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Politik: Präsident ohne Volk

Von Clemens Altmann, Algier Brennende Straßensperren aufgebrachter Jugendlicher, eine ganze Region vom Geruch von Tränengas überzogen, mindestens 23 Tote bei einem weiteren Anschlag islamistischer Terroristen: Wahrlich kein Ambiente für friedliche Wahlen. Selbst Präsident Abdelaziz Bouteflika machte bei seiner Stimmabgabe ein mürrisches Gesicht.

Von Clemens Altmann, Algier

Brennende Straßensperren aufgebrachter Jugendlicher, eine ganze Region vom Geruch von Tränengas überzogen, mindestens 23 Tote bei einem weiteren Anschlag islamistischer Terroristen: Wahrlich kein Ambiente für friedliche Wahlen. Selbst Präsident Abdelaziz Bouteflika machte bei seiner Stimmabgabe ein mürrisches Gesicht. Den Fragen der wartenden Journalisten entfloh er beinahe im Laufschritt. Dabei hatte er sich in den vergangenen Wochen solche Mühe bei der Mobilisierung seines Wahlvolkes gegeben. Vergebens, wie die Ergebnisse zeigen.

47,49 Prozent Wahlbeteiligung ergab die Auszählung, die sich bis in die frühen Morgenstunden am Freitag hinzog. Trotz des klaren Sieges der ehemaligen Einheitspartei Nationale Befreiungsfront (FLN) ist das ein Schlag ins Gesicht des kleinen Mannes an der Spitze dieses Riesenlandes (fast sechs Mal größer als Deutschland), der so inbrünstig um die Liebe seines Volkes buhlt und schon mehrfach damit gedroht hat, alles hinzuschmeißen, wenn er seinen Willen mal wieder nicht durchsetzen konnte. Mit ihrer Entscheidung, lieber einkaufen zu gehen und die Wahllokale links liegen zu lassen, haben die Algerier den Politikern gezeigt, was sie von ihnen halten - nämlich nichts. Sie haben auch allen Grund dafür, denn die bei vorherigen Wahlen versprochenen Verbesserungen sind nicht eingetreten. Der Terrorismus islamistischer Eiferer, die zu marodierenden Banden heruntergekommen sind, fordert weiterhin beinahe täglich seinen Blutzoll, die verschleierte Arbeitslosigkeit von etwa 50 Prozent hat sich durch die Schließung der bankrotten Staatsbetriebe noch verstärkt und selbst die „kleinen" Sorgen des Lebens sind größer geworden: In den übervölkerten Vierteln der großen Städte im Norden läuft nur noch jeden dritten Tag für wenige Stunden Wasser aus den Hähnen. Für die Politiker, die entweder in eigenen Villen oder den luxuriösen staatlichen Residenzen im „Pinien-Club" am Meer wohnen und sich aus großen Zisternen bedienen können, war dies kein Problem und blieb deshalb ungelöst.

Die Unterschiede in der Wahlbeteiligung zwischen den Regionen konnten nicht größer sein: Mehr als 90 Prozent oder knapp darunter in den Sahara-Bezirken, wo die Wahlurnen mit Geländewagen bis hinter die letzte Sanddüne gebracht wurden, um die nomadisierenden Tuareg zu erreichen; nicht einmal zwei Prozent in der Bergregion der ethnischen Minderheit der Kabylen. Dort gab es Wahllokale, in denen nicht ein einziger Wähler registriert wurde. Schon die Öffnung eines Wahllokales stellte ein erhebliches Risiko dar, denn die Demonstranten schreckten auch nicht davor zurück, Wahlurnen auf die Straße zu zerren und – unter Klatschen der Einwohner – zu verbrennen.

Allerdings birgt das Wahlergebnis mit dem freien Fall der aus der FNL hervorgegangenen und bei den Wahlen von 1997 siegreichen Nationalen Demokratischen Sammlungsbewegung (RND) und vor allem der Niederlage der Islamisten der Ex-Hamas-Partei (MSP) auch Vorteile für den Präsidenten. Die von ihm zur Hausmacht auserkorene FLN kann jetzt schon im Parlament jeden Widerstand gegen seine Maßnahmen brechen. Die jeder Veränderung abholden Beamten im Staatsapparat können sich nicht mehr hinter der RND verstecken und dem charismatischen MSP-Führer Mahfoud Nahnah werden die Auftritte als „wahrer Vertreter von Volkes Stimme" auf längere Zeit vergällt sein. Mit der Veröffentlichung der Wahlbeteiligung wird dem Wahlgang der über bisherigen Abstimmungen liegende Geruch der Wahlfälschung genommen. Gegenüber dem Ausland kann sich Bouteflika nun als das einzige echte demokratische Staatsoberhaupt in Arabien verkaufen.

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