zum Hauptinhalt

Politik: Politikpoker in Palästina

Abbas Kurs unter Palästinensern rechtlich umstritten / Institutionen drohen zum Spielball zu werden

Am Ende ihrer Bemerkungen zur politischen Krise in Palästina hat die unabhängige Abgeordnete und Intellektuelle Hanan Aschrawi kürzlich in Oxford die Frage aufgeworfen, ob Demokratie unter Besetzung überhaupt möglich sei. Denn das interne Ringen werde immer wieder durch äußere Einflussnahme, Druck und Abhängigkeiten bestimmt und verfälscht. Der jetzige Konflikt, in dem sich die beiden großen politischen Gruppierungen unversöhnlich gegenüberstehen, ist auch ein Härtetest für das Grundgesetz und die sich entwickelnde Rechtsstaatlichkeit. In dem politischen Machtkampf zwischen Fatah und Hamas, die jeweils von ausländischen Mächten gestützt werden, drohen Recht und Institutionen zum Spielball von politischen Manövern zu werden.

Der letzte Akt im Poker zwischen Präsident Mahmud Abbas und der islamistischen Hamas, die im Gazastreifen gewaltsam die militärische Macht übernommen hat, wurde am Mittwoch gespielt. Das Parlament wurde zusammengerufen, um den Notstand und das Mandat der von Abbas eingesetzten Notstandsregierung unter Salam Fayyad zu verlängern. Denn das Grundgesetz sieht vor, dass der Präsident den Notstand ausrufen kann, aber spätestens nach 30 Tagen das Parlament über eine Verlängerung entscheiden muss. Im Parlament hat Hamas eigentlich eine absolute Mehrheit von 74 der 132 Sitze. Doch nachdem Israel 39 Hamas-Abgeordnete, darunter den Parlamentssprecher Asis Dweik, verhaftet hat, ging dem Sieger der Parlamentswahlen praktisch seine Mehrheit verloren. Daher boykottierte die Bewegung die für Mittwoch anberaumte Sitzung, so dass das nötige Quorum von 67 Parlamentariern nicht zusammenkam.

Damit scheint der Weg für Präsident Mahmud Abbas frei, per Dekret zu regieren. Das Grundgesetz sieht in Artikel 43 vor, dass in „außergewöhnlichen Situationen“, die keinen Aufschub dulden, der Präsident per Dekret Gesetze erlassen kann, wenn das Parlament nicht tagt. Sie müssen in der nächsten Parlamentssitzung jedoch abgesegnet werden. Kritiker bemängeln, dass Abbas’ Strategie nur aufgrund der israelischen Einflussnahme funktioniere, welche die Mehrheitsverhältnisse im Parlament verändert hat. Doch bereits die Einsetzung der neuen Notstandsregierung war rechtlich umstritten. Laut Artikel 45 Grundgesetz kann der Präsident zwar den Ministerpräsidenten absetzen. Aber das Kabinett amtiert weiter, bis ein neues Kabinett vom Parlament abgesegnet ist. Zwei Väter des palästinensischen Grundgesetzes, Anis al Qasem und Eugene Cotran, kritisierten, dass Abbas seine Kompetenzen eindeutig überschritten habe. Allerdings gibt es keine Vorgaben für den Fall, dass das Parlament nicht zusammentritt.

Ansonsten ist das Grundgesetz nach Ansicht des Professors für internationale Angelegenheiten an der Georgetown- Universität in Washington, Nathan J. Brown, der die Palästinenser bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes beraten hatte, „ungewöhnlich klar“ in den meisten Fragen. So kann der Präsident seiner Ansicht nach keine vorzeitigen Neuwahlen veranlassen. „Hier gibt es keine Schlupflöcher“, heißt es in einer Analyse, die er für den amerikanischen Think Tank Carnegie Endowment for International Peace erarbeitete.

Dabei hatte das demokratische Experiment in den Palästinensergebieten so schön begonnen. Die Parlamentswahlen vom Januar 2006 wurden allgemein als frei und fair eingestuft. Doch die Fatah-Bewegung, welche die Sicherheitsdienste und die Verwaltung dominiert, hat den Sieg der Islamisten nicht akzeptiert und teilweise gegen die nun von Hamas geführte Regierung gearbeitet. Hinzu kam der Boykott des Westens, Israels und der USA, die alle Reformen der Jahre 2002 bis 2004 rückgängig machten und wieder einseitig die Macht des Präsidenten stärkten, nachdem man Jassir Arafat mühsam Zuständigkeiten entzogen hatte. Im Parlament nutzte Hamas wiederum ihre Mehrheit, um alle Posten ausschließlich mit eigenen Mitgliedern zu besetzen, was auch wenig von demokratischer Kultur zeugte. Dennoch unterstreicht die Abgeordnete Hanan Aschrawi, dass sie Israel nicht gebeten habe, ihr den politischen Gegner durch Verhaftung zu entziehen. Mit der militärischen Machtübernahme in Gaza hat Hamas dann selbst das Tor für Gesetzwidrigkeiten geöffnet.

Das jetzige Chaos hat politische und nicht rechtliche Ursachen. Doch eine mögliche Verletzung der Verfassung „würde den politischen Konflikt zwischen Fatah und Hamas deutlich verschärfen“, fürchtet Brown. Der Wille der Palästinenser zum Aufbau einer Demokratie könnte zudem erschüttert werden. Daher wirft die bedingungslose westliche Unterstützung des unter Palästinensern umstrittenen Kurses von Abbas Fragen auf.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false