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Porträt einer Politikerin, die Amerika rätseln lässt: Sarah Palin - Frau ohne Eigenschaften

Sie ist der Star der Konservativen. Geliebt, weil sie kein Blatt vor den Mund nimmt. Gehasst von ebenso vielen, weil sie so provinziell wirkt. Wer ist Sarah Palin eigentlich? Will sie tatsächlich US-Präsidentin werden?

Schon eine Stunde, bevor der Star erwartet wird, stehen Hunderte vor dem Border’s Buchladen in Des Moines, der Hauptstadt von Iowa. Die meisten tragen Kunststoffarmbänder in einer der fünf Farben Gold, Grün, Rosa, Blau und Violett. Das heißt: Sie haben morgens schon mal angestanden, um eines der Armbänder zu ergattern und abends garantiert zu den 500 Menschen zu gehören, denen Sarah Palin ein Exemplar ihres neuen Buchs „America by Heart. Reflections on Family, Faith and Flag“ signiert. In jeder Farbe wurden 100 ausgegeben, danach richtet sich nun die Reihenfolge beim Einlass. Mary, Mitte 60, ist Rentnerin und hat früher für einen Paketdienst gearbeitet. Sie schwärmt für Sarah, „weil sie eine Christin, Mutter und Großmutter ist, genau wie ich. Und weil sie Dinge mit den Worten sagt, die auch ich benutzen würde.“

Zwei Wochen ist Palin auf Buchtour, 17 Stops in 13 Staaten, fast ausschließlich republikanisches Stammland wie Kansas, Kentucky, Nebraska, Oklahoma, Tennessee, Texas. Für zwei dieser Termine interessieren sich die Medien ganz besonders: den Auftritt an diesem Abend in Des Moines und wenige Tage später in Spirit Lake, ebenfalls in Iowa. Der Farmstaat im Mittleren Westen rückt alle vier Jahre ins Rampenlicht, immer dann, wenn Präsidentschaftswahlen anstehen. Hier beginnt die Kandidatenkür, auch im Januar 2012. Wer für die Republikaner gegen Barack Obama ins Rennen gehen will, muss sich in Iowa zeigen.

Die Aussicht auf eine Kandidatur Sarah Palins spaltet die amerikanische Gesellschaft. Ein Teil liebt und bewundert sie als erfrischende Konservative, die kein Blatt vor den Mund nimmt und beinahe täglich in Fernsehkommentaren oder bei Facebook und Twitter über Präsident Obama und die Demokraten herzieht. Ein anderer Teil der Bevölkerung hasst und verachtet sie, weil sie provinziell und international unerfahren wirke – und das auch noch als Tugend verstanden wissen wolle.

Palin genießt die Aufmerksamkeit. 20 Minuten vor Beginn der Signierstunde ist sie mit zwei ihrer fünf Kinder in einem Geländewagen eingetroffen, hat den Wartenden kurz zugewinkt und ist durch einen Seiteneingang in die Buchhandlung geschlüpft.

Ehrfürchtig setzt sich jetzt die Schlange der Menschen mit den frisch gekauften Büchern im Arm in Bewegung. Mobiltelefone und Kameras müssen sie zurücklassen. Keine Bilder mit der Vielleicht-demnächst-Präsidentschaftskandidatin. Fragen sind auch nicht zugelassen. Und wer sich als Journalist outet, muss außerhalb des Ladens warten. Das ärgert Todd, einen 52-Jährigen aus der Gesundheitsbranche, der sich zu Sarahs loyalen Unterstützern zählt. „Sie sollte sich nicht so abschotten.“ In Iowa ist man es gewohnt, dass Spitzenpolitiker auf Tuchfühlung gehen und alle denkbaren Fragen beantworten müssen. Das gilt hier als notwendiger Praxistest für Bewerber um das Weiße Haus.

Sarah begrüßt jeden, der an den Signiertisch tritt, mit einem warmen Lächeln und ist auch zu kurzen Wortwechseln bereit. Einem Ehepaar, dessen Sohn im Irakeinsatz ist, sagt sie: „Wir beten für ihn.“ Fans, die den Moment nutzen, um sie zur Kandidatur aufzufordern, schneidet sie dagegen freundlich, aber bestimmt, das Wort ab. „Danke für das Vertrauen.“

In der Warteschlange diskutieren viele die Frage. „Ich wünsche mir so sehr, dass sie antritt. Meine Stimme hat sie sicher“, sprudelt es aus Rentnerin Mary heraus. „Nein, ich möchte sie nicht in einem offiziellen Amt sehen“, sagt die um eine Generation jüngere Kristin. „Mir gefällt sie in ihrer jetzigen Rolle als Sprachrohr christlicher Frauen.“

Nachdem Palin die versprochenen 500 Bücher signiert hat, steht sie auf und geht mit offenen Armen auf die Menschen zu, die draußen warten, weil sie kein Armband tragen. „Wann entscheiden Sie, ob Sie antreten“, brüllt ein Reporter durch die offene Ladentür. „Oh mein Gott“, ruft Sarah und verdreht die Augen, als wäre das eine abwegige Frage.

