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Porträt: Der Exot Philipp Rösler

Philipp Rösler sieht sich gerne in der Rolle des Politik-Underdogs. Für ein Spitzenamt in der FDP muss das kein Hindernis sein.

Berlin - Im Grunde träfe es den Mann zum falschen Zeitpunkt. Er sei nun endlich in seinem Amt „angekommen“, sagt Philipp Rösler neuerdings bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Und dass ihm sein Job als Gesundheitsminister nach 17 Monaten „richtig Spaß“ zu machen beginne. Sein Rezept dabei ist die innere Haltung. „Wenn man weiß, dass man ohnehin kritisiert wird, gibt einem das die Freiheit, zu tun, was man für richtig hält.“ Und das, so fügt der FDP-Politiker hinzu, sei doch „der Wunschtraum jedes Politikers“.

Ob der 38-Jährige auch als Parteichef so fatalistisch frei sein kann, ist zweifelhaft. Am Wochenende verdichtete sich nochmals das Gerücht, dass die Nachfolge von Guido Westerwelle als Bundesvorsitzender der FDP auf Rösler zulaufen könnte. Der einzige verbliebene Gegenspieler sei FDP-General Christian Lindner, hieß es. Und Röslers Bedingung – verbreitet über mehrere Zeitungen wie eine letzte Bewerbung vor der Präsidiumssitzung am Montag – lautet: inhaltliche Neuausrichtung. Die FDP müsse sich der konkreten Lebenswirklichkeit der Menschen stellen. „Wir müssen unsere Glaubwürdigkeit zurückgewinnen“.

Verloren sieht sie der gelernte Mediziner vor allem durch die programmatische Verengung der Westerwelle-FDP auf die Themen Ökonomie und Steuerpolitik. Rösler will mehr für seine Liberalen: Kompetenz auch für das, was die Gesellschaft anderweitig umtreibt. Sozialthemen, Bürgerrechte. „Eine Partei von Maß und Mitte“ sei die FDP immer gewesen, erinnert der gläubige Christ, der sich auch im Zentralkomitee der Katholiken engagiert – die Kritik am Polarisierungskurs und der scharfen Wortwahl des unbeliebten Parteivorsitzenden, etwa in der Hartz-IV-Debatte, ist nicht überhörbar. „Was uns fehlt“, hieß ein viel beachtetes Thesenpapier aus Röslers Feder, veröffentlicht bereits im Jahr 2008.

Gefehlt hat es dem Autor aus der Sicht von Beobachtern allerdings bislang auch am zur Umsetzung nötigen Macht- und Gestaltungswillen. Als er im Herbst 2009 nach Berlin kam, hat er gleich verkündet, dort nicht lang bleiben zu wollen. Spätestens mit 45 sei Schluss für ihn mit der Politik. Was er fürchtete, ließ er nur vage anklingen: die menschliche Verformung als Berufspolitiker. Bis heute hat Rösler diesen Vorsatz nicht revidiert, und so ist das Gerücht glaubhaft, dass er sich für die Partei auch nur als eine Art Übergangsvorsitzender zur Verfügung stellen würde – aus Pflichtgefühl heraus und eben nicht als Verwirklichung eines ehrgeizigen Lebenstraums, wie das bei Westerwelle der Fall war.

Eitelkeit ist dem gebürtigen Vietnamesen sowieso wesensfremd. Lieber hält er sich im Hintergrund und zelebriert sich als Exot im Politikbetrieb – der sich dann in vertrauter Runde auch schon mal ein Scherzchen über allzu verbissene Kollegen erlaubt. Ins Amt des Bundesgesundheitsministers hatten sie ihn regelrecht tragen müssen. Rösler hatte gerade ein Häuschen bei Hannover erworben, wollte sich als guter Vater um seine eben erst geborenen Zwillingstöchter kümmern – und hatte, wie alle anderen politischen Beobachter damit gerechnet, dass das Amt sowieso an die Union gehen würde.

Röslers Familie ist auch nicht mit umgezogen nach Berlin, und so ist der Ressortchef ein innerlich zerrissener Pendler zwischen den Lebenswelten geblieben. Zu Frau und Kindern hält er mit Hilfe neuer Medien Kontakt, auf seinem iPod wimmelt es – neben Udo-Jürgens-Liedern – von Fotos seiner beiden Töchter Grietje und Gesche. Wenn er am Wochenende nach Hause kommt, kann es passieren, dass seine Frau Wiebke gerade in der Klinik als Ärztin Dienst schieben muss. Und wenn es nach langen Arbeitstagen nicht zur Fahrt ins Niedersächsische reicht, wo Rösler immerhin auch als Parteichef fungiert, nächtigt er im Nebenzimmer seines Ministeriums auf dem Feldbett – wofür er übrigens eine stattliche Miete bezahlt.

