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Strolche gegen Dynastien: Unter diesem Slogan läuft der Präsidentschaftswahlkampf von William Ruto. Der reiche Vizepräsident wirbt vor allem um die Stimmen der armen Kenianer – und nennt sich selbst „Chef der Strolche“.

© Reuters/James Oatway

Präsidentschaftswahlen in Kenia: William Ruto – der Kandidat der stolzen Strolche

William Ruto hat gute Chancen, nächster Präsident Kenias zu werden. Er zeigt sich als Kämpfer gegen das Establishment.

Um ihr Programm für Wähler auf den Punkt zu bringen, legen sich afrikanische Parteien gerne Symbole zu. Einen Besen, weil die Partei die Korruption ausfegen will; eine aufgehende Sonne, weil mit ihr ein Neuanfang beginnt; einen Hahn, weil sie sich als Stärkste im Hühnerstall zu präsentieren sucht.

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William Ruto hat sich für den kenianischen Urnengang am Dienstag etwas Neues ausgewählt: Der Vizepräsident des ostafrikanischen Landes tritt unter dem Sinnbild eines Schubkarrens an, während des Wahlkampfs wurden am Rande seiner Kundgebungen sogar Schubkarren verteilt.

Selbst Analphabeten ist damit klar, wofür Rutos Wahlbündnis „Kenya Kwanza“ (Kenia zuerst) steht: Das armselige Leben der kleinen Leute mit Karren aus dem Dreck zu ziehen. Schubkarren für Kleinfarmer, für Händler und für städtische Häuslebauer.

„Hustlers versus Dynasties“, Strolche gegen Königshäuser, setzte Ruto als Slogan über seinen Wahlkampf. Der 55-jährige Sohn aus armem Haus sieht sich im Widerstand gegen das kenianische Establishment: den zwei prominentesten politischen Familien des Landes, den Kenyattas und den Odingas.

Seit der Unabhängigkeit Kenias 1963 standen sich die beiden Dynastien – die eine vom Volk der Kikuyu, die andere den Luo angehörend – feindlich gegenüber. Jetzt treten Uhuru Kenyatta und Raila Odinga erstmals als Verbündete auf. Das vereinte Establishment gegen das gemeine Volk: So zumindest stellt es Ruto dar.

Bisher ging es in Kenia bei Wahlen um ethnische Identitäten

Diese Gegenüberstellung ist in Kenia neu. Der soziale Stand – arm oder reich – war bei Wahlen in dem Staat mit seinen 58 Millionen Einwohnern bisher nicht im Zentrum. Vielmehr ging es um ethnische Identitäten: Luos wählen einen Odinga, Kikuyus einen Kenyatta – die Angehörigen der anderen rund 120 Ethnien Kenias schließen sich einem der beiden Blöcke an.

Das führte bei Wahlen regelmäßig zu Zusammenstößen: Nach dem Urnengang vor 15 Jahren kamen bei Unruhen zwischen Luo und Kalenjin auf der einen Seite und Kikuyu auf der anderen Seite mehr als 1200 Menschen ums Leben, eine halbe Million verloren ihr Zuhause.

Dass die ethnische Zugehörigkeit in der kenianischen Politik inzwischen nicht mehr die Hauptrolle spielt, ist den Politikern selbst zu verdanken: Sie gingen dermaßen willkürlich mit der „Identität“ ihrer Wähler um, dass sie sie schließlich ad absurdum führten. Kalenjin Ruto war einst als Verbündeter des Luo Odinga gegen den Kikuyu Mwai Kibaki angetreten.

Fünf Jahre später wechselte Ruto die Seite: Dafür werde ihn Kenyatta nach seinem Ausscheiden zum Nachfolger machen, hieß damals der Deal. Doch weitere fünf Jahre später wollte Kenyatta von dem Versprechen nichts mehr wissen: Er verbündete sich mit dem Erbfeind Odinga und ließ Ruto allein.

