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Präsidentschaftswahlen in Afghanistan: Gelingt der friedliche Übergang?

Zeitenwende am Hindukusch: Am Samstag wählen die Afghanen einen neuen Präsidenten, Ende des Jahres ziehen die Kampftruppen der Nato ab. Die afghanischen Sicherheitskräfte stehen unter immensem Druck.

Es ist ein entscheidendes Jahr für Afghanistan. Mit der Wahl am kommenden Wochenende könnte die Grundlage einer Zukunft ohne Krieg gelegt werden, die Nato zieht Ende des Jahres ab – doch die spektakulären Anschläge auf Hotels und internationale Gästehäuser in Kabul sprechen eine andere Sprache.

Wie wichtig ist die Wahl im Jahr des Abzugs der Nato?

Zwei Forscher haben in einer Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) durchgespielt, wie es um Afghanistan bestellt wäre, sollten die Wahlen im April scheitern. Sollten diese also entweder wegen der schlechten Sicherheitslage nicht stattfinden können oder das Ergebnis wegen massiver Manipulationen unglaubwürdig erscheinen. Markus Kaim und Nils Wörmer kommen zu dem Schluss, dass das Engagement des Westens in Afghanistan insgesamt infrage gestellt würde und damit letztlich alles seit 2001 Erreichte. Konkret könnte die Entwicklungszusammenarbeit stark eingeschränkt und die in Aussicht gestellte Nato-Ausbildungshilfe für die Zeit nach dem Abzug der Nato-Kampftruppen möglicherweise gestrichen werden. In der Folge, so schreiben die beiden Wissenschaftler, käme es „wohl zur sukzessiven Erosion der afghanischen Staatlichkeit und zu einer partiellen Auflösung der Sicherheitskräfte ähnlich wie es bereits zwischen 1989 und 1992 im Land geschah“. Mit anderen Worten: ein neuer Bürgerkrieg wäre wahrscheinlich.

Und die Afghanen? Ein großer Teil der Bevölkerung, so sagen Kaim und Wörmer voraus, würde „endgültig den Glauben an die seit 2002 geschaffenen staatlichen Institutionen verlieren“ und nicht wenige zu den Taliban überlaufen. Damit steht fest: Ein Scheitern der bevorstehenden Wahl hätte katastrophale Folgen für Afghanistan und auch für die Glaubwürdigkeit des Westens.

Was wird aus Präsident Karsai?

Der noch amtierende Präsident darf nach zwei Amtszeiten nicht noch einmal für das Amt kandidieren. Er könnte sich nun dem Privatleben widmen, schließlich ist er Anfang März noch einmal Vater geworden. Mit seiner Frau hat er eine weitere Tochter und einen Sohn. Obwohl die Familie nach dem vorläufigen Ende der politischen Laufbahn Karsais in Afghanistan kaum sicher sein wird, will der langjährige Präsident in seinem Heimatland bleiben. Schon vor Monaten wurde damit begonnen, eine Art Alterssitz für ihn auf dem Gelände des Präsidentenpalastes in Kabul zu errichten.

Doch es ist unwahrscheinlich, dass sich der mit 56-Jahren noch recht junge Politikpensionär dort endgültig zur Ruhe setzen wird. Möglicherweise will er sogar versuchen, weiter direkten Einfluss auf die Politik in Kabul auszuüben. Dafür spricht, dass er die Kandidatur seines früheren Außenministers Salmai Rassul unterstützt, diesen möglicherweise sogar zu einer Bewerbung gedrängt hat.

Rassul gilt als zurückhaltend und wenig durchsetzungsstark – ganz im Gegensatz zu Karsais Brüdern Kajum und Mahmud, die im Team als Kandidat und Wahlkampfmanager zunächst ebenfalls bei den Präsidentschaftswahlen antreten wollten. Nachdem sich Karsai öffentlich gegen eine Kandidatur seines älteren Bruders Kajum ausgesprochen hatte, nahmen sie davon aber Abstand und werben nun ebenfalls für Rassul. In Kabul würde es aber niemanden wundern, wenn die Karsai-Brüder nach dem 5. April von einem Präsidenten Rassul mit wichtigen Posten bedacht würden. Für Hamid Karsai wäre das wohl die ideale Ausgangsposition um seinen eigenen Einfluss und den seiner Familie über die Wahl hinaus zu sichern.

Die meisten Kandidaten für Präsidentenamt sind gemäßigte Islamisten

Wer sind die aussichtsreichen Kandidaten und was ist von ihnen zu erwarten?

Politik in Afghanistan ist ein lebensgefährliches Geschäft. Dennoch haben sich insgesamt 26 Kandidaten um die Nachfolge von Präsident Hamid Karsai beworben. Neun Kandidaten, ausschließlich Männer, blieben am Ende übrig. Die anderen überstanden die Prüfung der Wahlkommission nicht oder schieden freiwillig aus dem Rennen aus. Drei Kandidaten gelten als aussichtsreich. Salmai Rassul, der Sachwalter des scheidenden Präsidenten, konnte im Wahlkampf sein Image als Mann der zweiten Reihe zwar nicht abschütteln, doch der 69-Jährige genießt durchaus Autorität, schließlich diente er auch lange dem inzwischen verstorbenen König Sahir Schah, dem nach seiner Rückkehr aus dem Exil die Rolle eines Vaters der Nation zukam. Als einziger Kandidat hat Rassul, ein in Frankreich ausgebildete Mediziner, eine Frau als Vizepräsidentschaftskandidatin nominiert.

