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Update

Polizeiausbildung in Afghanistan: Tatort Kabul

Schwer bewaffnet rücken die Ermittler an. Eine Frauenleiche liegt da, eine Puppe, es ist nur eine Übung. Europäische Beamte trainieren zurzeit 150.000 afghanische Polizisten. Denn die sollen ab 2014, wenn die Nato abzieht, für Sicherheit sorgen. Die Reportage.

Es fehlt offenbar an nichts in der Welt von Kommissar Amanullah. Im Büro seiner Chefin hängen ein Flachbildschirm und ein großes Konterfei von Präsident Hamid Karsai an der Wand, davor steht ein Schreibtisch aus dunklem Holz, darauf ein neuer Computer. Nur dass die Polizeichefin gerade ihren Stellvertreter zusammenstaucht, weil der eine junge Kollegin belästigt haben soll, passt nicht so recht ins Bild. Oder doch?

Tatort Kabul. Kommissar Amanullah ist der Held einer nach ihm benannten afghanischen Fernsehserie. Und Saba Sahar spielt die resolute Polizeichefin. Sie wird laut, gibt den Ton an, trifft harte Entscheidungen. Das kommt so gut an, dass an diesem Tag schon Folge 28 gedreht wird und der Privatsender Ariana die Krimireihe nun zur besten Sendezeit in die islamische Welt ausstrahlt. „Mit dieser Serie“, sagt Sahar, die auch als Regisseurin hier die Kommandos gibt, „wollen wir junge Männer und Frauen ermutigen, in den Polizeidienst einzutreten.“ Die Szene ist im Kasten.

„Die Serie ist so realistisch wie Karl May“, sagt Najibullah Samsoor. Er ist der Mann, der normalerweise auf dem Chefstuhl im neunten Polizeibezirk von Kabul sitzt. Im echten Leben eines afghanischen Ermittlers ist nicht viel Platz für den Glamour einer Fernsehserie. Samsoor zeigt auf die Gedenktafel für die sechs Kollegen seiner Wache, die im Kugelhagel aufständischer Talibankämpfer und bei einem Selbstmordanschlag getötet wurden. Bis September 2012 haben 1500 afghanische Polizisten den Kampf für die Sicherheit des Landes mit ihrem Leben bezahlt. Auch Saba Sahar wird im echten Leben wegen der mangelnden Unterwürfigkeit der Figur, die sie im Fernsehen verkörpert, mit dem Tod bedroht. Nur 1926 Frauen sind unter den 150 000 Polizisten, hat das Innenministerium gezählt. Die Polizei hat mehr Opfer zu beklagen als die Armee, da braucht es Nachwuchs und Furchtlosigkeit. „Ich habe keine Angst zu sterben“, sagt Samsoor, „wer für dieses Land stirbt, ist ein Held.“

Am heutigen Mittwoch hat das Bundeskabinett einem neuen Mandat zur Reduzierung der Bundeswehrsoldaten in Afghanistan zugestimmt. Die Zahl der Soldaten soll demnach bis Ende Februar 2014 von derzeit 4600 auf dann 3300 sinken. Dem neuen Fortschrittsbericht zufolge verbesserte sich die Sicherheitslage in diesem Jahr erneut leicht, bereitet aber in vielen Gebieten noch Anlass zur Sorge. Im Raum stand auch die Frage: Wie soll zivile Polizeiarbeit eingeführt werden, während gleichzeitig in weiten Teilen Afghanistans blutige Auseinandersetzungen anhalten?

„Das ist die große Frage“, sagt der deutsche Diplomat Hansjörg Haber, dem die nicht militärischen EU-Missionen unterstehen. Er ist in Afghanistan, um von den Afghanen selbst zu hören, was man in Zukunft noch besser machen könnte. „Das Datum 2014 treibt uns an“, sagt Haber und meint mit „uns“ die Nato und die Afghanen. Mit dem Datum wiederum ist die Zeit gemeint, da die Nato ihre Kampftruppen abziehen wird. „Gleichzeitig ist klar, dass dann noch nicht alles geschafft sein wird und die Polizeiausbildung auch an den politischen Rahmenbedingungen hängt.“

Ab 2014 sollen die Afghanen selbst Ruhe und Ordnung herstellen können. Die Polizei ist dabei noch wichtiger als die Armee, soll doch ein demokratischer Staat seine Feinde im Innern mit zivilen und nicht mit militärischen Mitteln stoppen. Die Ausbildung dafür teilen sich Amerikaner und Europäer. Vor allem die Nato übernimmt die Grundausbildung der Rekruten; um die Spezialisten, Spitzenkräfte und Strukturen kümmert sich eine 350 Beamte umfassende europäische Polizeiausbildungsmission namens Eupol Afghanistan. Nach massiver Kritik in deren Anfangsphase 2007 ist das Mandat eben erst bis Ende 2014 verlängert worden. Den europäischen Steuerzahler kostet das etwa 60 Millionen Euro pro Jahr. Beide Seiten sprechen von ersten Erfolgen, zu denen sie nicht nur zählen, dass die von Eupol ersonnene Krimi-Serie so gut läuft.

