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Presseschau zum Flüchtlingsdrama von Lampedusa: "Eine Schande für Europa"

Am Tag nach der Katastrophe von Lampedusa, bei der mindestens 130 Flüchtlinge ertrunken sind, wird jetzt - wie schon so oft - die Frage nach den Schuldigen gestellt. Ist es die EU mit ihrer rigiden Grenzpolitik? Sind es die Menschenschmuggler? Lesen Sie Kommentare aus Europa.

Die "Frankfurter Rundschau" hat bei der Rede des Bundespräsidenten zum Tag der Deutschen Einheit genau hingehört und fragt, was dessen Worte zu Europa angesichts des Flüchtlingsdramas von Lampedusa bedeuten. Joachim Gauck sagt, schreibt die FR, "„Ein starkes Band aus Mentalität, Kultur und Geschichte hält Europa zusammen.“. Aber was bedeutet das, wenn quasi im gleichen Augenblick Dutzende Menschen vor der europäischen Küsten ertrinken, will die FR wissen und fragt weiter: "Welcher Mentalität ist es geschuldet, wenn eine angebliche Wertegemeinschaft zuschaut, wie vor ihren Grenzen die Menschen ertrinken? Was hat das mit Kultur zu tun? Und aus welcher Geschichte hat gerade Deutschland gelernt, das die Abschottung des Kontinents mit besonderer Hingabe betreibt? Der Bundespräsident stellte gestern eine Frage:„Entspricht unser Engagement der Bedeutung unseres Landes?“ Antwort: Das humanitäre ganz sicher nicht. Dabei wäre es ein Feld, auf dem sich das viel beschworene Europa gut bauen ließe."

Die "Saarbrücker Zeitung" dagegen überlegt, warum ein Schiff in Seenot nicht schneller bemerkt wird, denn: "Das Mittelmeer gehört zu den am meisten befahrenen und überwachten Schifffahrtsstraßen der Welt. Da ist es schwer vorstellbar, dass ein überladenes Flüchtlingsschiff bis zur Küste Lampedusas treiben kann, ohne zuvor vom Radar der Grenzschutzbehörden oder der Berufsschifffahrt erfasst zu werden. Schon länger hört man, dass schiffbrüchigen Flüchtlingen auf See nicht durchweg so geholfen wird, wie es eigentlich Pflicht wäre. Weil Kapitäne keine Scherereien haben wollen. Und auch weil die Küstenwacht ihre Aufgabe zuweilen mehr in der Verteidigung der Hoheitsgewässer als in der Rettung illegaler Einwanderer sieht."

Die meisten Kommentatoren allerdings blicken bei der Flüchtlingstragödie auf die Rolle der EU. Der Tenor: "Eine Schande für Europa", wie auch die "Landeszeitung“ aus Lüneburg schreibt. Ihre Forderung nach der jüngsten Katastrophe ist: "Die EU-Mitgliedsstaaten müssen deutlich mehr legale Zuwanderung ermöglichen und Asyl gewähren, um die lebensgefährlichen illegalen Fluchtaktionen auf den Kontinent einzudämmen. Zugleich gilt es, in einem gemeinsamen Kraftakt auch mit den Herkunftsländern den kriminellen Schleuserbanden beizukommen, die den Gepeinigten für die Hoffnung auf ein besseres Leben hohe Geldsummen abnehmen, bevor sie diese auf seeuntüchtigen Gefährten in den sicheren Tod schicken."

Das "Flensburger Tageblatt“ kritisiert eine fehlende "gemeinsame Flüchtlings- und Entwicklungspolitik" in Europa: "Statt ernsthaft die Ursachen für den stetig weiter anschwellenden Strom der Verzweifelten zu bekämpfen, haben die europäischen Regierungen Frontex geschaffen - eine Grenztruppe, die die „Festung Europa“ bewachen soll, damit ja keine „Illegalen“ sie betreten. Statt immer mehr Geld in die Abschreckung zu investieren, sollte Brüssel besser Geld sparen. Zum Beispiel bei der Subventionierung südeuropäischer Hochsee-Fischereiflotten, die westafrikanische Küsten ausplündern. Oder bei den Ausfuhrhilfen für italienische Landwirte, die ihre Überschuss-Tomaten in Afrika derart billig verkaufen können, dass die heimischen Bauern in den Ruin gezwungen werden."

