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Politik: Präsident aus dem Land der Träume

Chirac wird gefeiert – immer mehr Algerier zieht es nach Frankreich

Nicht nur in Frankreich, auch in Algerien ist Staatspräsident Jacques Chirac auf dem Höhepunkt seiner Popularität. Beim ersten Staatsbesuch eines französischen Präsidenten seit 1962, dem Ende des französisch-algerischen Krieges und der Unabhängigkeit des Mittelmeerlandes nach 132 Jahren französischer Kolonialherrschaft, wird Chirac von hunderttausenden Menschen als „Held" und „Retter" empfangen, egal wo er während seiner dreitägigen Visite ankommt.

In der Hauptstadt Algier tanzten die Bewohner zu Trommelwirbeln auf den Straßen, es regnete Konfetti auf den Gast aus Frankreich, und die Menge schrie immer wieder: „Chirac, Chirac"und „Visa, Visa". Angesichts einer Arbeitslosenrate von mehr als 30 Prozent, dem seit über zehn Jahren anhaltenden Bürgerkrieg zwischen der Regierung und islamistischen Gruppen mit 200 000 Toten seit 1990 und wenig ermutigenden Zukunftsaussichten wünscht sich die junge Bevölkerung Algeriens nichts mehr als die „Flucht" nach Frankreich, ins Land ihrer Träume.

Die massenhafte, wegen verwandtschaftlicher Beziehungen oft unkontrollierte Einreise von Algeriern nach Frankreich ist allerdings genau das, was Chirac mit seinem Versöhnungsbesuch verhindern will. In dieser heiklen Situation unterzeichneten Chirac und Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika die „Erklärung von Algier", die nach 40 Jahren „kalten Krieges" die „besonderen Beziehungen" beider Länder unterstreicht – ein Punkt, den Chirac auch in seiner Rede vor den beiden Kammern des algerischen Parlaments unterstrich.

Der Vertrag soll künftig dafür sorgen, dass beide Länder politisch und wirtschaftlich enger zusammenarbeiten. Freilich: Ganz uneigennützig sind die gegenseitigen Versprechungen beider Präsidenten nicht. Bouteflika braucht Frankreichs Unterstützung, um sein wegen Menschenrechtsverletzungen beschädigtes Image international zu reparieren und im kommenden Jahr wieder gewählt zu werden. Chirac will auf dem Höhepunkt seiner Macht seinen Einfluss in Nordafrika erhöhen und das Feld keineswegs den Amerikanern überlassen, die im Rahmen ihres Anti-Terror-Kampfes begonnen haben, sich in der Region verstärkt zu engagieren. Sein Empfang in Algier als „Anti-Bush-Held" kam ihm deshalb gerade recht.

Sabine Heimgärtner[Paris]

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