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Antoine de Saint-Exupéry, hier vor seinem Flugzeug, war ein Freund von Léon Werth.

© AFP

"33 Tage" von Léon Werth: Odyssee im Bugatti

Léon Werth wollte Paris 1940 in aller Ruhe verlassen. Doch es kam anders. Eine Rezension seines nun auf Deutsch erschienen Bericht.

Es ist eine eigenartige Verbindung, die zwischen Antoine de Saint-Exupéry und Léon Werth existierte. Der jüngere der beiden Schriftsteller, Saint-Exupéry, kam mit seiner Erzählung „Der kleine Prinz“ zu Weltruhm und stand bis zu seinem Tod während des Zweiten Weltkriegs in militärischen Diensten. Der ältere, Werth, war Pazifist. Dennoch verband die beiden eine enge Freundschaft. „Der kleine Prinz“ ist Léon Werth gewidmet.

Werth, der einer assimilierten jüdischen Familie entstammte, flüchtete 1940 gemeinsam mit seiner Frau vor den Nazis aus Paris, die vor der französischen Hauptstadt standen. „Wir fahren am 11. Juni neun Uhr morgens los. Wir rechnen damit, dass wir gegen fünf Uhr nachmittags ankommen, ohne uns zu hetzen.“ So beginnt Werths Bericht „33 Tage“, der von der Flucht in das Ferienhaus in Saint- Amour im Jura handelt. Von ihrem 15-jährigen Sohn, der wenige Stunden vor den Eltern Paris mit zwei Freunden ebenfalls verlassen hat, werden die Eltern lange Zeit nichts mehr hören. Denn wie der Titel der Schilderung verrät, wird aus der geplanten achtstündigen Fahrt mit dem Bugatti eine einmonatige Odyssee.

Es dauert bis 1992, bis „33 jours“ in Frankreich erscheint

Nachdem Werth am 13. Juli 1940 im Jura angekommen ist, schreibt er seine „33 Tage“ nieder. Das Manuskript übergibt er im Herbst desselben Jahres an seinen Freund Saint-Exupéry, der es in den USA anschließend seinem Verleger aushändigt. Dennoch wird das Buch nicht in den USA publiziert. Es dauert bis 1992, bis „33 jours“ in Frankreich erscheint. Das in der deutschen Ausgabe ebenfalls enthaltene Vorwort von Saint-Exupéry wurde erst 2014 in einem New Yorker Archiv entdeckt.

So wie Werth waren damals Millionen Franzosen auf der Flucht. Zu denen, die seinerzeit Paris verlassen mussten, gehörte die 1942 nach Auschwitz deportierte Schriftstellerin Irène Némirovsky, deren 2005 auch in Deutschland erschienener Roman „Suite française“ das Schicksal der Flüchtlinge einem breiten Publikum bekannt machte.

Anders als Némirovsky wählt Werth aber das Stilmittel der Reportage. Sein Bericht zeichnet sich dadurch aus, dass er ganz ohne Schwarz-Weiß-Malerei auskommt. So bleibt nicht unerwähnt, dass sich die deutschen Besatzer gelegentlich gegenüber den Geflüchteten auch hilfsbereit zeigen. Und andererseits schildert Werth, wie die pro-deutsche Frau eines Industriellen, in deren Haus er gemeinsam mit zahlreichen anderen Flüchtlingen Unterschlupf gefunden hat, die Wehrmachtssoldaten mit Champagner bewirtet. „Und lächelnd und gerührt sah sie zu, wie sie tranken“, schreibt er.

Die Beiläufigkeit macht die Stärke seines Flucht-Tagebuchs aus

Dabei spielen die Beobachtungen zu den deutschen Soldaten eine wichtige Rolle in Werths Schilderung. Er beschreibt ihre aufgesetzte Freundlichkeit gegenüber Kindern, die Tätowierungen auf ihren nackten Oberkörpern und die unangenehme Härte ihres Akzents, wenn sie Französisch sprechen.

Einmal berichtet Werth davon, wie eine Gruppe deutscher Soldaten sich im zentralfranzösischen Städtchen Ladon einen Kahn geschnappt hat und einer der Männer während der Wasserpartie Akkordeon spielt. Werth fühlt sich angesichts der Szene an ein Berliner Restaurant erinnert, das er zehn Jahre zuvor besucht hatte und in dem es von folkloristischem Kitsch nur so wimmelte. Die „gewöhnliche Musik“ der Soldaten ertönt in der Stille des Städtchens Ladon – nicht weit von den Gräbern, wo die Besatzer kurz zuvor 13 französische Soldaten und acht Zivilisten nach deren Erschießung verscharrt haben. Es ist diese Art von Beiläufigkeit, mit der Werth vom Schrecken des Krieges erzählt, welche die Stärke seines Flucht-Tagebuchs ausmacht.

– Léon Werth: 33 Tage. Ein Bericht. Aus dem Französischen von Tobias Scheffel. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2016. 207 Seiten, 19,99 Euro.

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