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Wahlplakate in der Innenstadt von Kairo.

© dpa

Präsidentenwahl in Ägypten: Die Salafisten werden entscheiden

Am Mittwoch und Donnerstag wählen die Ägypter zum ersten Mal in freien Wahlen einen neuen Präsidenten. Favoriten für die Stichwahl im Juli sind der frühere Außenminister Amre Moussa und der Ex-Muslimbruder Abdel Moneim Abolfotoh.

Die Redeschlachten sind geschlagen, die Studioscheinwerfer erloschen. Die letzten 48 Stunden bis zur Abstimmung dürfen die Matadore nicht mehr auf die Straße oder auf den Bildschirm. Denn nun hat am Mittwoch und Donnerstag die ägyptische Bevölkerung das Wort. Zum ersten Mal seit Beginn des Arabischen Frühlings bestimmt ein Volk in freier Wahl seinen neuen Präsidenten, den Nachfolger von Hosni Mubarak, der im Krankenhausarrest auf sein Gerichtsurteil wartet. Mit dem Votum der gut 50 Millionen Wahlberechtigten wird Ägypten erneut zum Vorreiter bei der demokratischen Entwicklung in der arabischen Welt. Der vierwöchige Wahlkampf der 13 Kandidaten setzte in punkto Fairness und Interesse Maßstäbe. Die Bewerber schenkten sich nichts, doch nirgendwo wurden Wahlveranstaltungen mit Schlägertrupps gesprengt, Kandidaten bedroht oder Helfer eingeschüchtert. Stattdessen gab es volle Säle, mit Großplakaten gepflasterte Innenstädte und ein historisches Fernsehduell zwischen den beiden Favoriten um das höchste Staatsamt, Ex-Außenminister Amre Moussa und Ex-Muslimbruder Abdel Moneim Abolfotoh. Vier Stunden lang dauerte die Debatte - und zur Einstimmung gab es Ausschnitte von 1960 zwischen John F. Kennedy und Richard Nixon, dem ersten Fernsehduell in der Mediengeschichte.

Innenpolitisch ging es bei den Kampagnen vor allem um soziale Fragen, aber auch um die künftige Rolle der Scharia. Fast die Hälfte aller Ägypter ist arm, Schulen und Hochschulen brauchen dringend bessere Lehrpläne, mehr Personal und mehr Geld. Das Gesundheitssystem fällt auseinander, ebenso wie viele Brücken, Straßen und Schienen. Die Devisenreserven sind nahezu aufgebraucht, der Tourismus stagniert und ausländische Investoren bleiben fern. Vertrauen zurückgewinnen, das hatten sich sämtliche Kandidaten groß auf ihre Fahnen geschrieben. Alle wollen die innere Sicherheit im Land wiederherstellen, wo inzwischen Zehntausende eine Schusswaffe besitzen und die Polizei auf den Straßen kaum noch präsent ist. Die säkularen Amtsbewerber wollen die islamische Gesetzgebung der Scharia auch weiterhin als fundamentalen Bezugsrahmen akzeptieren, nicht jedoch als detaillierte Strafvorschriften. Der moderate Ex-Muslimbruder Abolfotoh stellt die Einführung von konkreten Scharia-Gesetzen zwar vage in Aussicht, erklärt sie aber angesichts der drückenden sozialen Probleme nicht für vordringlich. Allein für Mursi als Vertreter der Muslimbrüder gibt es in diesem Punkt keine Kompromisse.

Außenpolitisch beschäftigt die Bevölkerung vor allem das Verhältnis zum ungeliebten Nachbarn Israel. Kein Kandidat kann am Nil mehr eine Wahl gewinnen, wenn er nicht zumindest Nachverhandlungen des Camp-David-Vertrags von 1979 fordert. Amre Moussa und sein säkularer Konkurrent, Ex-General Ahmed Shafik, stellen das Friedensabkommen ausdrücklich nicht in Frage, wollen aber ägyptische Truppen künftig auf dem Sinai stationieren. Moussa nennt Israel öffentlich „einen Gegner“, sein islamistischer Kontrahent Abulfotoh dagegen sprach von „einen Feind und rassistischen Staat mit 200 Atomsprengköpfen“.

Da Ägypten keine große Erfahrung mit Meinungsumfragen hat, sind trotz aller angeblich repräsentativen Erhebungen keine klaren Trends erkennbar. Nur dass einer der 13 Kandidaten bereits in der ersten Runde eine absolute Mehrheit erringen kann, gilt als unwahrscheinlich. Bei der zweiten Runde am 16. und 17. Juni treffen dann möglicherweise ein Bewerber aus dem säkularen Lager, wie Amre Moussa oder Ahmed Shafik, auf einen Gegner aus dem islamistischen Lager, wie Abdel Moneim Abolfotoh oder Mohamed Mursi. Oder aber die beiden Islamisten machen am Ende das Rennen unter sich aus.

Wer letztlich an die Spitze des post-revolutionären Ägyptens rückt, wird zu einem wichtigen Teil von dem Verhalten der Salafisten abhängen, die im Parlament ein Viertel aller Sitze stellen und als einziges größeres politisches Lager keine eigenen Bewerber im Rennen haben. Ihr Spitzenkandidat Hazem Abu Ismail blieb bereits an der erste Hürde der Wahlzulassung hängen, weil seine 2006 verstorbene Mutter neben der ägyptischen auch eine amerikanische Staatsbürgerschaft besaß.

In der ersten Runde diese Woche unterstützen die Salafisten den gemäßigten ehemaligen Muslimbruder Abdel Moneim Abolfotoh, was diesem in einer möglichen Stichwahl gegen einen säkularen Kandidaten zusammen mit den Stimmen der Muslimbrüder zum sicheren Sieg verhelfen könnte. Muss dagegen der Kandidat der Muslimbrüder, Mohamed Mursi, in der zweiten Runde gegen einen säkularen Gegner antreten, könnten die Salafisten ihre Bataillone umdirigieren und dem stählern-konservativen Professor für Ingenieurwissenschaften zum Sieg verhelfen. Erreichen dagegen die beiden Islamisten Abdel Moneim Abolfotoh und Mohamed Mursi die Endrunde, werden die säkularen Stimmen den Ausschlag geben, während die Salafisten einen beträchtlichen Teil der Stimmenmacht der Muslimbrüder für Mursi aufwiegen. Am 21. Juni ist es dann soweit. Der Neue zieht in Mubaraks 400-Zimmer-Palast von Heliopolis ein. Und er übernimmt vom Obersten Militärrat offiziell die Macht im Land.

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