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Immer noch ein journalistisches Wunderkind: Klaus Harpprecht.

© Privatarchiv KH

Klaus Harpprechts "Erinnerungen ans Überleben und Leben": Zeug zu einer Lehrstunde

Höhepunkt waren die Jahre mit Willy Brandt: Das journalistische Wunderkind Klaus Harpprecht erzählt aus der frühen Bundesrepublik.

Eine Autobiografie soll das Buch nicht sein. Gottlob hält sich Klaus Harpprecht nicht an seinen Vorsatz, sondern betrachtet sein Leben und seine Zeit als herausfordernden, ja, enthusiasmierenden Erzählstoff. Und der renommierte Journalist und Buchautor legt seiner Neigung auch keinen Zwang an, in vollen Zügen Situationen auszumalen, Personen scharfzüngig zu charakterisieren oder Anekdoten auszuschmücken. Eine nicht zu bremsende Lust zu schreiben, zu beobachten, anzuerkennen oder zu verreißen, zu polemisieren oder zu schwärmen lebt sich in diesem Buch aus – im „schrägen Licht“, wie sein Titel heißt. Er meint die Nachmittagsstimmung in Südfrankreich, dem Wohnsitz des Autors seit vierzig Jahren. Aber auch die Perspektive seines weit ins achte Lebensjahrzehnt vorgerückten Alters.

Klaus Harpprecht: Leben "war aus den Fugen"

Für das Buch bedeutet das noch eine volle Ladung der deutschen Katastrophe als Kindheits- und Jugenderfahrung. Mit diesem Vorspiel des Lebens und den Blicken, die es in die Abgründe der Normalität des „Dritten Reichs“ eröffnet, geht das Buch unter die Haut. Als dichte Beschreibung der deutschbürgerlich-bösen Gemengelage einer Jugend im Schatten von Diktatur und Krieg: mit der Welt des schwäbischen Bildungskosmos und dem Hineingezogenwerden in die Maschine von Gleichschaltung und Zerstörung, mit der Schutzzone des elterlichen Pfarrhauses – dass sein Vater kein Nazi war, nennt Harpprecht den „großen Glücksfall“ seines Lebens – und den Schicksalsschlägen, die die Epoche bereithält. Zwei Brüder fallen, Harpprecht übersteht knapp die letzten Zuckungen des Krieges. Das Leben „ging weiter, in der Tat. Aber es war aus den Fugen.“ Unordnung und frühes Leid einer gebeutelten Generation.

Das alles wirkt weiter in dem Journalistenleben, in das er, ein „achtzehnjähriger Kriegsveteran“, startet. Der junge Mann lässt die Universität links liegen und stürzt sich nach der Devise Learning by doing kopfüber in die sich bildende Medienlandschaft der Nachkriegszeit. Wie diese insgesamt ist ein Berufsanfang in dieser Zeit ein Patchwork von Aufbrüchen und Untiefen, von Improvisation und unverhofften Chancen. Für Harpprecht beginnt der Weg bei „Christ und Welt“, damals der führenden Wochenzeitung in der Bundesrepublik, noch weit vor der „Zeit“. Es folgt der Rundfunk, das große Medium der Nachkriegszeit – Rias und SFB, schließlich der WDR. Und fast zwangsläufig landet das journalistische Wunderkind bei der neuen Macht, dem noch jungen Fernsehen.

Klaus Harpprecht auf dem Monatsausweis der Stuttgarter Straßenbahn 1947.
Klaus Harpprecht auf dem Monatsausweis der Stuttgarter Straßenbahn 1947.

© Privatarchiv KH

Das alles vollzieht sich, natürlich, von heute aus gesehen, in grauer, fast prähistorischer Zeit. Harpprecht beförderte sie, höchst lebendig, wieder an die Oberfläche: die Stuttgarter Wochenzeitung, beheimatet in einer alten Flakbaracke, gestützt von den „christlichen Milchsuppen“ des Evangelischen Hilfswerkes, das der Gründer des Blattes, der spätere Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier ins Leben gerufen hatte; das Berlin des Kalten Krieges; das frühe, neubürgerlich angestrengte Bonn mit seinen silbergrauen Krawatten und seinem politischen Personal Adenauer, Wehner und dem jungen Willy Brandt.

