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Neuwahlen - nicht unbedingt: NRW-CDU-Chef Norbert Röttgen auf dem Landesparteitag am Wochenende.

© dpa

Politische Lage in NRW: Einfach kompliziert

Die NRW-SPD steht unter Dauerfeuer der CDU, der Nachtragshaushalt 2010 am Dienstag vor dem Landesverfassungsgericht in Münster. Trotzdem: Neuwahlen will so richtig niemand im Land - nicht einmal die CDU.

Formal ist die Sache ganz einfach. Wenn sich die Mehrheit der Mitglieder des nordrhein-westfälischen Landtags für Neuwahlen entscheidet, wird gewählt. Spätestens nach 60 Tagen. So simpel lässt sich in Deutschland kaum ein Parlament auflösen. Nur, so einfach die Formsache ist, so kompliziert ist die politische Lage. Denn alle reden zwar davon, aber ernsthaft Interesse an Neuwahlen hat keiner. Nur könnte es sein, dass sie in NRW die Geister, die sie riefen, nicht mehr loswerden.

Norbert Röttgen muss das geahnt haben. Der Vorsitzende der NRW-CDU war, so sagen es seine Parteifreunde, nie ein Freund der Klage gegen den rot-grünen Nachtragshaushalt 2010. Über diesen entscheidet das Landesverfassungsgericht am Dienstag in Münster. Und dieses Urteil könnte eine politische Dynamik entfalten, die Röttgen fürchtet. Denn sollte das Gericht nicht nur den Nachtragsetat verwerfen, sondern der rot-grünen Minderheitsregierung Auflagen für 2011 machen, drohen Neuwahlen.

Gegenseitig haben sie sich hochgeschaukelt. Röttgens CDU hat mit einer erneuten Klage gedroht – gegen den Haushalt 2011. Die SPD wiederum hat für diesen neuerlichen Klagefall Neuwahlen angedroht. Die CDU willigte ein und setzt noch einen obendrauf, indem sie sagt: Wenn wir klagen, stellen wir auch gleich den Antrag auf Auflösung des Landtages. Keiner will öffentlich Neuwahlen ausschließen. In der CDU heißt es, man könne als Opposition nicht gegen Neuwahlen sein. Und die SPD will sich siegesgewiss geben.

In der SPD haben zwar schon einige Unterbezirke informelle Arbeitsgruppen gebildet, die sich auf mögliche Neuwahlen vorbereiten sollen. Aber in der Fraktion war das Grummeln groß, als Fraktionschef Norbert Römer so rigoros von Neuwahlen gesprochen hat. Einige der jüngeren Abgeordneten fürchten um ihren Sitz im Parlament. Bei den Grünen ist es ähnlich. Und vielen ist klar, dass das Haushaltsproblem mit einer Neuwahl nicht gelöst wird. Es sei denn, man würde mit dem Gedanken spielen, eine eigene Mehrheit zu bekommen, mit der man dann schnell einen harten Sparkurs fahren kann, diesen ein Jahr lang durchzieht und sich in den restlichen vier Jahren der Legislaturperiode politisch davon erholen kann – bis zur nächsten Wahl. Das aber, so heißt es, ist mit Kraft nicht zu machen. Sie sei keine Spielerin, keine Taktiererin. Demoskopisch sieht es für die SPD gut aus. Die meisten Institute sagen Rot-Grün im Moment eine Mehrheit voraus. Aber was heißt schon „im Moment“? Im Gegensatz zum vergangenen Wahlkampf müsste Kraft gegen einen Charismatiker antreten: Röttgen. Anders als gegen Jürgen Rüttgers ist der eloquent im Auftreten, debattensicher und telegen. Das kann die Stimmung drehen.

