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Die Wahl von Donald Trump polarisiert Amerika.

© Geisler-Fotopress

Politik und Gefühl: Donald Trump - 9/11, umgekehrt

Was mit der Wahl von Trump zum US-Präsidenten geschehen ist, löst Wellen aus wie eine Naturkatastrophe oder ein Anschlag. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Rüdiger Schaper

Es ist eine Zeit der Emotionen, eine Zeit des verzweifelten Grübelns, der nachgeholten Erkenntnisse, die, – rechtzeitig gewonnen – den irren Triumph von Donald Trump vielleicht verhindert hätten. Es ist eine Zeit anhaltender Wut und Trauer. Der Schock des Wahlergebnisses geht über in einen langen, tiefen Schmerz.

Ja, Trauer. So empfinden viele Amerikaner, viele Menschen auf der ganzen Welt. Grief. Niemand ist gestorben, vielmehr ist etwas aufgetaucht und bestimmt das Bild: „Our unknown country“, wie Paul Krugman in der „New York Times“ schreibt. Ein unbekanntes Land zeigt sich. In der bitteren Nemesis steckt der Schock über die eigene Blindheit. Diesmal ist keine Immobilienblase geplatzt, sondern ein globales Lebensgefühl. Ende eines Selbstbetrugs. Ein Vorhang geht auf und man sieht, dass man die ganze Zeit nichts gesehen hat.

David Remnick spricht im „New Yorker“ von der „Amerikanischen Tragödie“. Der amerikanische Traum von Freiheit und Großzügigkeit und Offenheit ist nicht tot. Aber eine Hälfte dieses Riesenlands von 320 Millionen Einwohnern erwacht im brutalen, harten Licht einer Wirklichkeit, die sich andere Amerikaner jetzt zurückholen wollen. Eine Wirklichkeit, in der man bei Bedarf rassistisch, fremdenfeindlich, waffenbegeistert, homophob und xenophob und auch noch gottesfürchtig sein eigenes Amerika ausleben kann, weit weg vom Weißen Haus. Dort sitzt bald ein Präsident, der die zentrale Staatsgewalt, also in Zukunft sich selbst, hasst. Es ist das, was Liberale (das galt in den USA schon immer auch als Schimpfwort) am meisten fürchten. Dass mit Donald Trump ein Staat gemacht wird, der Gewalt sät.

In diesen ersten Tagen fühlt sich Hillary Clintons Niederlage mindestens so historisch an wie der Triumph Barack Obamas vor acht Jahren, als ein junger schwarzer Politiker Präsident wurde. Trump zeigt: Die Geschichte lässt sich offenbar zurückdrehen.

Die „Washington Post“ spricht von einer „Revolution“. Was geschehen ist, löst Wellen aus wie eine Naturkatastrophe, ein Anschlag. Wie bei 9/11. Der Vergleich soll das Andenken an die Opfer in den Twin Towers nicht banalisieren. Doch der Marsch des Mannes aus dem Trump Tower auf Washington provoziert solche schlimmen Assoziationen. Die Stunde seines Siegs, die Nacht vom 8. auf den 9. November, lässt sich als 9/11 in der Umkehr darstellen: 11/9. Der Tag, an dem in Berlin die Mauer fiel.

Wir nehmen Berichte aus den USA auf wie aus Krisengebieten. Meine Tochter, 23, arbeitet in Washington, D.C. Sie ist in Berlin aufgewachsen und hat einen amerikanischen Pass, sie lebt zwischen den Kulturen. Das hat jetzt eine neue Bedeutung: Ihre Wertvorstellungen sind erschüttert von einer anderen, aggressiven, nationalistischen Kultur. In einer bewegenden E-Mail aus der amerikanischen Hauptstadt schreibt sie: „Ich habe keine Antworten. Ich bin heute mehr denn je entschlossen, für Frauen zu kämpfen, für meine eigene Zukunft, und dazu möchte ich zeit meines Lebens viele andere Frauen inspirieren.“

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