Aber wollen die Europäer überhaupt etwas an diesen Zuständen ändern? Die „Badische Zeitung“ aus Freiburg hegt hier ihre Zweifel. "Wir Europäer aber sind allenfalls kurzfristig schockiert.
Bestenfalls diskutieren wir noch ein wenig über Sinn und Unsinn unserer Flüchtlingspolitik. Die Frage nach Menschlichkeit oder Unmenschlichkeit dieser Politik wird dabei wohlweislich kaum gestellt. Eher geht es um die Überwachung der Meere, das Bekämpfen von Schleuser-Banden oder um die Verteilung der Lasten, die dadurch entstehen, dass Menschen die Flucht wirklich gelingt. Italien wollte bei der Neuregelung des EU-Asylrechts eine Art Quote vereinbaren. Staaten wie Deutschland sollten einen Teil der Flüchtlinge aufnehmen, die es bis Lampedusa schaffen. Da hatte Rom aber die Rechnung ohne Berlin gemacht! Jeder für sich und Europa eine Festung - dieser Grundsatz gilt weiterhin. Hin und wieder ein Albtraum ist der Preis dafür."

"De Telegraaf“ aus Amsterdam findet zwar, dass „eindeutig die Menschenschmuggler in dieser Tragödie die Schurken sind. Aber auch Politiker in Europa müssen sich vorwerfen lassen, dass noch keine Lösung gefunden worden ist. Weil Italien nicht allein mit den Flüchtlingsströmen fertig wird, ruft die Regierung zur Solidarität auf. Aber die europäischen Partner schauen lieber weg. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten und mit der Gefahr, dass sich unter den Migranten möglicherweise Extremisten befinden, hat man kein Interesse, weitere Aufnahmemöglichkeiten zu schaffen. (...) Die EU-Kommission arbeitet zwar am Aufbau eines Grenzüberwachungssystems namens Eurosur, mit dem Boote schneller aufgespürt werden könnten. Zweifellos könnten damit Leben gerettet werden. Aber damit würde man weiterhin nur die Symptome und nicht die Ursachen (der Flüchtlingsströme) bekämpfen.“

Die französische Zeitung „Ouest-France" aus Rennes erinnert daran, dass die katastrophale Situation vor Lampedusa schon seit vielen Jahren anhält. Lampedusa, schreibt "Ouest-Franc", sei ein "Friedhof unter freiem Himmel": "Im Laufe der Jahre ist die Insel zum Symbol einer massiven Wanderungsbewegung und ihrer menschlichen Dramen geworden. Dieser Schiffsbruch ist nicht der erste. Seit 1988 sind ungefähr 20.000 Auswanderer bei ihrer Fahrt über die See ums Leben gekommen. Warum? Nur, weil sie woanders ein besseres Schicksal suchten."

Die rechtsliberale Zeitung „El Mundo“ aus Madrid zitiert Papst Franziskus, der den Tod von Hunderten afrikanischen Flüchtlingen vor der Küste von Lampedusa als «Schande« bezeichnet hat. Das Schlimmste an der Tragödie aber sei, schreibt "El Mundo", "dass sie vorhersehbar war. Die Bürgermeisterin hatte in einem Brief an die Europäische Kommission gewarnt, die Insel könne sich in einen Friedhof verwandeln. Das Innenkommissariat bedauerte gestern das Geschehene und räumte ein, man müsse mehr Mittel zur Verfügung stellen, um solche Ereignisse zu vermeiden. Eine zu kühle Reaktion, die die Gleichgültigkeit und die Passivität der EU vor dem sehr schlimmen Problem der illegalen Einwanderung aus Afrika bestätigt."

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