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Politik: Premier Kubilius über den Weg seines Landes in die EU und Nato

Andrius Kubilius spricht selbstbewusst über sein Land. Dass Litauen bei der Einführung der Marktwirtschaft und der EU-Annäherung hinter den beiden anderen baltischen Republiken zurückbleibe, dass sei ein überholtes Image, sagt der 43-jährige Regierungschef im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Andrius Kubilius spricht selbstbewusst über sein Land. Dass Litauen bei der Einführung der Marktwirtschaft und der EU-Annäherung hinter den beiden anderen baltischen Republiken zurückbleibe, dass sei ein überholtes Image, sagt der 43-jährige Regierungschef im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Anfangs habe Estland radikalere Reformen gewagt, sich damit aber vor allem "besser in Szene gesetzt". Heute brauche Litauen sich nicht mehr zu verstecken. 75 Prozent des Bruttoinlandsprodukts werde im Privatsektor erwirtschaftet, die Währung sei fest an den Dollar gebunden und frei konvertierbar. Nach zehn Jahren Unabhängigkeit sei sein Land nicht wiederzuerkennen, habe mit den Verhältnissen der Sowjetrepublik nichts mehr zu tun. "Sonnenuntergang für die Bürokratie, Sonnenaufgang für die Geschäftsleute", beschreibt er das Umdenken.

2004 peilt der nationalkonservative Premier als Datum für den EU-Beitritt an. Von der Nato erhofft er bereits 2002 eine Einladung. Die Trennung in eine erste und eine zweite Gruppe, zu der auch Litauen gehörte, hat der EU-Gipfel in Helsinki aufgehoben, kürzlich haben die Beitrittsverhandlungen begonnen. Auf einen baltischen Solidaritätseffekt glaubt Kubilius verzichten zu können. Einen gleichzeitige Aufnahme der drei baltischen Staaten nennt er "logisch", aber kein Land solle wegen schleppender Vorbereitungen anderer Kandidaten warten müssen. Besondere Anstrengungen, um zunächst einen baltischen Binnenmarkt zu schaffen, auch als Vorbereitung auf die EU, hält er für Zeitverschwendung. "Besser konzentrieren wir die Kräfte auf die Anpassung an die EU."

Die nächsten Großprojekte seien die Privatisierung der Energie- und Transportwirtschaft, der Eisenbahn und der Fluglinie. Nach Berlin war Kubilius auch gekommen, um beim Deutschen Industrie- und Handelstag um Investoren zu werben und vor hochrangigen Gästen der Konrad-Adenauer-Stiftung ein neues Litauen-Bild zu zeichnen.

Litauens Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt derzeit bei 30 Prozent des EU-Durchschnitts. Für Kubilius ist das kein Argument, dass Litauen 2004 noch nicht in der EU mithalten könne. "Formale Zahlen sollten nicht entscheidend sein, sondern der Entwicklungstrend: ob wir die EU-Standards erfüllen und dem Wettbewerb standhalten. Dann macht es keinen großen Unterschied, ob wir mit 35 oder 55 Prozent beitreten."

Probleme für den Beitritt bereitet noch die Landwirtschaft. Wegen deren nationaler Bedeutung könne die Regierung auf gewisse Schutzmaßnahmen noch nicht verzichten, an denen jedoch sei bislang auch die Aufnahme in die Welthandelsorganisation (WTO) gescheitert. Als noch schwieriger könnten sich die Umweltstandards erweisen, räumt der Regierungschef ein. "Da muss sehr viel Geld investiert werden." Und es wird Zeit vergehen, bis Litauen die Auflagen erfüllen kann.

Dazu gehört auch das Atomkraftwerk Ignalina, das zwar zu Sowjetzeiten gebaut, aber in der Zwischenzeit mit westlicher Sicherheitstechnik nachgerüstet wurde. Ein erster Reaktor soll bis "spätestens 2005 abgeschaltet" werden. In dieser Woche habe Litauen ein Gesetz über die Prozedur verabschiedet. "Das wird aber nur mit finanzieller Hilfe für die Neuausrichtung des Energiesektors zu schaffen sein."

Das Königsberger Gebiet, das in mittlerer Zukunft zu einer russischen Insel in der erweiterten EU, womöglich sogar im Nato-Bündnisgebiet würde, will Kubilius "eng in die Ostseekooperation einbinden" - vom Energieverbund bis zur Verkehrsinfrastruktur. Das Misstrauen in Moskau sei zurückgegangen, die früheren Spannungen und Hegemonieversuche, etwa in der Frage des russischen Transits über litauisches Gebiet nach Königsberg Vergangenheit. "Diese Probleme existieren nicht mehr."

Deshalb hält Kubilius auch nichts von Warnungen, Nato und EU sollten bei ihren Erweiterungsplänen besondere Rücksicht auf Moskau nehmen. Die bisherigen Erfahrungen mit russischen Einwänden, etwa gegen den Nato-Beitritt Polens, Tschechiens und Ungarns, zeigten gerade das Gegenteil: "Rasche und klare Entscheidungen sind der beste Weg, Russland politisch zu stabilisieren." Dann werde Moskau die Fakten akzeptieren, die Ausdehnung der euroatlantischen Strukturen nicht mehr als angeblichen Schaden beklagen, sondern die neu entstehenden Chancen nutzen, etwa in der Wirtschaft. Dabei könne Königsberg zu einem Modell für die Zusammenarbeit Russlands mit der Europäischen Union werden.

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