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Salzwasser-Cowboys treiben junge, wild lebende Hengste von der Atlantikinsel Assateague zur Versteigerung.

© Jim Watson/AFP

„Pony Swim“ in Virginia: Tradition oder Tierschutz?

Seit 93 Jahren werden die Ponys von Assateague durch das Meer getrieben. In diesem Jahr starb ein Tier - Aktivisten protestieren nun gegen die Tradition.

In der Morgendämmerung sind zunächst nur Schemen zu erkennen. Ein braunes Pony steht auf der anderen Seite der schmalen geteerten Straße und grast. Daneben liegt etwas Kleines, ist das etwa...? Ja, es ist ein Fohlen, vielleicht zwei Wochen alt. Sein Fell ist gescheckt. Keine drei Meter entfernt sind die beiden, und sie lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. Die wilden Ponys auf Assateague sind menschliche Besucher gewohnt.

Auf Assateague gibt es zwei Herden: Etwas mehr als 100 Ponys leben auf dem zum US-Bundesstaat Maryland gehörenden Teil der Atlantikinsel, rund 200 Kilometer entfernt von der Hauptstadt Washington. Bis zu 150 sind es im südlichen, zu Virginia zählenden Teil. Es ist ihre Insel. Wer zum Zelten hierher kommt, muss sich an strenge Regeln halten: Alles Essbare wird in gusseisernen Truhen verwahrt, Autos müssen ganz langsam fahren, die Gäste dürfen sich den Tieren nicht nähern, und ab 22 Uhr ist Bettruhe.

Eine Legende besagt, dass die Ponys von spanischen Pferden abstammen, die sich von einem sinkenden Schiff auf die Insel retten konnten. Eine andere berichtet davon, dass Siedler vom Festland oder der Nachbarinsel Chincoteague ihre Pferde dort frei ließen, um keine Steuern zahlen zu müssen. So oder so: Die Ponys sind hier heimisch und „wild“ geworden – und sie sind die Attraktion der Insel, wenn sie am Strand auf- und abtraben, in der Meeresbrandung toben oder auch mal neugierig die Zelte ihrer Besucher beschnuppern.

Das Event wird beim Public Viewing übertragen

Wichtig ist, dass die Herden nicht zu groß werden und andere Arten gefährden – sie haben auf der Insel keine natürlichen Feinde. Um das zu verhindern, wenden die beiden Inselteile unterschiedliche Strategien an. Der National Park Service, der die Tiere in Maryland bewacht, setzt auf Geburtenkontrolle, manchmal werden auch ein paar der Tiere aufs Festland gebracht.

Anders in Virginia: Auf diesem Inselteil hat man aus der Not ein Event gemacht. An jedem letzten Mittwoch im Juli werden überzählige Junghengste identifiziert und mit anderen Ponys schwimmend zur Nachbarinsel Chincoteague getrieben, wo ein Teil von ihnen am nächsten Tag versteigert wird – zwischen 550 und 11.000 Dollar wurden bisher für die Fohlen geboten. Es ist ein großes Spektakel, die Hotels in Chincoteague sind schon Wochen vorher ausgebucht und sehr teuer. Meist müssen die Zimmer fünf Tage am Stück genommen werden. Wenn die „Salzwasser-Cowboys“ die Ponys bei Ebbe ins Wasser treiben und ihre Kollegen in Booten dann überwachen, dass diese in die richtige Richtung schwimmen, jubeln ihnen tausende Zuschauer zu.

Wer gute Sicht auf das ungefähr zehn Minuten dauernde Treiben haben will, mietet sich ein Boot oder paddelt mit dem Kanu hinaus. Am Ufer gibt es sogar ein Public Viewing, wo die besten Bilder der schwimmenden Ponys auf einer Leinwand gezeigt werden. Der Erlös der Auktion geht an die Freiwillige Feuerwehr in Chincoteague, der die Virginia-Herde offiziell gehört. Nach der Versteigerung schwimmt ein Teil der Tiere zurück, ein Jahr lang dürfen die ganz Jungen noch frei auf Assateague leben. Doch nach 93 Jahren wird der „Pony Swim“ nun in Frage gestellt. Denn in diesem Jahr gab es einen Zwischenfall, bei dem ein Pony mit dem Namen „Butterfly Kisses“ ums Leben kam.

Tierschützer kritisieren das jährliche Ereignis

Das Pony wurde im Pferch von einem anderen gejagt, stolperte und brach sich das Genick. Die internationale Tierschutzorganisation Peta, die immer wieder mit umstrittenen Aktionen auf sich aufmerksam macht, nahm das zum Anlass, auf das, aus ihrer Sicht, überfällige Ende des „traurigen Spektakels“ zu drängen. „Der sinnlose Tod dieses Ponys ist der letzte Beweis, dass das Einpferchen der Tiere und die Versteigerung ihrer Fohlen die Feuerwehr von Chincoteague zunehmen rückwärtsgewandt, unverantwortlich und grausam aussehen lässt“, erklärte die Präsidentin von Peta, Ingrid Newkirk. Das alles sei stressig für die Ponys und würde ihnen Angst einjagen. Petas Maxime sei es, dass Tiere nicht zur Unterhaltung ihrer Besitzer eingesetzt oder auf andere Weise „missbraucht“ würden.

Grausam, sinnlos, Missbrauch: Das sind harte Worte, die man auf Chincoteague so nicht stehen lassen möchte. Der Tod des Ponys sei ein tragischer Unfall gewesen, erklärte Denise P. Bowden, die Sprecherin der Feuerwehr von Chincoteague. „Butterfly Kisses“ sei bereits am Vortag problemlos und verletzungsfrei durchs Meer geschwommen. Auch die Veranstalter hätten Gefühle und Respekt vor „diesen wundervollen Kreaturen“, schreibt Bowden auf Facebook. Aber ohne das Event wachse die Population der Tiere unkontrolliert, sie würden sich gegenseitig die Nahrung wegfressen, krank werden und sich Verletzungen zuziehen.

Peta fordert dagegen, dass die Feuerwehr „humane“ Möglichkeiten finden solle, Geld „für ihre wichtige Arbeit“ aufzutreiben. Dass die Population nicht zunehmen darf, sieht auch die Tierschutzorganisation ein und gibt sich versöhnlich: Niemand werde beschuldigt, man wolle einen „zivilen Dialog“. Aber Geburtenkontrolle könne eben auch anders betrieben werden. Nostalgie sei dabei fehl am Platz.

Doch die Einheimischen lieben ihre Tradition genauso wie die wilden Ponys. Nicht zuletzt sind die vielen Touristen, die Jahr für Jahr zum „Pony Swim“ anreisen, eine gute Einnahmequelle für Chincoteague. In den Online-Kommentaren lokaler Medien ist die Meinung fast einhellig: Peta habe keine Ahnung, was auf der Insel wirklich passiert. Manche Kommentare erinnern in ihrer Härte an politische Debatten in den USA: etwa wenn der Organisation „Terrorismus“ vorgeworfen wird, da Peta lieber Tiere töte, als sie bei ihren Eigentümern zu belassen. 2019 werden die Ponys wohl wieder schwimmen. Aber die Diskussion ist noch nicht vorbei.

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