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Positionspapier: Die Krise der Liberalen

Wolfgang Kubicki und Dr. Heiner Garg über Zustand und Perspektiven der FDP.

Die Angst geht um bei den Liberalen. Es ist die Angst vor der politischen Bedeutungslosigkeit. Nach beispiellosen Erfolgen bei den vergangenen Landtagswahlen und einem historisch guten Bundestagswahlergebnis ist die FDP in der Krise.

Es ist nicht die erste Krise, und deshalb glauben viele an eine neue Chance für die Liberalen. Aber diese Krise unterscheidet sich fundamental von den früheren, weil sie nicht mit einem politischen Richtungswechsel, mit einem Paradigmenwechsel in Verbindung steht und in einem Umfeld grassiert, in dem der Liberalismus seine Heimat in weiten Teilen auch in anderen politischen Organisationen finden oder sich erobern kann.

Ausgangspunkt der krisenhaften Entwicklung ist der Hochmut nach der Bundestagswahl. Seine Erscheinungsformen sind vielfach beschrieben worden.

Die Behauptung, die FDP habe sich in den Koalitionsverhandlungen in den wesentlichen Punkten durchgesetzt, es stehe dem Land eine geistig-politische Wende bevor, hat sich als ebenso unzutreffend herausgestellt wie die personelle Besetzung der Führungsämter als unzureichend.

Glaubhaftigkeit in der Sache ist ebenso schnell verspielt worden wie das Vertrauen in die Professionalität der handelnden Akteure.

Das Entwicklungshilfeministerium ist von Liberalen besetzt worden, die es doch eigentlich abschaffen wollten.

Statt das Steuerrecht zu ordnen und zu vereinfachen wurden weitere Ausnahmetatbestande z.B. bei der Mehrwertsteuer und neue Abgabentatbestande z.B. beim Fliegen und dem Wechseln von Brennelementen in Kernkraftwerken geschaffen.

Im Jahr 2 nach der Regierungsbeteiligung der FDP werden viele Menschen nicht mehr, sondern weniger Netto vom Brutto haben.

Eine Perspektive für eine Bundeswehr ohne Wehrpflichtige wurde nicht vermittelt, ebenso wenig wie eine Strategie zum Abzug aus Afghanistan und den Tag danach.

Welcher Beitrag wurde zur europäischen Idee geleistet von der Partei, die einst Vorreiter einer europäischen Integration war?

Und schließlich: Womit wurde unterfüttert, dass eine liberale Geisteshaltung und Solidarität keine Gegensätze sind, sondern einander bedingen, um existenzielle Krisen, seien sie persönlicher oder wirtschaftlicher Natur, überhaupt bewältigen zu können?

Wir stehen vor einem Scherbenhaufen nicht nur unserer Politikvermittlung, sondern unserer Politik schlechthin, für deren Unterstützung sich am Beginn eines Jahres mit möglicherweise 8 Landtagswahlen nur mehr 3 %  oder 4 % der Wähler bereitfinden.

Und die Popularitätswerte der Spitze unserer Partei haben Tiefststände erreicht, die  nicht einmal Spitzenpolitikern der Linken oder der Grünen je vergönnt waren.

Die Lage scheint schlicht aussichtslos, zumal kurzfristig durchschlagende Erfolge nicht absehbar sind und jede Wahl, die zu einem Verlust der Regierungs- oder Parlamentsbeteiligung führt, die Krise der Liberalen verschärfen wird.

Was ist zu tun?

Die FDP muss zunächst bekennen, dass ihre jüngste Politik bisher weder stringent, noch konsequent gewesen ist - und dies mit Demut. Es ist nicht die Zeit für rechthaberische ich-bezogene Auseinandersetzungen oder staatsmännischen Posen.

Die FDP muss sich auf ihre Grundsätze besinnen, aus denen sich die praktischen politischen Handlungen erklären lassen.

Die FDP ist eine Rechtsstaatspartei. Für sie ist Recht nicht nur eine Ansammlung von Regeln, um Verhaltensanleitungen zu geben und Konflikte zu lösen. Für Liberale ist Recht ein Wert, der die Gleichheit von Ungleichem garantiert. Niemand steht über dem Gesetz, und vor ihm sind alle gleich

Nicht Macht gebiert Recht, sondern das Recht weist die Macht in ihre Schranken, sei es wirtschaftliche, soziale oder persönliche Macht.

Die FDP ist eine Wachstumspartei. Für sie ist wirtschaftliches Wachstum kein Selbstzweck sondern Folge des Strebens nach freier Entfaltung der Persönlichkeit und des Glücks einer größtmöglichen Zahl von Menschen. Nur so wird es auch möglich, dass es den Kindern und Enkeln besser geht als einem selbst.

