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Politik: Politikerinnen der ersten Stunde berichten über ihre Erfahrungen

Nein, meinte Wolfgang Thierse, die Idee zu der Aussprache stamme nicht von einem Mann. Vielleicht hätte dies auch zu gönnerhaft und patriarchalisch ausgesehen, gab der Bundestagspräsident zu bedenken.

Nein, meinte Wolfgang Thierse, die Idee zu der Aussprache stamme nicht von einem Mann. Vielleicht hätte dies auch zu gönnerhaft und patriarchalisch ausgesehen, gab der Bundestagspräsident zu bedenken. Die Frauen belegten am Mittwoch in der Debatte zum Auftakt der regulären Parlamentsarbeit das Rednerpult, während der überwiegend männliche Teil auf den Abgeordnetenrängen und der Regierungsbank als Zuhörer fungierte. "Die Parlamentarierinnen in 50 Jahren Deutscher Bundestag", lautete die seltene Gelegenheit für die weiblichen Abgeordneten, Bilanz zu ziehen.

Nur Thierse, der sich nicht zuletzt in seiner Eigenschaft als "Quoten-Ossi" in der Konkurrenz um das zweithöchste Staatsamt gegen eine SPD-Mitbewerberin durchgesetzt hatte, erhielt Rederecht. Der Parlamentschef nahm die Kolleginnen gegen sexistische Anwürfe in Schutz. Kaum tauche eine blonde, blauäugige und dazu noch schlanke Abgeordnete im Plenarsaal auf, werde sie von den Journalisten schon zur "Miss Bundestag" ausgerufen. "Ich habe noch keine Kollegin erlebt, die wegen ihrer Gestalt hierher gekommen ist", beschwerte sich Thierse, der seit neun Jahren dem Bundestag angehört.

Mehr zum Thema Frauen und Politik konnten einige ältere Damen beitragen, die die Initiatorinnen in den Reichstag geladen hatten. Besonders Annemarie Renger bekam für eine bewegende und kämpferische Rede für die Rechte von Frauen stürmischen Applaus von Links bis Rechts. Die fast 80-Jährige knöpfte sich gleich ihren Vorredner Thierse vor, der die Politikerinnen nach ihrem Geschmack zu sehr in eine Sonderrolle gedrängt hatte: "Wir haben uns unsere Plätze selbst erkämpft."

Für die erste Bundestagspräsidentin ist die in der Verfassung verankerte Gleichberechtigung noch längst nicht erreicht. "Das ist noch ein weites Feld, wie wir alle wissen." Sie sei zwar seinerzeit gegen die Einführung der Quote in ihrer Partei gewesen, "aber ich gebe zu, sie hat etwas erreicht", fügte die Sozialdemokratin hinzu. Annemarie Renger griff weit zurück. In den Reichstag habe sie 1932 schon ihr Vater zur Verfassungsfeier mitgenommen, dort habe sie Reichspräsident Paul Hindenburg erlebt.

Auch Agnes Hürland-Büning berichtete eindrucksvoll von ihrem beschwerlichen Weg in die Politik. Für sie sei dieser wegen ihrer persönlichen Situation mit aufwachsenden Kindern nie einfach gewesen, aber: "Ich habe nie ein schlechtes Gewissen gehabt, berufstätig zu sein", berichtete die erste Parlamentarische Staatssekretärin auf der Hardthöhe, die 1990 aus der Politik ausschied. Dass sie sich zu Anfang ihrer Bonner Zeit als erste Frau für den Sportausschuss beworben habe, sei von den männlichen "Platzhirschen" argwöhnisch beobachtet worden, erzählte die CDU-Politikerin. Ihr früherer Fraktionschef Heinrich Krone habe sie mit "Kindchen" angeredet, "da war ich schon 60 Jahre alt".

An Ähnliches kann sich auch die frühere Bundestags-Vizepräsidentin und Ausländerbeauftragte Liselotte Funcke erinnern. Die mittlerweile 81-jährige Freidemokratin aus Hagen bekam in ihrer Bonner Frühzeit einen Sitz im Büchereiausschuss oder im Unterausschuss Jugend angeboten. Jüngeren Datums sind die Erfahrungen von Ursula Männle über die manchmal schwierigen Aufstiegschancen für Frauen in der CSU. Zwei Mal sei sie nur als Nachrückerin für ein Bundestagsmandat zum Zuge gekommen.

Für Rita Süssmuth hat sich in den letzten Jahren einiges zum Besseren geändert. Zu Anfang ihres politischen Einstiegs habe sie sich maßlos darüber geärgert, dass in Berichten der Bundesanstalt für Arbeit Frauen zusammen mit Behinderten und Aussiedlern offiziell als Randgruppen bezeichnet worden seien, berichtete die frühere Bundestagschefin. Und die Sozialdemokratin Ulla Schmidt wandte sich mit einem konkreten Anliegen an ihren Parteifreund Gerhard Schröder, der ebenso wie sein Vorgänger Helmut Kohl aufmerksam zuhörte. Er solle doch bitte einen Staatsminister für Männerfragen ernennen, dessen einzige Aufgabe sein müsse, die männliche Emanzipation zu fördern, gab sie ihm auf den Weg. "So ein Kanzler würde in die Geschichte eingehen."

Joachim Schucht

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