zum Hauptinhalt
Gut Lachen: Peer Steinbrück (SPD) ist im Netz zuhause

© dpa

Politiker im Netz: Wo Facebook für Abgeordnete noch Neuland ist

Eine Studie hat über drei Jahre die Netzkompetenz deutscher Politiker analysiert. Fast alle sind auf sozialen Netzwerken aktiv und halten sich für kompetent. Tatsächliche Facebook-Profis finden sich allerdings nur bei den Piraten. Und bei einer Partei, der man es gar nicht zutraut.

Als sich SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück live im Fernsehen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel duellierte, staunte die Netzgemeinde nicht schlecht: Steinbrück hatte ein digitales Alter Ego, dass alles, was er gerade sagte, zeitgleich twitterte und auf Facebook teilte. Allein, man sah Steinbrück nie sein Smartphone benutzen.

Dass Politiker soziale Netzwerke bedienen, gehört heute – gerade im Berliner Bundestagskosmos – zum guten Ton. Dass sie sich dabei nicht immer unfallfrei im Netz bewegen leider ebenso.

Das Institut für Medien- und Kommunikationsmanagment (MCM) der Universität St. Gallen hat nun eine Studie veröffentlicht, die sich die Netzwerk-Kompetenz der deutschen Politiker vornimmt. Über drei Jahre haben Wissenschaftler des MCM Abgeordnete des aktuellen Bundestags sowie der aktuellen Landtage unter die Lupe genommen. Die Ergebnisse, die dem Tagesspiegel exklusiv vorliegen, zeigen: Deutsche Politiker sind eifrige Nutzer – aber allzu oft ist für sie Vieles noch „Neuland“.

„Die meisten Politiker sind – was das Internet angeht – nicht sehr sozial“, sagt Kommunikationsforscher Christian Hoffmann. So stehe bei vielen die Selbstvermarktung auf Facebook oder Twitter im Vordergrund, weniger die Kommunikation mit anderen Politikern oder Bürgern. „Wer eine Community um sich scharrt, tut dies vor allem, um die eigenen heroischen Leistungen der Arbeit darzustellen.“

Im Schnitt nutzen deutsche Politiker das Netz vier Stunden und 20 Minuten am Tag, das Dreifache im Vergleich zum Bevölkerungsschnitt. Jeder fünfte Politiker surft gar sieben Stunden täglich. Fast alle sind sie dabei auf Facebook & Co. vertreten: 75 Prozent der Abgeordneten sind in sozialen Netzwerken engagiert, nur zehn Prozent nutzen sie gar nicht. Dabei unterscheiden sich die Vorlieben zwischen Bund und Ländern. Während der Bundestagsabgeordnete gerne auf Twitter postet, ist der Landtagsabgeordnete lieber auf Facebook zuhause.

„Twitter ist ein Expertentool“, sagt Hoffmann, „dort mitzumischen erfordert viel Know-How, das vor allem die umsetzen, die bundesweit Adressaten suchen“. Nur jeder dritte Landtagsabgeordnete nutzt Twitter, im Bund sind es doppelt so viele. Facebook hingegen sei laut Hoffmann eher die Plattform mit Wohlfühlfaktor: „Politiker können hier näher am Wähler sein.“ Darum sind es auch eher die Bundestagshinterbänkler oder die Landtagsabgeordneten, die via Facebook Kontakte zum Heimatwahlkreis halten. Andere Formate wie Blogs oder Youtube werden nur von einem Fünftel aller Politiker regelmäßig genutzt.

Welche Politiker besonders aktiv sind

Die Studie wurde in zwei Schritten erarbeitet. Die Wissenschaftler vom MCM haben zuerst auf eigene Faust die Profile aller deutschen Politiker durchforstet und deren Aktivität gemessen. In einem zweiten Schritt wurde allen Politikern ein Fragebogen zur Selbsteinschätzung der eigenen Netzwelt-Kompetenz zugesandt. Geantwortet haben zwar nur zehn Prozent, aber Studienbetreuer Hoffmann sieht diese Schnittmenge als gutes Abbild der realen Politikerwelt. „Wir haben nur ein paar mehr Antworten von Seiten der SPD erhalten – mag sein, dass eher die themenaffinen Politiker geantwortet haben.“

Zu den aktivsten Nutzern im Web gehören laut Hoffmann auf Twitter Volker Beck (Grüne), Dorothee Bär (CSU) und Ulrich Kelber (SPD). Auch Facebook seien Mechthild Rawert (SPD), Elke Ferner (SPD) und Peter Tauber (CDU) besonders aktiv.

Das passt zur Charakterisierung, die die Studie vornimmt. Sie teilt die deutschen Politiker in „Begeisterte“, „Skeptiker“ und „Profis“. Jeder zweite im Netz arbeite laut Hoffmann als Profi. „Die Politiker teilen Inhalte sehr selektiv und sind vor allem auf Eigenwerbung bedacht.“ SPD, CDU und FDP seien hier stark. Bei den Skeptikern hingegen finden sich vor allem Mitglieder der Linkspartei und der Grünen. Hier funktioniere die Teilnahme am Netzgeschehen eher mit eigenen Homepages als mit sozialen Netzwerken.

Die Begeistertsten sind mit Abstand Piraten, aber auch Mitglieder der Grünen und Linken. Und – eine kleine Überraschung – CSU-Politiker. „Begeistert ist, wer die sozialen Netzwerke zur tatsächlichen Kommunikation nutzt und auch einfach mal zum Spaß“, sagt Hoffmann. Dass CSU- und Linke-Mitglieder hier zum Teil sehr aktiv sind, führt er auf die Altersstruktur zurück: „Je jünger ein Politiker, desto erfahrener bewegt er sich im Netz. Und je erfahrener er ist, desto aktiver ist er.“

Wie sich die Politiker selbst einschätzen

In der Selbsteinschätzung der Politiker taucht dies selbstredend nicht auf: Fast alle halten sich für Profis. Notwendige Kompetenzen für die Suche und Aufnahme von Informationen sprechen sich über 90 Prozent der Befragten zu. Auch eigene Profile erstellen und mit Inhalten füttern, meinen bei den Frauen über 80 Prozent der Befragten zu können. Bei den Männern trauen sich das Posten 69 Prozent zu. Kritisch in der eigenen Kompetenz sehen sich die Abgeordneten vor allem beim Videopost auf Youtube oder der Mitarbeit an Wikipedia.

Dabei müssten sie gar nicht so viel Talent mitbringen – denn nur eine Minderheit arbeitet wirklich eigenständig. 82 Prozent der Bundestagsabgeordneten und 56 Prozent der Landtagsabgeordneten greifen auf die Unterstützung von Mitarbeitenden oder externen Dienstleistern zurück. Nur 37 Prozent behaupten, ihre Social-Media-Profile komplett selbst zu betreuen. Zehn Prozent lassen die Profile fast vollständig oder auch ausschließlich von Fremden verwalten.

Was nun Peer Steinbrück angeht, so wird er zur Mehrheit gehören und seine Helfer haben, die seine Live-Auftritte ins Netz übersetzen. Oder aber ist ein sehr heimlicher Smartphone-Nutzer.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false