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Hans-Christian Ströbele.

© picture alliance / dpa

Biografie von Grünen-Politiker Ströbele: Kein Tor

Stefan Reinecke fängt in seiner Biografie das Leben und Wirken von Christian Ströbele mit großer Empathie ein. Eine Rezension.

Die erste Biografie über Hans-Christian Ströbele, Jahrgang 1939, ist mehr als eine Biografie. Sie fängt die Zeitumstände gut ein – die Jahre der „Roten Armee Fraktion“, die Gründung der Grünen, die CDU-Spendenaffäre unter Helmut Kohl, die Konflikte um die Bundeswehreinsätze im Ausland, die Kreuzberger „Szene“, die Enthüllungen von Edward Snowden zur Spionage. Und Ströbele, der sich erst nach dem 2. Juni 1967 politisierte, ist immer mittendrin.

Stefan Reinecke, der bereits eine Biografie über Otto Schily, Ströbeles Vertrauten und Konkurrenten, verfasst hat, schildert dessen Lebensweg weithin chronologisch. Der Sohn eines aus gutem Haus stammenden Chemikers studiert nach der Bundeswehrzeit Jura. Er ruft mit Horst Mahler, einem späteren Linksterroristen und einem heute in der Wolle gefärbten Rechtsextremisten, in Berlin ein Sozialistisches Anwaltskollektiv ins Leben. Vom spektakulären Stammheim-Prozess ausgeschlossen, wegen Unterstützung des Hungerstreiks der Terroristen und des Aufbaus eines Info-Systems, erhält er eine zur Bewährung ausgesetzte Strafe von zehn Monaten. Nach seiner Mitgliedschaft in der SPD – die Partei trennt sich von ihm wegen großer Nähe zu den Inhaftierten – ist Ströbele Ende der siebziger Jahre in Berlin einer der Initiatoren der Alternativen Liste für Demokratie und Umweltschutz (AL). Dem Bundestag gehört er für die Grünen von 1985 bis 1987 an, dann wieder seit 1998. Es folgt seit 2002 viermal der Gewinn eines Direktmandats in seinem Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg. Vielleicht ist dies seine größte Leistung. Ströbele, ein Fundamentalist, macht seiner Partei immer wieder Schwierigkeiten, nicht nur wegen seiner Ablehnung des außenpolitischen Kurses durch Joschka Fischer nach dem 11. September 2001 (Wahlkampfmotto 2002: „Ströbele wählen heißt Fischer quälen“).

Er ist Neffe des legendären Herbert Zimmermann

Eine spezifische Stärke des Buches, das auf vielen Gesprächen mit Ströbele und seinen Mitstreitern basiert: Reinecke, Redakteur der „taz“, fängt dessen Leben und Wirken mit großer Empathie ein: seine Erfolge, seine Niederlagen, seine Hartnäckigkeit. Ströbele, für den Autor ein Verfechter von Loyalität und Dissidenz zugleich, ist widersprüchlicher als das ihm anhaftende Klischee. Der entschiedene Befürworter außerparlamentarischer Aktionen versäumt kaum eine Sitzung des Bundestages; und der scharfe Kritiker der Geheimdienste ist das dienstälteste Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums.

Aus der Stärke ergibt sich zugleich eine gewisse Schwäche. Reinecke macht sich Ströbeles Sichtweise teilweise zu eigen, wobei die Kritik an dessen „antiimperialistischer“ Position mit Blick auf Israel (dies kostete ihn 1991 das Amt des Bundessprechers der Partei) allerdings harsch ausfällt. Und der Autor reizt sein Sujet nicht aus: So erfährt der Leser nicht, wie Ströbele, der Neffe des legendären Herbert Zimmermann, der 1954 das Fußballweltmeisterschaftsfinale im Rundfunk, leidenschaftlich kommentiert hatte, die Reportage und den Sieg der deutschen Mannschaft wahrnahm. 2006 jedenfalls fühlte er sich bei der Fußballweltmeisterschaft im eigenen Lande angesichts der vielen Deutschlandfahnen unwohl.

Auch wer den Porträtierten, einen Gesinnungsethiker, kritischer sieht, empfindet diesen nach der Lektüre als authentisch. „Strippenziehertum“ zeichnet den Dickschädel, der stets mit offenem Visier kämpft, keineswegs aus. Das anschaulich geschriebene Buch lässt indirekt die Politik der letzten fünf Jahrzehnte Revue passieren. Die 68er-Bewegung hat die Gesellschaft verändert, diese aber ebenso deren Militanz. Für Ströbele, der offenlässt, ob er 2017 erneut für den Bundestag kandidiert, gilt dies freilich am wenigsten. Er ist ein Fundamentalist geblieben.

Stefan Reinecke: Ströbele. Die Biografie. Berlin Verlag, Berlin 2016. 464 Seiten, 24 Euro.

Eckhard Jesse

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