Die Trennung und der Arbeitsdruck haben den jungen Politiker mitgenommen. Als es im Herbst vergangenen Jahres konkret wurde mit der Gesundheitsreform, scheint er nochmals eine Krise durchgemacht zu haben. Danach aber wirkte er wie neu geboren – frisch, tatendurstig, auch mitteilsamer. Neuerdings ist er öfter ohne Schlips zu sehen, gerne im weißen, oben aufgeknöpften Hemd. Das Starre und Streberhafte, dieser Wunsch, alles unbedingt perfekt hinzubekommen, scheint von ihm gewichen. Rösler, so der Eindruck, lernt gerade das Genießen.

Aus der FDP-Debatte hat sich der niedersächsische Parteichef lange Zeit herausgehalten. Allerdings wurde er innerparteilich immer stärker. Nachdem es sein Staatssekretär Daniel Bahr Ende November zum Landesvorsitzenden in Nordrhein-Westfalen brachte, rechneten Parteiinsider zusammen, dass die Truppe um die beiden Gesundheitspolitiker bereits gut 35 Prozent aller Parteidelegierten stellt. Außerdem waren die liberalen Krisenzeiten für die beiden gut zu überstehen. In Niedersachsen wurde und wird vorerst nicht gewählt, und in NRW ist die FDP auch nicht sonderlich mit der Forderung nach Neuwahlen aufgefallen.

Gleichwohl erinnerte Rösler auch im neuen, besseren Jahr immer wieder mit seligem Gesichtsausdruck daran, welche Freude ihm doch das Amt des Wirtschaftsministers in Niedersachsen gemacht habe. Nicht nur aus dieser Vorerfahrung und Neigung heraus gilt es als wahrscheinlich, dass ein FDP-Chef Rösler auch den glücklosen Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle beerben könnte. Ein Nachfolger für ihn stünde bereits parat. Daniel Bahr ist nicht nur ein seit langem ausgewiesener und erfahrener Gesundheitspolitiker, als Röslers Parlamentarischer Staatssekretär und Strippenzieher steckt er längst mittendrin im Ministeriumsalltag. Kein Risiko also für die Bundeskanzlerin. Und das diffizile und niemals sonderlich populäre Amt des Gesundheitsministers ließe sich, das wissen alle in Röslers Partei, nur schwer mit dem Parteivorsitz vereinbaren.

Bekanntermaßen ist für dieses Ministerium ja schon die Zugehörigkeit zur FDP ein gewisses Problem. Doch Rösler hat, und das ist vielleicht seine bislang größte politische Leistung, den Spagat zwischen Wettbewerbs-Idealismus und Verantwortung für das solidarische System der Kranken- und Pflegeversicherung ausgehalten. Dass ihm das gelingen würde und er dabei noch liberale Duftmarken setzen könnte, hatten nicht nur politische Gegner bezweifelt. In der Union gab es etliche, die den Besserwissern aus der FDP mit Genugtuung dabei zugesehen hätten, das schwierige Ministerium gegen die Wand zu fahren. Doch Rösler hat gegen erbitterten CSU-Widerstand nicht nur den Einstieg in ein Prämiensystem durchgeboxt. Er hatte auch die Einsicht und den Mumm, den eigenen Parteigängern aus den Reihen der Ärzte, Apotheker und Pharmahersteller, etwas zuzumuten.

Parteifreunde signalisieren ihm mittlerweile, dass er sich auf dem Posten doch ganz wacker schlage. Was sie nicht daran hindert, ihm gelegentlich immer noch in den Rücken zu fallen. So glaubte erst unlängst der Finanzexperte Hermann Otto Solms, assistiert vom Pflegepolitiker Heinz Lanfermann, dem eifrigen Minister klarmachen zu müssen, dass es – Bedarf hin oder her – für die Pflegeversicherung in dieser Legislaturperiode keinesfalls höhere Beiträge geben dürfe. Rösler hatte sich das – nachdem er schon mit seinem Ja zu Pflegemindestlöhnen gegen die FDP-Religion verstoßen hatte – zumindest offenhalten wollen. Sein Plan war, erst einmal den Riesenbedarf skizzieren zu lassen, und auf diese Weise dann auch einen gesellschaftlichen Konsens bei der Finanzierung hinzubekommen.

Beim Thema Atom – auch das passt zu Röslers „mitfühlendem Liberalismus“ – gehörte der Gesundheitsminister zu den Liberalen, die nach Fukushima ehrlich geschockt wirkten – und innerparteilich als erste auf einen ebenso ehrlichen energiepolitischen Kurswechsel drängten. Es ist anzunehmen, dass er sich gegenüber den deutschen Kraftwerksbetreibern, von denen er sich schon beim Skandal um das niedersächsische Atomzwischenlager Asse verschaukelt fühlte, als Wirtschaftsminister weniger konziliant geben würde als sein Parteifreund Brüderle.

Mit der Tatsache, in Beliebtheitsrankings ganz unten zu stehen, könne er inzwischen leben, hat Rösler Anfang März vor Gesundheitsjuristen versichert. Zudem tröste er sich damit, dass sein Parteichef noch unbeliebter sei. Rösler könnte beweisen, dass zumindest letzteres nicht allein vom Amt, sondern auch von der Person des Amtsinhabers abhängt.

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