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Politik: Privater Winterdienst: Umgepflügt

In diesen Tagen schaut Günther Hirsch häufiger als sonst zum Himmel. Im Rhön-Dorf Breitungen wartet der Bürgermeister auf den Schnee, der die Touristen zu den Pisten lockt.

In diesen Tagen schaut Günther Hirsch häufiger als sonst zum Himmel. Im Rhön-Dorf Breitungen wartet der Bürgermeister auf den Schnee, der die Touristen zu den Pisten lockt. Fällt die weiße Pracht zu üppig, hat Hirsch indes wieder ein Problem: Der Schnee könnte die Straßen der thüringischen Gemeinde blockieren, weil der Räumwagen ungern nach Breitungen fährt. Denn im lieblichen Werratal findet ein Experiment statt: Die Privatisierung des Winterdienstes.

Die hat dazu geführt, dass in Südthüringen eine private Firma die Fern- und Landstraßen räumt, während der Schneepflug der früher staatlichen Thüringer Straßenwartungs- und Instandhaltungs GmbH (TSI) hinterher fährt, um das restliche Stück Straße in den Orten frei zu legen - "betriebswirtschaftlich absoluter Nonsens", wie TSI-Geschäftsführer Ludwig Winter einschätzt. Trotzdem hält die Thüringer Landesregierung an ihrem Ziel fest, bis Ende nächsten Jahres die TSI vollständig verkauft zu haben - an genau die Firmen, die jetzt mit ihr um das weiße Geschäft konkurrieren.

Von "akuter Gefährdung" der rund 450 Arbeitsplätze spricht deshalb die ÖTV-Landesvorsitzende Claudia Rühlemann. Überhaupt, sagt Rühlemann, betreibe die CDU-Regierung wegen der geplanten rund 1,2 Milliarden Mark Einsparungen im Doppelhaushalt 2001/2002 die Privatisierung öffentlicher Aufgaben ohne Rücksicht auf Verluste. Für Ministerpräsident Bernhard Vogel und Finanzminister Andreas Trautvetter "zählt Ideologie mehr als Betriebswirtschaft", findet die ÖTV-Chefin.

Zu den umstrittenen Streichposten im Etat zählen die drei Landesfachkrankenhäuser für Psychiatrie (LFK) - einschließlich des Maßregelvollzugs für psychisch kranke Straftäter. Investitionen in die Psychiatrien - bisher rund 60 Millionen Mark jährlich - finden sich im Doppelhaushalt nicht mehr, denn die Privatisierung ist bereits angelaufen: Acht von ursprünglich 34 Bewerbern treffen sich an diesem Donnerstag zur "Präsentation" im thüringischen Sozialministerium. Kritiker des "Klinik-Geschachers" gehen davon aus, dass kommunale Bewerber gar keine und konfessionelle Träger nur aus "kosmetischen Gründen" eine Chance zur Übernahme haben. Nach Ansicht von Klaus Ditscher, Personalrat am LFK Stadtroda, trage Trautvetter die wirtschaftlichen Daten einer privaten Klinik-Kette "wie eine Monstranz" durch die Beratungen. Auch die oppositionelle SPD erinnert mahnend an die Privatisierung der somatischen Krankenhäuser. Beim Preiskampf etwa um das ehemalige Bezirkskrankenhaus Suhl obsiegte damals die Rhön-Kliniken AG, weil sie auf staatliche Fördermittel verzichtete - mit der Folge, dass laut ÖTV die Arbeitsverdichtung "brachiale Ausmaße" angenommen hat.

Allerdings fanden sich nach der traditionell stehenden Schlussabstimmung zum Haushalt auch Stimmen, die der allein regierenden CDU finanzielle Feigheit vorwerfen. Der Thüringer Steuerzahlerbund hält die Spar-Bemühungen für nicht ausreichend. Auch mit dem neuen Haushalt werde der Freistaat im Jahr 2004 mit 10 095 Mark die höchste Pro-Kopf-Verschuldung der neuen Länder aufweisen.

Trautvetter indes hat aktuellere Sorgen: Im Moment kann er nicht einmal die 1,2 Milliarden Mark Zinsen für Thüringens Kredite aus den laufenden Einnahmen zahlen. Mit 23 Milliarden Mark Verbindlichkeiten im Jahr 2002 bei knapp 19 Milliarden Mark Haushaltsvolumen droht dem Land die akute Überschuldung.

Jens Voigt

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