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Politische Debatte: Warum Gesetze Amokläufe nicht verhindern können

Politiker halten sich nach dem Amoklauf mit schnellen Forderungen zurück. Zum Glück, finden die Experten. Sie sind sich einig: So eine Tat kann nicht verhindert werden – zumindest nicht durch schärfere Gesetze.

Während vor sieben Jahren hektisch politische Diskussionen um verschärfte Waffengesetze und ein rigoroses Verbot von Computer-Gewaltspielen geführt wurden, beobachtet man heute vorsichtige Zurückhaltung. Anders als nach dem Amoklauf von Erfurt 2002 hält sich die Politik nach der Schreckenstat in Winnenden bislang mit schnellen Forderungen zurück.

Die alte und lauteste Forderung nach einer Verschärfung des Waffengesetzes lehnen Politiker der Großen Koalition sogar einhellig ab. Das deutsche Waffenrecht sei "auf der Höhe der Zeit", sagt der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Sebastian Edathy (SPD). Auch der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach sagt: "Wir haben im internationalen Vergleich ein strenges Gesetz."

An eine Waffe kommt der Täter in jedem Fall

Experten atmen ob der verhaltenen Regulierungswut der Politiker auf. "Ein reflexartiges, kopfloses Handeln der Politik, wie es 2002 stattgefunden hat, halte ich für völlig überzogen", sagt Isabella Heuser, Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Berlin. "Kein Gesetz, das die Politik erlassen könnte, würde auch nur einen Amoklauf verhindern. An eine Waffe beispielsweise kommt der Täter in jedem Fall."

Auch Herbert Scheithauer, Leiter eines Forschungsprojekts der Berliner Freien Universität zum Thema "School-Shootings", hält strengere Waffenregelungen für sinnlos. "Die Amokläufer begehen die Tat nicht spontan, sondern sie planen sie sorgfältig. Einem potenziellen Täter die Waffen vorzuenthalten oder möglicherweise gar wegzunehmen, kann sogar erst der Auslöser dafür sein, dass er seinen Plan in die Realität umsetzt."

Zentrale Waffenregister und Einlasskontrollen an Schulen sind wieder Thema

Aus diesem Grund könnte auch ein zentrales elektronisches Waffenregister, wie es der Fraktionsvize der Linkspartei, Bodo Ramelow, jetzt fordert, einen Amoklauf nicht verhindern. Ein solches Register würde zwar einen Überblick über die Anzahl der legalen Waffen in Deutschland schaffen, deren Risiken mindere es aber nicht. "Die Gefahr geht von den legalen Waffen aus. Viele Menschen besitzen von Berufs wegen eine Waffe: Jäger, Polizisten, Soldaten. Wenn diese Waffen nun aber wie im Fall Tim K. frei zugänglich sind, bringt es auch nichts, dass sie registriert waren", sagt Scheithauer.

Mehr Gehör findet der Vorschlag, Einlasskontrollen an Schulen zu installieren. Sowohl der SPD-Politiker Sebastian Edathy als auch Konrad Freiberg, Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), könnten sich das vorstellen. "Dieser Amoklauf wäre durch Wachschützer nicht verhindert worden, aber er wäre sicher anders verlaufen", sagt Heinz Buschkowsky, SPD-Bürgermeister des Berliner Problem-Stadtteils Neukölln. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef  Kraus, und Baden-Württembergs Kultusminister Helmut Rau (CDU) lehnen solche Konzepte allerdings ab. Man könne Schulen nicht zu Festungen ausbauen, sagte Rau im ZDF.

Taten finden meist in Kleinstädten statt

Dass Metalldetektoren und die völlige technische Überwachung hilfreich wären, bezweifelt auch Forschungsleiter Scheithauer. Vor allem, weil sie vermutlich vorrangig in Problembezirken installiert werden würden. Dabei sei auffällig, dass "die Taten meist in Kleinstädten stattfinden. Dort, wo man sie vermuten würde, in Großstädten mit hoher Jugendgewalt, gibt es diese Art der Amokläufe nicht."

Ein weiterer Vorschlag kommt vom Lehrerverband. Dieser fordert den Einsatz von wesentlich mehr Schulpsychologen, findet damit aber wenig Unterstützung seitens der Experten. Scheithauer zweifelt an der Umsetzbarkeit des Vorschlags. "In Deutschland kommen 12.000 Schüler auf einen Schulpsychologen. Selbst, wenn man die Zahl drastisch erhöhen würde, frage ich mich, was dieser Mensch denn ausrichten kann. Eine Amoktat wird er zumindest nicht verhindern können. Zumal die Täter wie in Erfurt und in Winnenden gar nicht mehr in der Schule waren."

Zurückhaltende Diskussion um "Killerspiele"

Die erwartbarste aller Forderungen wird diesmal erstaunlich selten vorgebracht: ein Verbot von Computer-Gewaltspielen. Bislang verlangte es nur Kriminologie-Professor Hans-Dieter Schwind. Er sagte: "Dass der 17-Jährige auf der Flucht noch weiter um sich geschossen hat, ist ein Verhalten, das Jugendliche auch in Spielen wie Counter Strike oder Crysis lernen können." Doch selbst Kriminologe Christian Pfeiffer, erklärter Gegner von "Killer-Spielen", sagt: Gewalttätige Computerspiele reichen nicht aus, um einen Amokläufer zu kreieren.

Das sieht auch Wissenschaftler Scheithauer so. Seiner Ansicht nach gibt es tatsächlich kein Gesetz, das einen Amoklauf wirklich verhindern könnte: "Die Lehrer müssen sich an ausgebildete Experten wenden können, um Anzeichen richtig einzuordnen. Und es muss eine Sensibilisierung für die Probleme der Jugendlichen stattfinden."

Simone Bartsch, Markus Horeld

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