Palin lässt Amerika rätseln. Sie sagt nicht Nein, sie füttert vielmehr die Spekulationen. „Wir denken darüber nach“, verrät sie dem Sender ABC. Auf die Nachfrage, ob sie sich zutraue, Obama zu schlagen, antwortet sie: „Ich glaube schon.“

Wer will, kann ihren Einsatz im Kongresswahljahr 2010 als Strategie verstehen, eine Hausmacht in der Republikanischen Partei für ihr Präsidentschaftsrennen aufzubauen. Seit ihrem überraschenden Rücktritt als Gouverneurin von Alaska am 3. Juli 2009 hat sie kein politisches Amt mehr inne. Dennoch schaltete sie sich wie wenige andere in den Wahlkampf republikanischer Kandidaten für das Abgeordnetenhaus und den Senat ein. Sie ist ein Magnet für Publikum und Spenden. Und sie ist die ungekrönte Königin der Tea Party. Das Auftauchen dieser konservativen Bürgerbewegung aus dem Nichts und ihr wachsender Einfluss war die größte Überraschung des Jahres und hat den Wahlausgang wie wohl kein anderer Faktor beeinflusst – im Guten wie im Schlechten für das konservative Lager.

Beides ist eng mit Sarah Palin verbunden. Ihr ist es mit zu verdanken, dass der Sieg im Abgeordnetenhaus so hoch ausfiel. Die Republikaner gewannen mehr als 60 Mandate hinzu. Ihr ist aber auch anzulasten, dass die Konservativen die Mehrheit im Senat, der anderen Kammer, nicht erobert haben. Dazu fehlten drei Sitze. Und in ebenfalls drei Staaten – Colorado, Delaware und Nebraska – hatten Palin und die Tea Party durchgesetzt, dass nicht die moderaten Bewerber antraten, die die Parteiführung favorisierte und die nach fast allen Umfragen ausgezeichnete Siegchancen gegen die Demokraten hatten. Sondern aufgestellt wurden dort Kandidaten, die weit rechts standen: In Nevada erregte Sharron Angle mit der Forderung Aufsehen, Social Security und Medicare, die Grundrente sowie die staatlich getragene Gesundheitsversorgung für Senioren, ersatzlos zu streichen. In Delaware machte Christine O'Donnell mit ihren Äußerungen zur „Sünde“ weiblicher Selbstbefriedigung Schlagzeilen. In Colorado setzte Ken Buch auf die persönliche Herabsetzung seiner Gegner. Alle drei unterlagen ihren demokratischen Rivalen.

Sarah Palin hat eine große Gefolgschaft im rechten Lager. Aber wäre sie mehrheitsfähig in ganz Amerika? Das bezweifeln die meisten Führungspersonen im konservativen Lager. Die meisten wollen es allerdings nicht öffentlich aussprechen – wer legt sich schon gerne mit der Ikone der rechten Basis an? Die ehemalige First Lady Barbara Bush verpackte ihre Bedenken in Larry Kings Talkshow in schmeichelhafte Worte. „Ich saß einmal neben ihr und dachte: Was für eine hübsche Frau! Mir schien, sie ist sehr glücklich in Alaska. Und ich hoffe, dass sie dort bleibt.“

Palin schäumte und twitterte: „Bei allem Respekt für die Bushs, ich glaube nicht, dass die Mehrheit der Amerikaner sich nach dem Parteiadel richten möchte, der bestimmen will, wer gewinnen darf und wer verlieren muss, anstatt offenen Wettbewerb zuzulassen.“

Durch ihre Rolle in der Tea Party, die unermüdliche Wahlkampfhilfe, ihre Auftritte als Fernsehmoderatorin und die Buch-Tour ist Sarah Palin zur sichtbarsten Vertreterin der Konservativen geworden. Parallel zu ihrem Aufstieg ist jedoch die Zahl der Bürger, die sie ablehnen, viel schneller gewachsen als die Zahl ihrer Anhänger. In einer AP-Umfrage vom November 2010 liegen ihre Negativwerte (49 Prozent) über ihren Positivwerten (46 Prozent). Die „Washington Post“ maß kurz zuvor sogar 54 Prozent Ablehnung.