Da ist auch dieser Ring aus Stahl, eine Idee der europäischen Kollegen. Er stoppt den Verkehr. An Checkpoint 7, einem dieser 30 befestigten Kontrollposten, die sich wie eine Schlinge um Kabuls Innenstadt ziehen, kontrollieren Polizisten die Autos. Mit gezücktem Maschinengewehr suchen sie im Verkehr nach Verdächtigen. Seit kurzem sind getönte Pkw-Scheiben verboten.

Der Chef der EU-Ausbilder, ein Schwede, ist ebenfalls vor Ort. Doch er darf seinen gepanzerten Wagen am stählernen Ring nicht länger als 15 Minuten verlassen, um die Aufständischen nicht auf sich aufmerksam zu machen. Unweit seines Hauptquartiers an der Straße nach Dschalalabad waren vergangene Woche zwei Raketen eingeschlagen. Dennoch spricht der schwedische Polizist von „täglich großen Fortschritten bei der Sicherheitslage“.

An diesem Tag finden sie an Checkpoint 7 unweit des Flusses, der Kabul seinen Namen gibt, weder Waffen noch selbstgebaute Bomben. Das ist eher die Ausnahme.

Notruf 119 - Jemand hat einen Sprengsatz am Straßenrand entdeckt

Laut Innenministerium sind mit Funden entlang des „Ring of Steel“ dieses Jahr bereits 224 Bombenattentate verhindert worden – wozu der Geheimdienst zu einem erheblichen Teil beigetragen haben soll. „Wir haben den Feind infiltriert“, prahlt der stellvertretende Innenminister bei einem Treffen im verbarrikadierten Ministerium. „Wir wissen jetzt, wann er kommt.“ Der Tipp, jedem Polizeibezirk einen entsprechenden Verbindungsoffizier zuzuordnen, der die gewonnenen Erkenntnisse auch vor Ort verfügbar macht, kommt jedenfalls von den europäischen Beamten.

Es klingelt. Jemand hat 119 gewählt, den Polizeinotruf. Obaidullah Hashmat nimmt ab und bekommt nur Gekicher zu hören. Dann wird der 23-Jährige im Callcenter für seine Kooperation mit dem bösen Westen beschimpft.

Bis zu 10 000 Anrufe gehen täglich in den Telefonkabinen ein, in denen Polizisten wie Hashmat ihren Dienst verrichten. Doch meistens wolle nur irgendwer den neuen Service blockieren, berichtet Hashmat. Manche Jungs versuchten es auch immer wieder, um einmal bei einer Kollegin von ihm zu landen, um einmal mit einer Frau zu reden, was in Afghanistan für viele nicht einfach ist. Nur hinter etwa 100 bis 200 Meldungen verbirgt sich auch ein echter Notfall. Jemand hat einen Sprengsatz am Straßenrand gefunden, oder in einer Straße sammeln sich bewaffnete Kämpfer. Aber das ist selten. Die meisten Anrufer tragen Anliegen vor, die es außerhalb Afghanistans genauso gibt.

Dass so viel Bürgernähe sonst sehr häufig korrupter Regierungsstellen den Taliban nicht passt, ist klar. Eine Untersuchung des Innenministeriums, das die Anrufe einmal zurückverfolgte, hat ergeben, dass die Störer vor allem aus den umkämpften Provinzen Kandahar und Helmand kommen.

Das ist das Kalkül der europäischen Berater. Der Berliner Polizeidirektor Uwe Heller zum Beispiel setzt als Berater des afghanischen Innenministers ganz oben an, um die Idee des sogenannten Community Policing umzusetzen. Es geht darum, erklärt der 52-Jährige, der seit Mai in Afghanistan arbeitet, „Sicherheitsstrukturen zusammen mit der Bevölkerung zu schaffen“. Afghanische Polizisten sollen vorausdenken, sich aktiv beteiligen und freundlich sein und auf diese Weise das Bild ihrer Landsleute entkräften, nach dem Sicherheitskräfte vor allem als geldgierig und gewalttätig seien.

