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Präsidentenwahl: Joachim Gauck: Mit Ausstrahlung

Der von SPD und Grünen nominierte Präsidentschaftkandidat Joachim Gauck will bei allen Parteien um Stimmen werben. Am Freitag hatte er seinen ersten öffentlichen Auftritt. Wie war es?

Von Hans Monath

Es ist ein ungewöhnlicher Termin vor der Bundespressekonferenz. Wo häufig so profane Themen wie ermäßigte Mehrwertsteuersätze oder Kompetenzstreitigkeiten von Ministerien verhandelt werden, ist am Freitag ein Ton großer Ernsthaftigkeit zu hören und ein Hauch von Geschichte zu spüren.

Auf dem Podium sitzt Joachim Gauck und spricht über den Wert der Freiheit und seine eigenen Erfahrungen als „reisender Demokratie-Lehrer“. Er tut dies in einer Art und Weise, die auch viele hartgesottene Beobachter der Politik aufhorchen lässt. „Ich komme von weit her“, sagt der wortmächtige ostdeutsche Pfarrer: „Als ich geboren wurde, herrschte Krieg und eine finstere Diktatur.“

Gauck wird eingerahmt von Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier von der SPD sowie von Cem Özdemir und Jürgen Trittin von den Grünen. Er trete mit einer „Freiheitsbotschaft“ an, sagt der langjährige Chef der Stasi-Unterlagenbehörde. Mit seiner Überzeugung, dass die Freiheit viel kostbarer sei, als viele glaubten, sehe er sich „im Kernbereich wertkonservativer Vorstellungen“. Da freuen sich die vier rot-grünen Politiker.

Ihnen geht es darum, Merkels Entscheidung für den Parteifreund Christian Wulff als politisch kleinkariert hinzustellen. Gauck bringe „ein Leben mit in seine Kandidatur“, ätzt Gabriel, Wulff aber bringe nur „eine politische Laufbahn“ mit. Die Kanzlerin habe ihre „schwerste Niederlage als Parteivorsitzende“ erlebt, weil sie die von ihr angeblich bevorzugte Kandidaten Ursula von der Leyen nicht habe durchsetzen können. An solchen Schmähungen will sich Gauck ausdrücklich nicht beteiligen. Der 70-Jährige legt Wert darauf, dass er „aus der Mitte der Bevölkerung“ antritt.

Die Bürger machen nach Gaucks Überzeugung Staat und Gesellschaft lebendig, doch ausspielen gegen die Politik will er den Bürgersinn nicht. Im Gegenteil. Er sieht eine „bittere, wirklich schwerwiegende Distanz zwischen den Regierenden und Regierten“ und fordert: „Wir müssen sie überwinden.“ Die vielen lobenden Worte seiner Nachbarn – Gabriel zitiert mit listigem Hintersinn auch aus einer hymnischen Merkel-Lobrede auf Gauck – lässt er ohne Regung über sich ergehen. „Deshalb hören Sie heute, dass ich ein Ermutiger sei“, sagt er: „Das mag sein. Aber ich wurde auch ermutigt.“

Aber was ist mit dem großen Stimmenvorsprung der Koalition in der Bundesversammlung? Gauck kennt seine Chancen: „Ich bin Realist. Ich kann zählen.“ Aber dann spielt er auf ein großes Ereignis an, den Zusammenbruch der DDR. Er habe in seinem Leben „Ereignisse erlebt, die lange als unwahrscheinlich galten“. Daher gehe er „mit fröhlicher Gelassenheit“ in die Wahl am 30. Juni.

Kurz nach dem Rücktritt von Horst Köhler hatten SPD und Grüne sich noch am Montag verständigt, einen überparteilichen Kandidaten zu präsentieren und Gauck zu fragen. Der Kanzlerin hat Sigmar Gabriel am Mittwoch den von ihr hoch geschätzten Pfarrer als gemeinsamen Kandidaten vorgeschlagen. Die SMS-Antwort lautete: „Vielen Dank für die Info.“ Am Donnerstagabend rief sie an und erklärte dem SPD-Chef, dass ihr Kandidat Christian Wulff heiße.

Nur einmal wird das Lächeln der vier Politiker auf dem Podium etwas weniger selbstgewiss. Es scheint, als würden sie auch körperlich plötzlich ein Stück von Gauck wegrücken. Es ist der Moment, als er gefragt wird, ob SPD und Grüne ihn nicht nur gleichsam als Spielstein nutzten, um die Bundeskanzlerin und die Koalition kräftig zu ärgern. Als Realist müsse er „auch zu solchen Gedanken fähig sein“, sagt Gauck, der sich Merkel übrigens sehr verbunden fühlt („Wir mögen uns, sagen aber Sie zueinander“).

Tatsächlich fordert die Nominierung Gaucks die Koalition nicht machtpolitisch heraus, bringt sie aber argumentativ in Bedrängnis: Sein Profil spricht viele Unions- und FDP-Wähler an, persönliche Angriffe gegen ihn sind ausgeschlossen. Die still strahlenden Gesichter von Gabriel, Steinmeier, Özdemir und Trittin künden auch davon, dass sie mit ihrem eigenen Management der Kandidatenfrage sehr zufrieden sind. Der Stimmenvorsprung der Koalition in der Bundesversammlung scheint unerreichbar hoch. Da verzichtet die SPD gern auf die Stimmen der Linkspartei und rückt damit von dem umstrittenen Ziel einer rot-rot-grünen Koalition ab, das in Nordrhein-Westfalen ohnehin gerade krachend gescheitert ist. Stattdessen senden die Sozialdemokraten mit ihrem Kandidaten Gauck eine Werbebotschaft ins bürgerliche Lager: „Wir sind anschlussfähig.“

Glaubt man Gauck, ficht ihn diese strategische Überlegung hinter seiner Nominierung nicht groß an. Seine eigene Botschaft, versichert der Gegenkandidat, sei ihm wichtiger. Vom Siegen spricht er nicht. „Es wird ein schöner Weg, mit Ihnen und der Politik und den Deutschen zu sprechen“, sagt er: „So wird es sein.“

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