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Corona-Demonstranten auf den Stufen des Reichstags

© Christian Mang/REUTERS

Pro & Contra zum Corona-Protest: Die Corona-Demonstranten verdienen kein Pardon

Haben die Corona-Demonstranten sich mit Rechten gemein gemacht? Ja. Ihr distanzloses Demo-Verhalten hilft der Ideologie der Rechtsextremisten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph David Piorkowski

Lesen Sie hier das Contra von Ariane Bemmer.

Aktuell wird viel davor gewarnt, die Teilnehmenden der Corona-Demos pauschal zu disqualifizieren. Man müsse unterscheiden zwischen der „bürgerlichen Klientel“, die ihren berechtigten Frust über die Seuchenschutzmaßnahmen auf die Straße trage, sowie trittbrettfahrenden „Spinnern“ und „Chaoten“, Antisemiten und Rechtsextremen.

Die Apologie eines Wutbürgertums, das angeblich redliche Anliegen vertritt, doch fälschlicherweise einem Lager zugeschlagen wird, mit dem es kaum etwas gemein haben soll, führt aber letztlich in die Irre.

Zunächst einmal war der Charakter der Demonstration im Vorfeld hinlänglich bekannt. Dass der Verfassungsschutz keine Anzeichen dafür sehen wollte, dass die Demo von Rechtsextremen unterwandert werde, sagt mehr über den Zustand der Behörde aus als über das Mindset der Querfront-Demonstranten. Nun ist „unterwandert“ auch der falsche Begriff. Hier fand keine heimliche Infiltrierung statt: Der rechtsextreme und antisemitische Ungeist der Veranstaltung war von Beginn an ersichtlich.

So riefen neben der AfD auch offen nationalsozialistische Gruppierungen wie die NPD und der Dritte Weg sowie die Hipster-Nazis von der Identitären Bewegung zur Teilnahme an der Corona-Demo auf. In sozialen Netzwerken trommelte das rechtsextreme Lager unverhohlen zum „Marsch auf Berlin“. Wer die braune Einfärbung des Bündnisses bis dato nicht mitbekommen hatte, hätte spätestens während des Protestmarsches selbst ausscheren und Stopp sagen müssen.

Denn die Insignien der Reichbürgerszene und anderer rechtsextremer Gruppierungen sowie antisemitische Verschwörungsnarrative und Bagatellisierungen der nationalsozialistischen Judenverfolgung waren auf der Demo allgegenwärtig. Das schien aber kaum einen Teilnehmer zu stören. Am allerwenigsten die Vertreter des Stuttgarter Querfront-Bündnisses „Querdenken 711“, das seit seiner Gründung den Schulterschluss mit Verschwörungsideologen und Rechtspopulisten sucht.

Mit Reichsflagge vorm Reichstag. klandestin war da nichts. Wer dennoch dabei blieb, trägt Verantwortung, findet unser Autor.
Mit Reichsflagge vorm Reichstag. klandestin war da nichts. Wer dennoch dabei blieb, trägt Verantwortung, findet unser Autor.

© Fabian Sommer/dpa

Nun wurde in der bisherigen Debatte die Frage aufgeworfen, wie man hätte „richtig demonstrieren“ können. Ob es etwa sinnvoll gewesen wäre, eine zweite, ideologisch weniger fragwürdige Demonstration zu organisieren – auch wenn man die Schlagkraft des eigenen Projekts dadurch womöglich reduziert hätte.

Die Antwort darauf lautet eindeutig: Ja! Menschen, denen es wichtiger ist, bei einer Demonstration gegen das vorübergehende Tragen eines Stofftuchs im öffentlichen Raum mit einer großen Teilnehmerzahl aufzuwarten, als von Rechtsextremen abzurücken, diskreditieren ihre Anliegen. Und sie haben kein Pardon verdient.

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Wer sich einreiht und mitläuft macht sich schuldig – und will am Ende wieder nichts gewusst haben. Wenn man gegen das, was auf der Demonstration zu sehen war, keinen vehementen Widerspruch einlegt, hilft man die katastrophalste Ideologie der Menschheitsgeschichte erneut salonfähig zu machen.

Hier ist auch kein Klassismus der niedrigen Erwartung angebracht, der einigen Demoteilnehmern implizit einen zu primitiven Geisteszustand attestiert, als dass sie in der Lage wären, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden. Wenn man es ihnen vernünftig erklärte – so der paternalistische Irrglaube – sagten sie den braunen Kameraden ade.

Es spricht einiges dafür, dass diese Rechnung nicht aufgeht. Denn die auf der Corona-Demo herumwabernden antisemitischen Verschwörungsmythen reichen weit über das rechtsextreme Lager hinaus. Wenn es ein ideologisches Schmiermittel gibt, das die Querfront aus Impfgegnern, Esoterikerinnen, Neonazis und anderen Antimodernisten verbindet, ist es der Antisemitismus.

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Was besagte Denkarten eint, ist der regressive Traum einer „natürlichen“ Ordnung. Die moderne Gesellschaft mit all ihren Widersprüchen ist die mal offen, mal hinter vorgehaltener Hand mit „den Juden“ verknüpfte Negativfolie einer als einheitlich vorgestellten (Volks)Gemeinschaft. Das Impfen etwa gilt hier als Teufelswerk einer als jüdisch gelesenen Schulmedizin. So lassen sich die „besorgten Bürger“ nicht immer trennscharf von ihren ideologisch verblendeten Mitbürgern unterscheiden. Nicht wenige von denen, die sich am vergangenen Wochenende mit Neonazikadern gemeinmachten, sind Wölfe im Schafspelz guter Demokraten, die sich als friedliche Ökos gebärden.

Für manche Personengruppen kann das Kleinreden der Querfront existenzielle Folgen haben. Vielleicht sollte die Gesellschaft deshalb weniger die fluiden Ängste der Wutbürger als mehr die Ängste der jüdischen Bevölkerung vor wachsendem Antisemitismus ernstnehmen.

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