Die FDP steht in der Tradition einer jahrzehntelangen erfolgreichen Außenpolitik. Ohne die Beharrlichkeit und Weitsicht liberaler Außenpolitiker wie Scheel und Genscher wären die politischen Veränderungen in Europa nicht möglich gewesen.

Die FDP ist eine Bildungspartei. Bildung schafft nicht nur Persönlichkeit sondern vermittelt auch die Fähigkeit zum Aufstieg und fördert damit die Leistungsbereitschaft als Triebfeder von Fortschritt und Wachstum.

Die FDP ist eine Sozialpartei. Die Freiheit des Menschen ist nur gegeben, wenn die Gemeinschaft auf seine sozialen Nöte verlässlich zu reagieren versteht. Nur der soziale Zusammenhalt einer Gesellschaft garantiert ihr Überleben.

Nur wer weiß, dass er sich auf die Solidarität seiner Mitmenschen verlassen kann, hat auch den Mut, über sich selbst hinaus zu wachsen.

Die FDP ist eine optimistische Zukunftspartei. Für sie sind Probleme kein Grund zur Verzagtheit, sondern Ausgangspunkt ihrer Bewältigung. Fortschritt ist die Überwindung von Problemen und Neues beginnt mit dem Infragestellen des Hergebrachten.

In den nächsten Wochen wird es darauf ankommen zu dokumentieren, dass sich der Anspruch der Liberalen nicht in reiner Regierungsbeteiligung erschöpft.

Die von uns vor der Wahl für notwendig erachtete Zusammenführung von Entwicklungshilfeministerium und Auswärtigem Amt kann noch umgesetzt werden mit dem nachvollziehbaren Argument, dass erst jetzt die Voraussetzungen dafür geschaffen wurden. Dies wäre mehr als ein symbolischer Akt. Es wäre ein Ausweis von Konsequenz.

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Abgrenzung zwischen vermeintlicher staatlicher  Sicherheitsgewährung und dem Anspruch der Menschen auf Unüberwachtheit ist nicht nur dem Wortlaut, sondern dem Geist nach notfalls gegen alle Widerstände zu verteidigen.

Die Vereinfachung des Steuerrechts hat Vorrang vor der Absenkung der Staatsquote, für die angesichts der Notwendigkeit zu ausgeglichenen öffentlichen Haushalten jedenfalls in den nächsten Jahren ohnehin wenig Spielraum besteht.

Dies heißt nicht, dass systemimmanente Ungerechtigkeiten (Mittelstandsbauch und kalte Progression) nicht beseitigt werden müssen.

Die mangelnde Bereitschaft des Koalitionspartners, die Steuerrechtsreform anzugehen, darf kein Grund fehlender eigener Initiativen sein.

Dies gilt im Übrigen für alle Bereiche. Diejenigen, die uns gewählt und damit ihr Vertrauen ausgesprochen haben, erwarten nicht in jedem Fall Erfolge. Aber sie erwarten unser Bemühen, den Nachweis, dass wir es zumindest versucht haben. Wir haben ihnen gegenüber die Pflicht, ihnen eine politische Heimat zu sichern.

Die Unzulänglichkeiten der Bildungsfinanzierung zwischen Bund und Ländern, hervorgerufen durch die grundgesetzlichen Regelungen nach der Föderalismuskommission II, müssen beseitigt werden.

Es ist dem Bund zu erlauben, ähnlich wie im Schweizer Modell, durch vertragliche Vereinbarung mit einzelnen oder der Gesamtheit der Länder sich an der Finanzierung von Hochschulen und Schulen zu beteiligen.

Nur so kann in Zukunft gewährleistet werden, dass die notwendige Bildung, die Grundlage des Wohlstandes einer Gesellschaft ist, vermittelt und gleichzeitig der Wissenschaftsstandort Deutschland international wettbewerbsfähig gehalten werden kann.

Aus der Wirtschafts- und Finanzkrise lernen wir, dass Banken oder Unternehmen, die eine sogenannte „Systemrelevanz“ besitzen, das heißt, um jeden Preis gegen eine Insolvenz verteidigt werden müssen, entweder gar nicht erst entstehen dürfen oder aber, wenn man solche großen Einheiten wettbewerbsrechtlich zulässt, die persönliche Haftung der in diesen Unternehmen tätigen Entscheidungsträger drastisch verschärft werden müssen - ohne Möglichkeit, sich von dieser Haftung freizukaufen.

Es kann nicht sein, dass bis zu einer bestimmten unternehmerischen Größenordnung das Insolvenzrecht gilt, ansonsten aber ein nahezu rechtsfreier Raum entsteht.

