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Positionsbestimmung: Das Leiden der Linken

Der SPD-Politiker Rudolf Dreßler ärgert sich über nicht genutzte Mehrheiten - und drängt auf einen Parteitag zur Positionsbestimmung.

Der Mann ist ein Urgestein der SPD. Wie kaum ein anderer prägte er in den 80er Jahren das sozialpolitische Profil seiner Partei – als Abgeordneter, Staatssekretär, Chef der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen. Damals, als die SPD noch 400 000 Mitglieder mehr hatte. Vor Gerhard Schröder, Hartz IV, dem Zerwürfnis mit den Gewerkschaften. Und als noch keiner im Traum daran dachte, dass es einmal eine ernst zu nehmende Partei links von der Sozialdemokratie geben würde.

Nun sitzt Rudolf Dreßler beim Geburtstagsfest ebendieser Partei, lässt sich von ihren Anhängern für eine trostlose SPD- Zustandsbeschreibung beklatschen und gesteht ihnen seine anhaltenden Austrittsgelüste. 67 Jahre alt, seit 40 Jahren in der SPD. „Was läuft links?“, lautete die Frage auf dem Podium der Berliner Kulturbrauerei. Im Grunde ist Dreßlers Auftritt schon eine Antwort darauf.

Da ist eine SPD, die mit der Linken im Bund nichts zu tun haben will – trotz denkbarer Mehrheit links von Union und FDP. Da ist eine Linkspartei, die trotzig erklärt, ohne radikalen Kurswechsel der SPD keine Basis für eine Zusammenarbeit zu sehen. Und da sind frustrierte Sozialdemokraten, die sich nach ihrer alten Partei zurücksehnen. Und nicht verstehen, dass schon jeder Versuch vorsichtiger Annäherung zum Tabubruch erklärt worden ist.

Gemeinsam also läuft wenig links. Für Dreßler ist das „intellektuell nicht nachvollziehbar“. Bei allem Verständnis für Mitglieder, die aufgrund der deutschen Geschichte Probleme mit der SED-Nachfolgepartei hätten – als alleiniges Kriterium könne dies den dauerhaften Verzicht auf politische Gestaltung nicht rechtfertigen. Wenn man eine Machtperspektive habe und deren Nutzung von vornherein ausschließe, sei dies nichts anderes als „parteischädigendes Verhalten“. Schließlich ließen sich bei der Linkspartei viel eher Gemeinsamkeiten entdecken als bei FDP oder Union, meint Dreßler. Und allein schon über die Option, mit der Linken zusammenzugehen, lasse sich die Politik des bürgerlichen Lagers mit beeinflussen.

Diese Chance nicht einmal nutzen zu wollen, findet der langjährige Sozialdemokrat unerträglich. Es treibt ihn um, geradezu körperlich. Dagegen ist sein Diskussionspartner die Gelassenheit in Person. Gregor Gysi, Fraktionschef der Linken im Bundestag, hat ein Heimspiel, klar. Aber seine Pose bedeutet auch: Wir können warten. „In der SPD wird mehr über uns geredet als bei uns über die SPD“, stichelt er. Zwar müsse man noch attraktiver werden für enttäuschte Sozialdemokraten. Aber gleichzeitig sei es doch beruhigend, dass derzeit in der Linken keiner auf die Idee komme, zur SPD zu wechseln.

Wie auch, angesichts von Dreßlers düsterer Parteidiagnose. Der Sozialpolitiker sieht zahlreiche der früheren SPD-Positionen preisgegeben und durch die Linkspartei besetzt. Die „gesellschaftspolitische Bindungswirkung“ sei dahin, klagt er. In der SPD tobe ein Richtungsstreit, der nicht ausgetragen werde. 70 bis 80 Prozent der Mitglieder wünschten eine Veränderung, „nur die gewählte Führungsschicht der Partei will das nicht“.

Helfen könne da nur noch ein Parteitag, der sich dieser Positionsbestimmung widme, meint Dreßler. Wenn man sich weiter davor drücke, werde man „in Kürze beim Programm Möllemann landen, nur von der anderen Seite“, warnt er. 18 Prozent. Nein, das will auch Gysi nicht. „Das können wir doch gar nicht ausgleichen“, sagt er mit ernster Miene. Schließlich gehe es um Veränderung. Dafür aber müsse sich erst die SPD bewegen – und „zumindest wieder sozialdemokratisch“ werden.

Dreßler nickt, lächelt. Er scheint sich verstanden zu fühlen von Gysi und der Linken. Mehr als von seiner eigenen Partei. Warum er ihr immer noch angehört, sagt er nicht an diesem Nachmittag. Vielleicht hat es mit Hoffnung zu tun. Und mit Heimat.

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