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Politik: Polnischer Spagat

Warschau will die künftigen EU-Partner nicht mit seinen Forderungen verprellen – aber auch den Eindruck vermeiden, es lasse sich vom Westen bevormunden

Die Charakterisierung, die die polnischen Journalisten für ihre Regierung finden, sind wenig schmeichelnd. „Tölpelhaft“ habe sich Warschau in der Diskussion um den Beitritt zur EU verhalten, sagen einhellig Danuta Zagrodzka von der linksliberalen Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ und Adam Krzeminski von der Wochenzeitung „Polityka“ – zwei, die sich nicht immer so einig sind.

Doch das, was auf den ersten Blick so aussieht, als würden sich die Medien auf die Seite von Berlin und Brüssel stellen, denen das fordernde Auftreten der Polen in den vergangenen Monaten sauer aufgestoßen ist, bezieht sich mehr auf die Taktik der sozialdemokratischen Regierung von Ministerpräsident Leszek Miller als auf die Inhalte. Denn durch die innenpolitische Diskussion ist es für Warschau schwer geworden, von seinen Forderungen wieder abzurücken – vor allem der Beibehaltung des überproportional großen Gewichts Polens bei der Stimmenzählung in der Europäischen Union. Dies war in Nizza vereinbart worden war, soll nach den Konventsberatungen in der EU-Verfassung nun aber nicht mehr gelten.

„Nizza oder Tod“ – mit dieser Parole hat die Opposition diese Frage für die angeschlagene Regierung so wichtig gemacht. Millers Zwickmühle: Er darf seine neuen Partner nicht zu sehr verprellen – Deutschland, zum Beispiel, will die Verfassung nicht noch einmal aufschnüren –, gleichzeitig aber zu Hause nicht den Eindruck eines Schoßhündchens der „Großen“ erwecken. Daher rührt auch die Forderung nach einem eigenen stimmberechtigten Kommissar für jedes Beitrittsland. Die einen, wie Krzeminski, sagen, Polen dürfe nicht mehr der Helfer von Deutschland und Frankreich sein. Der im Präsidialamt für Europafragen zuständige Staatssekretär Dariusz Szymczycha fordert Kommissare mit gleichen Rechten, sonst sei es wie früher: Da habe es einen ersten Sekretär der Partei gegeben und viele einfache Sekretäre.

Viele Polen haben den Eindruck, Dankbarkeit werde vor allem von Frankreich, aber auch von Deutschland, so verstanden, dass Polen froh sein solle, im Konzert mitspielen zu dürfen, aber ansonsten sich doch bitte einfügen sollte. Freundlich betont jeder in Warschau, wie viel Deutschland für die Nachbarn getan habe. Gleichzeitig fühlen sich (nicht nur) die Verantwortlichen zu Unrecht kritisiert. Auch, wenn es um die Unterstützung der Amerikaner nach dem Krieg im Irak geht. „Wir wollen mehr faire Debatten darüber, wie das moderne Europa aussehen soll“, fordert Außenminister Wlodzimierz Cimoszewicz. Vielleicht, so sagt er, hätten beide Seiten die psychologischen Effekte unterschätzt, die die neue Rolle als Partner durch den Beitritt zur EU im Mai 2004 haben würde. „Wir wollen ein guter Partner sein, aber nicht einer, der alles akzeptiert.“

In Warschau zeigt sich auf Schritt und Tritt, wie eng im Alltag das frühere Leben im Kommunismus und der Aufbruch in modernere Zeiten beieinander liegen: einfache Lokale mit billigen Alutöpfen auf dem Herd warten direkt neben neuen Cafés auf Kundschaft, heruntergekommene Wohnsilos beherbergen die Mehrheit der Menschen, mittendrin entstehen Stadtvillen, ärmlich gekleidete ältere Frauen stehen neben jungen in westlicher Kleidung an der Bushaltestelle. Die Regierung will in die neue Welt aufbrechen und ihrer Bevölkerung zeigen, dass Polen dort nicht wieder Untertan ist. Selbstbewusst verweist Warschau auf 3,5 Prozent Wachstum in diesem Jahr und eine noch bessere Prognose für 2004, auf hoch motivierte und gut ausgebildete junge Menschen – ein ganz anderes Bild als im Westen.

Dass möglicherweise die Standards der Europäischen Union für Lebensmittel in den zahlreichen kleinen Schlachthöfen oder Molkereien nicht eingehalten werden könnten und Streit mit den neuen Partnern droht, wenn vielleicht die Grenzen für polnisches Fleisch geschlossen würden – das kann sich der Außenminister nicht vorstellen. „Das wäre ein Desaster“, sagt er. „Jeder weiß das und versteht das. Das wird am Ende kein Problem sein.“

Doch auch die versöhnlichen Töne sind nicht zu überhören. „Wir kommen nicht in die Union, um sie zu blockieren“, sagt Cimoszewicz. Und Staatssekretär Szymczy lässt erkennen, dass das Beharren auf Nizza kein Dogma ist. Vielleicht, so deutet er an, komme Polen selbst darauf, dass eine solche Stimmengewichtung für Warschau nicht gut sei.

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