die Bemessungsgrundlage für die Besteuerung erweitert werden, ist hingegen richtig. Wir brauchen diesen Schritt, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Was ich aber bedauere, ist, dass diese Reform nicht aufkommensneutral sein wird. Statt, wie in der Koalitionsvereinbarung versprochen, nur anfängliche Steuerausfälle hinzunehmen, wird es jetzt zu dauerhaften Ausfällen von fünf Milliarden Euro im Jahr kommen. Ich bin sicher, dass eine rot-rote Koalition in Berlin dem nicht zustimmen wird.

Wie gesprächsbereit wird der Senat bei den bundesweiten Verhandlungen zur Reform des Finanzsystems sein, nachdem die süddeutschen Länder das Ende der Solidarität mit Berlin erklärt haben?

Bei diesen Verhandlungen werden einige wenige reiche Bundesländer, die sogenannten Geberländer, vielen armen Nehmerländern gegenüberstehen. Und kein Regierungschef eines Bundeslandes wird etwas unterschreiben, das seinem Land zum Nachteil werden könnte. Nachdem der Bund selbst unter Finanzierungsdruck steht, entfällt für ihn auch die Möglichkeit, einen Kompromiss durch Drauflegen aus eigener Tasche zu finanzieren. Deshalb bin ich sehr skeptisch, ob es zu einer Reform der föderalen Finanzordnung kommen wird.

Mit welchen Folgen für Berlin, das doch seit Jahren auch um eine finanzielle Aufwertung als Bundeshauptstadt ringt?

Das muss man unabhängig davon betrachten. Fakt ist, dass der Bund die Bundeshauptstadt Berlin schon jetzt in vielfältiger Weise unterstützt. Das darf nicht untergehen in der Debatte. Die Lage Berlins muss man dennoch neu bewerten. Ich meine, man muss sie historisch betrachten. Die Stadt war in der Geschichte die Hauptstadt eines großen Reiches. Zwar ist Berlin auch jetzt wieder die Hauptstadt eines großen Landes. Allerdings haben die Wirren der letzten siebzig Jahre dazu geführt, dass die Stadt ihre industrielle Basis weitgehend verloren hat und damit auch ihre Stellung als zentrale Dienstleistungsmetropole Deutschlands. Die Stadt Berlin ist größer als die Aufgaben, die ihr verblieben sind. Gleichzeitig wird Deutschland im Ausland zu 80 Prozent über Berlin wahrgenommen. Daraus erwächst dem Bund eine besondere Verantwortung, und zwar aus eigenem Interesse der Wahrnehmung des Landes in der Welt. Diese richtige Grundüberlegung hat Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee jetzt angesprochen.

Woraufhin der Bundesfinanzminister sofort weitere Zahlungen verweigert hat.

Es wird am Ende auch um Geld gehen müssen. Das ist doch klar. Allerdings darf man einen solchen Prozess nicht damit beginnen. Jammern kommt nämlich nicht an. Was wir brauchen, ist eine Diskussion zwischen Senat und Bundesregierung über die Zukunft der Bundeshauptstadt, die in einen gemeinsamen Plan mündet. Danach kann über die Finanzierung gesprochen werden.

Fangen wir trotzdem hinten an: Was erwarten Sie vom Bund?

Ich denke, ganz oben auf der Liste muss die Verlagerung sämtlicher Regierungsfunktionen, also aller Bundesministerien, nach Berlin stehen. Hier ist der Regierungssitz Deutschlands, und niemand kann einem Ausländer erklären, warum 20 Jahre nach der Wiedervereinigung ein Teil des Regierungsapparates hunderte Kilometer entfernt am Rhein arbeitet. Und dann muss der Bund die volle Finanzierung aller Berliner Einrichtungen übernehmen, die historisch Einrichtungen Preußens waren. Das betrifft die Staatsoper, die die Oper der preußischen Könige war. Und das betrifft auch die Humboldt-Universität, eine preußische Universität. Was wir brauchen, ist eine Aufstellung all der Einrichtungen, die Berlin in seiner Funktion als Bundeshauptstadt und nicht in seiner Verantwortung als Millionenkommune, etwa wie Köln, betreibt. Der Berliner Senat wird dafür Vorschläge machen und mit der Bundesregierung diskutieren.

Das Interview führten Antje Sirleschtov und Ulrich Zawatka-Gerlach. Das Foto machte Mike Wolff.

DER VOLKSWIRT

Geboren am 12. Februar 1945 in Gera. 1965 Abitur in Recklinghausen, 1967 bis 1971 Studium der Volkswirtschaft in Bonn. 1973 Promotion.

DER HAUSHÄLTER

1975 bis 1990 Referent im Bundesfinanzministerium. 1977Abordnung zum Internationalen Währungsfonds, 1991 bis 1997 Finanz-Staatssekretär in Rheinland-Pfalz. Seit 2002 Finanzsenator in Berlin.

DER UNTERNEHMER

1990 Unterabteilungsleiter in der Treuhandanstalt, 1997 bis 2000 Chef der Treuhandliegenschaftsgesellschaft, anschließend Leiter der Konzernrevision der Bahn AG, bis Dezember 2001 Vorstand der DB Netz AG.

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