Sein größter Konkurrent ist Abdullah Abdullah, ebenfalls Arzt, der sich bereits vor fünf Jahren ein Duell mit Karsai geliefert hatte. Diesmal stehen seine Chancen des 53-Jährigen besser als 2009, zumal er sich darum bemüht hat, eine landesweite Basis aufzubauen. Das ist nicht einfach, denn in Afghanistan entscheiden die Wähler traditionell entlang ethnischer Zugehörigkeiten. Abdullah wird der tadschikischen Minderheit zugerechnet und steht für die Kräfte aus dem Norden (Nordallianz), die in den 90er Jahren gegen die Taliban kämpften. Da Abdullahs Vater jedoch der Bevölkerungsmehrheit der Paschtunen angehörte, zu denen auch Karsai und Rassul gehören, kann er auch auf Stimmen aus dem Süden hoffen. Politisch könnte man ihn am ehesten als gemäßigten Islamisten bezeichnen, was aber für die meisten Politiker des Landes gilt.

Der Wirtschaftsexperte und frühere Finanzminister Ashraf Ghani hat eher den Ruf eines Technokraten und kommt daher vor allem im Ausland gut an. Auch er ist Paschtune. Seine Wahl für den Posten des Vizepräsidenten hat ihm aber auch Kritik eingebracht, denn Ghani (Mitte 60) setzt auf den alten Warlord Raschid Dostum. Dennoch: Ghani bringt Erfahrung als Mitarbeiter der Weltbank mit und hat als einziger Bewerber eine Art Wahlprogramm vorgelegt. Grundsätzlich gilt aber für die meisten Kandidaten, dass sie Sicherheit und Stabilität versprechen, Korruption bekämpfen und Friedensgespräche mit den Taliban führen wollen.

Wie entwickelt ist die Demokratie in Afghanistan?

Afghanistan hat heute ein Parlament, Wahlen und eine Verfassung, in der allen Bürgern zumindest theoretisch grundlegende Menschenrechte garantiert werden. Doch kann man kaum sagen, dass die neuen demokratischen Institutionen auch gelebt werden.

Im Parlament wird zwar mitunter heftig debattiert, bei wichtigen Entscheidungen blieb es jedoch immer öfter außen vor, weil sich Karsai seine Politik lieber von Ratsversammlungen traditioneller Würdenträger absegnen ließ. Zuletzt rief er eine solche Loya Dschirga ein, als es um die Frage ging, ob Afghanistan ein Sicherheitsabkommen mit den USA für die Zeit nach dem Abzug der Nato Ende 2014 schließen soll. Der Stammesrat stimmte dafür, Karsai will es aber seinem Nachfolger überlassen, den fertig ausgehandelten Vertrag zu unterzeichnen.

Die Einbeziehung der Würdenträger zeugt einerseits von einem gewissen Realismus, was die Machtstrukturen angeht. Doch diese werden so eben auch zementiert. Vor allem in den Provinzen. Dort haben nach wie vor Stammesälteste und ehemalige Kriegsherren das Sagen, die mafiös-kriminelle Netzwerke aufgebaut haben und die Drogenwirtschaft beherrschen. Viele unterhalten eigene Milizen. Junge, demokratisch gesinnte Afghanen oder auch Frauen haben in solchen Strukturen eine schwache Position. Für die Wahl bedeutet das: Die meisten Afghanen werden wohl den Wahlvorgaben der lokalen Machthaber folgen. Und die lassen sich ihre Empfehlung mit Posten und/oder Pfründen entlohnen.

Die afghanischen Sicherheitskräfte stehen unter immensem Druck - viele wechseln die Seiten

Die Nato will die Absicherung der Wahl den Afghanen überlassen, doch haben sie die Lage unter Kontrolle?

Die Wahl am 5. April wird der erste große Test für die afghanischen Sicherheitskräfte. Seit sie offiziell die Verantwortung für ihr Land von den Nato-Truppen übernommen haben, stehen sie unter großem Druck. Immer wieder gelingt es den Taliban und anderen Aufständischen, kleinere Provinzzentren zu erobern, die unter großen Verlusten zurückerobert werden müssen. Jeden Monat sterben rund 400 afghanische Soldaten, Tendenz steigend. Und dabei können die Afghanen derzeit im Notfall noch Unterstützung bei der Nato anfordern. Die Moral bei Armee und Polizeikräften ist entsprechend niedrig, die Zahl der Aussteiger hoch. Insgesamt, so schätzt der Afghanistanexperte Thomas Ruttig vom Afghan Analysts Network, müssen bei den rund 350000-Mann starken Sicherheitskräften jedes Jahr rund ein Drittel der Einheiten ersetzt werden.

Die Taliban sind zudem dazu übergegangen, ihren Terror auch in die Städte zu tragen. Am 20. März gelang ihnen sogar ein Angriff auf das fast hermetisch abgeriegelte Hotel Serena in Kabul, in dem wohlhabende Afghanen und Diplomaten verkehren. Neun Menschen wurden dabei getötet. Kaum eine Woche später griff ein Selbstmordkommando ein Büro der Wahlkommission in Kabul an, wieder starben Menschen.

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