Dabei geht es bei dieser Goodwill-Initiative nicht nur darum, „durch enge Kontakte und Vertrauen an Informationen zu kommen“, wie Heller sagt. Es lassen sich auch Probleme lösen wie das neulich mit einer Schule für Mädchen. Die Schülerinnen mussten auf dem Weg in den Unterricht einen Bazar durchqueren und wurden ständig beleidigt: Nach Gesprächen mit den Dorfältesten wurde der Markt verlegt.

Aber Community Policing, was für ein Wort. An der Polizeioffiziersschule von Kabul, die schon 4500 Afghanen durchlaufen haben, sprechen sich die Kommandanten noch gegenseitig als „Soldaten“ an, die sie in vielen Schlachten der Vergangenheit waren. Unter ihnen General Abdulahad Hamidyar. Er hat die zweite Brigade der Bereitschaftspolizei in der Talibanhochburg Kandahar befehligt. Seine Miene verrät in dem Klassenzimmer nicht, was er von dem Seminar über Menschenrechte und Frauengleichstellung hält. Chief Inspector Terry Scaife aus dem englischen Yorkshire will ihm beibringen, dass ein Fall auch ohne Geständnis gelöst werden kann. Dass es etwas Besseres als unter Folter abgepresste Bekenntnisse gibt, nämlich Beweise.

Was das bedeutet, wird 230 Kilometer weiter nördlich, in Kundus, praktisch erprobt. In einem leer stehenden Haus unweit des deutschen Bundeswehrlagers wird ein Mord nachgestellt. Die Kursteilnehmer müssen ihn aufklären. Ihnen behilflich ist ein niederländischer Polizist. „Zwei Tage an einem Fall aus der Praxis zu arbeiten“, sagt er, „das bringt mehr als zwei Wochen Klassenzimmer.“ Vorbereitet ist eine Frauenleiche, eine Puppe.

„Dass Männer ihre Ehefrauen töten, passiert hier leider häufig“, sagt der Niederländer. Er und seine Kollegen bieten diese Art von Training auch in kleinen Polizeiwachen auf dem Land an. Sie sind gerade dabei, den Radius auf 70 Kilometer rund um Kundus auszudehnen. Begleitschutz erhalten sie von Nato-Soldaten der Bundeswehr und des niederländischen Kontingents. Bevor sie losfahren, suchen F-16-Kampfjets aus der Luft ihre Wegstrecke nach Sprengfallen ab. Wie überhaupt das Militär in der Gegend immer häufiger im Hintergrund bleibt. Wenn jetzt irgendwo etwas passiert, sind es Polizisten wie Abdul Rahman, die an den Tatort gehen.

Schwer bewaffnet rückt Rahmans Einheit an. Erst muss der Tatort gesichert werden, Absperrband wird ausgerollt. Als seine Leute in Position sind, befragt der 36-jährige Rahman eine weinende Frau mit einem Baby im Arm, die offenbar etwas gesehen hat. Beweise. Rahman ist da nicht so recht überzeugt. Er staunt nicht schlecht, als sogar der Staatsanwalt anrückt, gefolgt von einem Mann im weißen Kittel, der die Puppe mit der roten Farbe von allen Seiten fotografiert. Als der niederländische Polizeikommandant verspricht, solche weißen Anzüge auch den Afghanen besorgen zu können, weicht Rahmans Skepsis.

Aber Rahman gehört ohnehin zu denen, die an das europäische Friedensrezept glauben. In seinem Bezirk Aliabad sei es sicherer geworden, sagt er. Erst vorvergangene Woche haben sie dort 150 Päckchen mit selbst gebauten Bomben auf einem Lastwagen sicherstellen können. Sie ergriffen die Täter, als die Fracht entladen werden sollte. Der Tipp kam aus der Nachbarschaft. „Es lohnt sich, gute Beziehungen mit den Menschen in seiner Gegend zu haben“, sagt Rahman, Vater von fünf Kindern, für die er das Risiko auf sich nimmt. „Sie sollen Bildung bekommen und eine gute Zukunft haben.“

Eine gute Gegenwart kann er ihnen von seinem Polizistengehalt nicht bieten. „Das Geld reicht hinten und vorne nicht.“ Auf die Frage hin, woher er das restliche Geld nimmt, das er braucht, um sie durchzubringen, schweigt Abdul Rahman.

Polizeioberst Taslim Paiman aus der Provinz Jawzjan wiederum erzählt, dass von den 50 Polizisten, die er in seinem Bezirk zur Verfügung hat, nur drei in der traditionellen Kriminalitätsbekämpfung tätig sind. „Der Rest“, sagt Paiman, „kämpft gegen die Taliban.“

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