In Berlin verfolgen die Genossen die Geschehnisse noch recht gelassen. Ungefährlich, das wissen viele, ist die Lage aber nicht. Schnell könnten auch parteiinterne Gegensätze aufgebaut werden: Hier der erfolgreiche Sanierer Olaf Scholz in Hamburg, dort die „Schuldenkönigin“ Kraft in NRW. Deshalb beeilen sich auch die meisten abzuwiegeln. Hamburg sei nicht NRW und die Probleme der Elbphilharmonie nicht vergleichbar mit den großen finanziellen Risiken der maroden Landesbank WestLB. Und dass ausgerechnet eine sozialdemokratische Ministerpräsidentin die von der SPD mitbeschlossene Schuldenbremse aushebelt, sorgt auch für Stirnrunzeln. Schließlich schreibt diese vor, die Neuverschuldung sukzessive herunterzufahren und nicht, wie Kraft es vorhat, sie zu erhöhen. Viele Genossen finden die Politik des „vorsorgenden Sozialstaates“ gut. Nur dass parallel nicht gespart wird, ist ein Problem. „Da besteht ein gewisser Zielkonflikt“, sagt ein Vorstandsmitglied der SPD.

Wegen dieser Gemengelage rudern einige zurück. Neuwahlen seien nur eine Option, und nicht die naheliegendste, heißt es. Axel Schäfer, Chef der NRW-Landesgruppe in der SPD-Bundestagsfraktion, sieht zurzeit keinen Grund für Neuwahlen. „Diese Regierung ist auf fünf Jahre gewählt und nicht bis zur erstbesten Möglichkeit, Neuwahlen abzuhalten.“

In der CDU ist die Vorfreude auf Neuwahlen ähnlich gering ausgeprägt. Zwar beteuern alle öffentlich, man sei bereit, tatsächlich sagen aber die meisten: Alles ist offen. Denn für die Union sind die Schwierigkeiten ungleich größer. Ideen für einen sattelfesten Haushalt haben sie auch nicht. Und ihre größte Chance ist gleichzeitig ihr größtes Risiko: Norbert Röttgen. Eine Chance bietet sich für Röttgen, weil er im direkten Duell mit Kraft punkten kann und sich die CDU trotz schlechter demoskopischer Ausgangslage im Vergleich zur vergangenen Wahl eigentlich nur verbessern kann. Röttgen stellt aber auch ein Risiko dar, weil er erstens nach den Ereignissen in Japan im Mittelpunkt einer aufkommenden Atom-Debatte stehen würde. Und zweitens, weil er sich nicht festlegen will, ob er auch als Oppositionsführer nach Düsseldorf geht. Dass er das macht, glaubt in der Parteispitze kaum einer. Röttgen, heißt es dort, geht nur als Ministerpräsident nach NRW, nicht als Oppositionsführer. Röttgen selbst hat erklärt, dass er seine Zukunft vom Votum der Partei abhängig mache. Und die, so glauben viele, hat kein Interesse an einem Oppositionsführer Röttgen. Schließlich würde der dann Fraktionschef – und was macht der derzeitige Amtsinhaber Karl-Josef Laumann dann? Ein Domino-Effekt käme in Gang. Und diese Ungewissheit ist für die SPD ein gefundenes Fressen. Das wissen auch die Berliner CDU-Leute wie Wolfgang Bosbach. Deshalb sagt er: „Wenn man Ministerpräsident werden möchte, muss man ein klares Bekenntnis für Düsseldorf abgeben und kann sich nicht verschiedene Optionen offen halten.“ Mit angezogener Handbremse funktioniere das nicht. „An seinem bedingungslosen Einsatz für Nordrhein-Westfalen darf es keine Zweifel geben“, sagt Bosbach.

Nur, das ist vielen klar: Würde sich Röttgen so klar für einen Verbleib in Düsseldorf aussprechen, könnte er auch gleich seinen Rücktritt als Umweltminister einreichen, schließlich wäre er nur noch ein Minister auf Abruf. Und das würde die vierte Kabinettsumbildung in dieser Legislaturperiode nach sich ziehen. Keine schöne Aussicht für Kanzlerin Angela Merkel. Es quietscht und drückt also von allen Seiten. Auch Grüne, FDP und Linke haben kein Interesse an Neuwahlen. Sie fürchten Verluste. Aber bis auf die Linken haben alle versichert: Wir sind bereit. Und so ist die Situation in NRW vor allem eines: einfach kompliziert.

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