Auch die fruchtbaren journalistisch-politischen Kreise, die es damals gab, beispielsweise um Richard Löwenthal, dem Neudenker der Sozialdemokratie, und Fritz René Allemann, der damals mit seinem Buch „Bonn ist nicht Weimar“ das Leitwort der Bundesrepublik setzte. Vielleicht hat vor allem das Erlebnis dieser Zeitspanne Harpprecht inspiriert – wie ein paar Jahre später Amerika, über das er als erster ZDF-Korrespondent vier Jahre berichtet: Die neue Welt wird für ihn wahrhaftig zu einer neuen Welterfahrung.

Klaus Harpprecht: Schräges Licht. Erinnerungen ans Überleben und Leben. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014. 560 Seiten, 26,99 Euro.
Klaus Harpprecht: Schräges Licht. Erinnerungen ans Überleben und Leben. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014. 560 Seiten, 26,99 Euro.

© promo

Klaus Harpprecht war von Adenauer fasziniert

Im Übrigen hat das Bild der Bundesrepublik, das diese Erinnerungen überliefern, durchaus das Zeug zu einer Lehrstunde. Denn Harpprecht lässt die Behauptung nicht gelten, sie sei in ihren fünfziger Jahren vor allem eine restaurative Veranstaltung gewesen, und schüttet Hohn über Wolfgang Koeppens Roman „Treibhaus“ aus, der inzwischen als Klassiker über die Adenauerzeit gilt und an dem so gut wie nichts stimme. Er beweist, in persona, dass man von Adenauer fasziniert sein konnte, auch wenn das eigene Herz damals schon eher links schlug. Er hebt „das ruhige, realistische Selbstbewusstsein“ hervor, mit dem die Bundesrepublik ins Leben trat – und illustriert es mit einer Schlüsselszene im Kanzleramt am 5. Mai 1955, als die Besatzungszeit zu Ende ging. Im dem ihm vorgelegten Text einer Erklärung macht Adenauer aus dem „Tag der deutschen Souveränität“ den „Tag der Wiedererlangung“ der Souveränität: Mit zwei Bleistiftworten – Harpprecht sieht dem Alten bewegt über die Schulter – rückt die Bonner Republik in die Kontinuität der deutschen Geschichte ein.

Nicht zuletzt geben Harpprechts Erinnerungen ein farbiges Bild des Nachkriegsjournalismus. Zumal in den sechziger Jahren, in der Wende zur sozial-liberalen Ära, in der die Medien eine bedeutende Rolle in der Öffentlichkeit der Bundesrepublik gewannen, gehört er ja selbst zu den Protagonisten dieser frühen Blütezeit eines neuen Journalismus – auf allen Podien präsent, von Verlagen und Redaktionen umworben. Sein Eintreten in die „Schreibstube“ des Bundeskanzlers Brandt, der Galionsfigur des damaligen Wandels, ist in der engen Berührung von Politik und Journalismus ein Höhepunkt dieser Phase der Nachkriegsgeschichte

Das sind die Jahre mit Brandt auch in Harpprechts Buch. Denn danach zerflattert es in einer Weise, die ein wenig ratlos macht. Mit Brandts Rücktritt und der Übersiedelung nach Südfrankreich bricht es geradezu ab. Die historische und politische Schriftstellerei, die Harpprecht seither in seiner idyllischen südfranzösischen Einsamkeit betreibt, bleibt fast ganz außen vor. Aber man kann auch nicht verschweigen, dass dieser Rückblick auf ein bewegtes Leben etwas Ungebändigtes, Unfertiges, Ausuferndes hat. Ist es der schöne Gedanke, statt eines neuen Mein-Leben-und-meine-Zeit-Anlaufs einen Lebensbericht zu schreiben, in dem das Private nicht weniger wiegt als Zeitgeschichte und Beruf, der das Buch oft weitschweifig werden lässt? Der große Stilist, der Harpprecht ist, ist keine Größe in der Kunst, sich einer Polemik zu enthalten, auf ein schmückendes Adjektiv zu verzichten, eine Affaire auf sich beruhen zu lassen. Sein Aufenthalt zwischen den Fronten, so scheint es, war nicht nur zuweilen ungemütlich, wie er schreibt. Er hat diesen Zustand, schwäbisch eigenwillig und eigensinnig, wie er ist, wohl auch gesucht: weil er, wie er bekennt, „stets auch eine Erfahrung der Freiheit“ war.

Klaus Harpprecht: Schräges Licht. Erinnerungen ans Überleben und Leben. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014. 560 Seiten, 26,99 Euro.

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