Ihre Anhänger glauben, das sei das Ergebnis einer Verleumdungskampagne der liberalen Medien. Sie werde überkritisch beäugt und ihr werde jeder Versprecher gleich als Unwissen ausgelegt. Sie liefert freilich auch regelmäßig Material. Bis heute hängt ihr der Spott an, sie habe als Vizepräsidentschaftskandidatin angeblich gesagt: „Ich kann Russland von meinem Haus sehen.“ Tatsächlich war das die zugespitzte Kabarettversion einer unglücklichen Palin-Äußerung über die Nähe Russlands zu Alaska. Am Tag nach dem Beschuss Südkoreas durch Nordkorea unterlief ihr ein neuer Lapsus. Im rechten TV-Sender Fox sagte sie, „selbstverständlich müssen wir fest an der Seite unserer nordkoreanischen Verbündeten stehen“.

Bei einer Spendengala für eine christliche Schule in Pennsylvania vertrat sie am 9. November die These, die USA seien einzigartig, weil sie der einzige Staat seien, der auf einer Idee basiere. Alle anderen Länder seien „mehr oder weniger durch Zufall entstanden“.

Palins erster Ausflug in die nationale Politik war kurz: John McCain machte sie am 30. August 2008 zu seiner Vizepräsidentschaftskandidatin. Nur neun Wochen später folgte die Wahlniederlage. Es war eine brutale Erfahrung für Palin. Danach suchte sie für kurze Zeit den Rat renommierter Politstrategen. Die sagten ihr: Sammeln Sie weiter Erfahrung als Gouverneurin, bauen Sie Ihre Reputation auf der nationalen Bühne aus und reisen Sie ins Ausland, um ihren Horizont zu erweitern. Sie hat sich nicht daran gehalten. Als Gouverneurin trat sie wenige Monate später zurück. Von der Welt hat sie wenig gesehen.

Sarah Palin sagt, sie sei mies behandelt worden in der Politik, auch von Parteifreunden. Deshalb müsse sie vorsichtig sein und könne, abgesehen vom engsten Kreis, niemandem trauen. Interviews bekommen nur Journalisten, die ihr noch nicht negativ aufgefallen sind. So liest sich auch ihr Buch. Die Welt ist eingeteilt in Gut und Böse: auf der einen Seite ganz normale Amerikaner, die Familie, Religion, Militär und Patriotismus hochhalten. Auf der anderen Seite die Demokraten, die Intellektuellen und Internationalisten, die nicht zugeben wollen, dass Amerika einzigartig sei und die einzige legitime Führungsmacht der Welt.

Doch mit dieser Art von Öffentlichkeitsarbeit erreicht sie nur die Bürger, die bereits zu ihren Anhängern zählen. Um neue Wähler zu gewinnen, müsste sie sich öffnen. Da sie das bisher nicht tut, glauben viele Politstrategen, sie wolle gar nicht kandidieren. Sie verdient jetzt Millionen mit ihren Redehonoraren, Buchtantiemen und Fernsehgagen. Und es macht nicht einmal viel Arbeit. Sie muss dafür nur sie selbst sein. Warum soll sie dieses angenehme Leben eintauschen gegen den stressigsten Job der Welt mit einem viel niedrigeren Gehalt – gar nicht zu reden vom Risiko, die Wahl zu verlieren?

Hinter den Spekulationen, ob sie antritt, verbirgt sich auch ein Kulturkampf. Sarah Palin ist so populär, weil sie für die Idee steht, dass in der hohen Politik die ganz normalen Menschen fehlen. Wer sagt denn, dass die Elite regieren soll, dass man überdurchschnittliche Intelligenz und überdurchschnittliches Wissen dafür mitbringen muss? Wäre die Politik nicht besser, wenn der gesunde Menschenverstand einfacher Bürger aus der Provinz entscheidet?

Die Mehrheit der Amerikaner lebt auf dem Land und in den Kleinstädten. Sie haben nicht an den besten Hochschulen studiert und sind keine Millionäre wie die Bushs, die Kennedys sowie neuerdings die Clintons und die Obamas. Sie mögen es nicht, wenn Menschen mit höherer Bildung, höherem Einkommen oder aus den großen Städten auf sie herabschauen. Sie finden es nur richtig, wenn Sarah Palin laut sagt, dass sie ebenso viel wert sind wie die Großkopferten.

Eine ganz andere Frage ist allerdings, ob aus diesem Lob des Mittelmaßes automatisch folgt, dass die Mehrheit auch wünscht, es möge eine wie Du und Ich die Weltmacht führen.

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