Aus der Währungskrise lernen wir, dass jedenfalls im vereinten Europa ein Auseinanderdriften der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zwischen den Mitgliedsländern der Europäischen Union vermieden werden muss, wenn schon nicht ein „Gleichschritt“ zu erzielen ist.

Um der europäischen Solidarität willen, muss der Umverteilungsmechanismus innerhalb der Union flankiert werden durch feste Regeln, die Länder anhalten, untereinander auf den wirtschaftlichen und sozialen Gleichschritt hinzuwirken.

Was die FDP aber am Dringendsten braucht, ist die Rückgewinnung von Respekt.

Als Reaktion auf das Wahlergebnis von 2009 setzte eine Kampagne der Respektlosigkeit ein, in die alle politischen Kräfte in einen gemeinsamen Chor mit dem Ziel einstimmten, die FDP-Politik bedeutungslos werden zu lassen.

Da gab es die Bundeskanzlerin, die sich vorgenommen hatte, die FDP wieder auf 5 % zu drücken, das „natürliche“ Potential der  FDP.

Es gab die Koalitionspartner von CDU und CSU, die offen Abreden aus dem Koalitionsvertrag in Frage stellten.

Es gab die CSU-Querulanten im Besonderen, die sich an dem Gesundheitsminister Philip Rösler, dem Außenminister Guido Westerwelle und der Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger „abarbeiteten“.

Es gab die SPD, die ihre Rückkehr in die Große Koalition durch das Abschneiden der FDP verbaut sah, und es gab die Grünen als Trittbrettfahrer, die schnell verstanden, dass das potentielle Schwächeln der FDP ihnen Popularitätsgewinne einspielen würde.

Die Führung unserer Partei hatte den Ernst der Lage nicht erkannt, in die die FDP seit Regierungsantritt hineingeschlittert ist.

Der erfolgreiche Wahlkämpfer Guido Westerwelle hat übersehen, dass es in der Regierung keinen Immunschutz gegen politische Niederträchtigkeiten gibt.

Die einzig bemerkenswerte Reaktion war ein öffentlicher Angriff auf die Presse, der er zurief: „Ihr kauft mir den Schneid nicht ab!“

Überwiegend zelebrierte sich Guido Westerwelle als Außenminister, als ginge ihn der zunehmende Ansehensverlust der FDP nichts an.

Er hat nichts dazu beigetragen, den Koalitionspartner in die Schranken zu weisen und ihm vorzuhalten, dass er fortgesetzt Koalitionsabsprachen verletzt.

Die FDP ist von der CDU/CSU öffentlich wegen der Steuerpolitik der Partei vorgeführt worden – und dies geschieht bis heute – ohne dass der Vorsitzende kraftvoll und entschieden reagierte.

Der Alleingang der Kanzlerin bei der Schaffung des Euro-Rettungsschirms, beim Aufweichen der automatischen Sanktionen für Zielverletzungen ist in einer Koalition, in der der Koalitionspartner auch noch den Außenminister stellt, eigentlich undenkbar, jedenfalls nicht hinnehmbar.

Wo ist die Stimme des Vorsitzenden unserer Partei, wenn die Bundesjustizministerin vom Koalitionspartner als potentielles Sicherheitsrisiko für die Bundesrepublik Deutschland hingestellt wird?

Wie lautet die liberale Antwort auf die gewünschte Öffnung des europäischen Arbeitsmarktes, auf dem doch die gleichen Wettbewerbsbedingungen im einheitlichen Wirtschaftsraum herrschen müssen, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden?

Die Lage ist so, wie sie ist, wir haben keine andere.

Wenn die FDP weiter zusieht, wie ihr ein politisches Thema nach dem anderen weggebrochen wird, wird sie von der politischen  Bühne verschwinden.

Es ist deshalb nötig, jetzt eine Diskussion zu beginnen, sie vor allem breit zu führen und alles offen zu hinterfragen.

Nur eine offene Diskussion entspricht liberaler politischer Tradition.

Sie ist gegenwärtig auch die einzige Chance, den Ansehensverlust teilweise wieder  gutzumachen.

Diese Diskussion darf keinen Fragen ausweichen, auch nicht der Frage, ob wir in der Führung unserer Partei, der Fraktion oder in der Regierung richtig aufgestellt sind. Es ist nicht zielführend, diejenigen, die den Diskussionsprozess führen, ins moralische Abseits zu stellen („charakterlose Gesellen“).

Gerade wir werden in der Öffentlichkeit auch daran gemessen, wie ehrlich und offen wir mit unseren Problemen umgehen, um die Krise der Liberalen zu überwinden.

Wolfgang Kubicki, Heiner Garg

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