Derart kaltschnäuziges Vorgehen muss den Kenianern den Geschmack an der Identitätspolitik verleitet haben: Jedenfalls spielt die Frage, ob jemand Kikuyu, Luo oder Kalenjin ist, höchstens noch eine Nebenrolle. „Es ist die Wirtschaft, die wie noch nie zuvor im Zentrum steht“, meldet die BBC: „Das kenianische Wahlvolk ist erwachsen geworden.“

Ein Poster der United Democratic Alliance Party (UDA) wirbt in Eldoret für William Ruto.
Ein Poster der United Democratic Alliance Party (UDA) wirbt in Eldoret für William Ruto.

© AFP/Simon Mania

Der angebliche Reifeprozess ist wohl in Wahrheit auch aus der Not geboren. Nach zwei Jahrzehnten wirtschaftlichem Aufschwung wurde Kenia erst von der Pandemie und dann vom Krieg in der Ukraine erwischt: Eine derzeit im Norden des Landes herrschende Dürre trägt zur Verarmung der Bevölkerung noch zusätzlich bei.

Die Nahrungsmittelpreise ziehen – wie überall in der Welt – kräftig an, der Staat verschuldet sich immer höher, auch die Arbeitslosenrate wächst, nur eine kleine Elite ist vom Niedergang ausgeschlossen. Weniger als 0,1 Prozent der Bevölkerung verfüge über mehr Geld als die restlichen 99,9 Prozent, meldet Oxfam: Die Zahl der Superreichen wachse in Kenia so schnell wie kaum irgendwo anders auf der Welt. „Kleine Strolche gegen Superreiche“: Rutos Wahlslogan sitzt.

Obwohl er selbst einer der reichsten Kenianer ist, sucht sich Ruto zu diesem Zweck als Sohn armer Leute zu präsentieren: Als „Hustler-in-Chief“, der sich von der väterlichen Kleinfarm zum erfolgreichen Geschäftsmann und schließlich zum Vizepräsidenten hochboxte. Dass bei seinem Aufstieg alles mit rechten Dingen zuging, glaubt in Kenia keiner: Allerdings hat sich die Korruption hier längst breit gemacht wie ein Kuckuck im Taubennest – als ehrenrührig gilt der Diebstahl von Steuergeld schon gar nicht mehr.

Mit seiner Schubkarrenpolitik will Ruto aus Kenia eine „Hustler-Nation“ machen: Ein Staat, in dem die „informelle“ Ökonomie der Kleinbauern, Straßenhändler und Gelegenheitsarbeiter ins Zentrum gerückt wird. Das klingt fast revolutionär. Die Aufwertung des gemeinen Volks und der Förderung von Kleinstunternehmen, droht das Land jedoch um Jahrzehnte ins vorindustrielle Zeitalter zurückzuwerfen.

Bisher ist Raila Odinga schon dreimal gescheitert

So zumindest sieht es Raila Odinga, der bereits zum vierten Mal als Kandidat antritt, dreimal ist er gescheitert. Der Sozialdemokrat gilt als Modernist: Er will die Ent-Industrialisierung Kenias stoppen und die digitale Revolution antreiben. Schon heute gilt die Hauptstadt Nairobi als „Silicon Savannah“.

Um den wachsenden Graben zwischen Arm und Reich zumindest etwas zu verringern, verspricht Odinga die Einführung von Sozialprogrammen: Monatlich 50 Euro für den unterhalb der Armutsgrenze lebenden Teil der Bevölkerung, eine verbesserte staatliche Krankenversorgung sowie freie Schulausbildung bis zum College.

Meinungsumfragen sagen dem Spross der Odinga-Dynastie einen knappen Vorsprung vor dem „Strolchenchef“ voraus – den zwei weiteren Kandidaten wird nur die Rolle als Statisten zuerkannt. Weil nach Kenias Verfassung der Präsident mit einer absoluten Mehrheit gewählt werden muss, schließen Fachleute auch eine Stichwahl nicht aus. Deren Ergebnis verspricht dermaßen knapp zu werden, dass sich selbst Profi-Propheten noch keine Prognose zutrauen.

Johannes Dieterich

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