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Politik: Praktisch begabt

Von Peter von Becker

Schon wird ein neuer „Tugendterror“ befürchtet, obwohl statt Robespierre nur RotGrün hinter der Sache steht. Doch hat der Entwurf eines umfänglichen Antidiskriminierungsgesetzes, zu dem am Montag im Bundestag eine Expertenanhörung stattfindet, manche Geister in höhere Erregung versetzt. Mit über 50 Paragrafen möchten die Regierungsfraktionen „Benachteiligungen“ aus Gründen des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, der Rasse, Religion, Weltanschauung, sexuellen Identität, wegen einer Behinderung oder des Alters „verhindern oder beseitigen“.

Auch jegliche „sexuelle Belästigung“ gehört zur Benachteiligung, und weil dies alles von der Stellenbewerbung bis zur Wohnungsmiete, vom Arbeitsplatz bis zum Restaurantbesuch gelten soll, klingt das Gesetz ein bisschen so: wie ein Versuch zur Verbesserung der Menschheit. Das weckt in Zeiten, wo der Politik bereits die Verbesserung der einfacheren Dinge nur schwer gelingt, den Argwohn selbst der Gutwilligsten.

Gutwillig sind wir ja ohnehin: Wer wäre schon für die Diskriminierung von Alten oder Jungen, von Frauen, Männern, Schwulen oder Behinderten? Im Grunde geht es auch nur um die Umsetzung einiger Richtlinien der Europäischen Union. Solcher Grund indes erzeugt eine besondere deutsche Gründlichkeit. Also schießt man hier und da über EU-Ziele hinaus, vor allem aber schafft man statt Deregulierung gleich eine neue Bürokratie. Neben bereits existierenden Beauftragten des Bundestages will man eine „Antidiskriminierungsstelle des Bundes“ mitsamt „beratendem Beirat“ einrichten und für ein Klagerecht von Antidiskrimierungsvereinen sorgen. Bundesinnenminister Otto Schily soll dazu jüngst im Kabinett gesagt haben, dass eine Rücknahme des Gesetzes ein „echter Beitrag zum Bürokratieabbau“ wäre.

Auch Wirtschaftsminister Wolfgang Clement wird angesichts der Massenarbeitslosigkeit über neue Job-Barrieren nicht frohlocken. Arbeitgeber müssten beispielsweise bei Stellenbewerbungen wegen einer möglichen Beweislastumkehr im Streitfall für eine aufwändige Dokumentation aller Bewerbungen und Einstellungsvorgänge sorgen. Doch das sind nur Details, in denen der Teufel steckt.

Problematischer ist manchmal das Liebegottgetue der Politik. Für gerechtere Lebensverhältnisse sorgen zu wollen, gehört zwar zur sozialen Grundverantwortung. Aber der gute Vorsatz verführt auch zur politisch korrekten Scheinheiligkeit. In den USA werden körperlich Behinderte nicht mehr disabled, sondern physically challenged („physisch herausgefordert“) genannt. Die wahre Bezeichnung gilt als diskriminierend – und das Problem wird verdrängt. In Deutschland heißen Jugendliche, die wegen ihrer intellektuellen Defizite in keine anspruchsvollere Lehre mehr vermittelt werden können, neuerdings „praktisch Begabte“. So beginnt die Verdrängung mit der Verbrämung.

Zu einer integrativen, nicht diskriminierenden Gesellschaft gehört das Bewusstsein, ja: die Akzeptanz der Unterschiede. Oft tragen dabei Gesetze zu einem mentalen Wandel bei. Doch dieses, dank bestehender Vorschriften weitgehend überflüssige Gesetz entfacht keinerlei soziale Dynamik. An der Unterzahl weiblicher Führungskräfte, an der Missachtung von Alten und Kindern, an der Diskriminierung der Frauen in einer deutsch-türkischen Parallelgesellschaft reiten die vielen Paragrafen nur sozialbürokratisch vorbei.

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