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Politik: Präsident contra Verfassung

In Kirgisien streiten Regierung und Opposition über ein neues Staatsmodell

Mehr als 10 000 Menschen forderten am Montag in Bischkek, der Hauptstadt der zentralasiatischen früheren Sowjetrepublik Kirgisien, erneut den Rücktritt von Staatschef Kurmanbek Bakijew und Premier Feliks Kulow. Der Grund: Es gibt Streit über das Staatsmodell.

Wegen Vetternwirtschaft, Korruption und widerrechtlicher Machtergreifung hatten war im März 2005 der damalige Präsident Askar Akajew gestürzt worden. Die Bürger forderten Verfassungsänderungen, durch die der unumschränkt regierende Staatschef einen Teil seiner Vollmachten an Parlament und Regierung hätte abtreten müssen. Mit der Zusage, diese Reformen auf den Weg zu bringen, gewann Bakijew, von der „Revolution der Tulpen“ an die Macht gespült, im Juli 2005 die Mehrheit. Der kurz darauf von ihm einberufene 114-köpfige Verfassungsrat kam aber nicht voran. Dessen Entwurf sah eher eine parlamentarische Republik vor und hätte die Amtszeit des Präsidenten auf eine Legislaturperiode von fünf Jahren begrenzt. Bakijew verlangte immer neue Nachbesserungen und Zugeständnisse, gleichzeitig blühten Korruption und Kriminalität wie nie zuvor. Am vergangenen Donnerstag hatte die Opposition, an deren Spitze enttäuschte Bakijew-Anhänger stehen, offenbar genug. „Vor anderthalb Jahren“, so Ex-Außenministerin Rosa Otunbajewa, „haben wir Diebe verjagt, jetzt sind erneut Diebe an der Macht“.

Seit Tagen demonstriert die „Koalition für Reformen“ vor dem Regierungssitz und fordert den Rücktritt des Präsidenten. Am Montag legte dieser einen neuen Verfassungsentwurf vor, doch das Parlament kann sich mit dem Papier erst nach dessen Erörterung in den Ausschüssen befassen. Das kann Monate dauern. Die Opposition, die 28 der 75 Mandate innehat, boykottierte daher die Parlamentssitzung. Bis zum Donnerstag will sie einen Gegenentwurf vorlegen und diesen im staatlichen Fernsehen vorstellen. Regierung und Programmdirektion haben sich dazu bisher nicht geäußert.

Jedoch ist im Volk die Begeisterung für eine ,neue’ Revolution gering, selbst in der Hauptstadt haben viele Protestler nur eine unklare Vorstellung, was sie konkret fordern. Denn mehr noch als den Reformstau lasten viele Kirgisen den Machthabern die hohe Kriminalitätsrate an. Da ein Verfassungsreferendum mit konkurrierenden Entwürfen auf ein Misstrauensvotum gegen Bakijew hinausliefe, die finanzschwache Opposition aber keine längere Konfrontation durchstehen kann, ist ein Kompromiss in der Verfassungsfrage nicht unwahrscheinlich. Bei Verhandlungen, die am Montag begannen, dürften beide Seiten sich auf eine paritätisch besetzte Schlichtungskommission einigen, die dann einen Mix aus Präsidial- und parlamentarischer Republik aushandelt.

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